Weltweit stehen Arthroseschmerzen auf Rang 13 der Krankheitslast chronischer Krankheiten, Knieschmerzen stehen an erster Stelle der muskuloskeletalen Schmerzen der über 60-Jährigen [13, 20].

Gelenkschmerzen sind Schmerzen der Gelenke, aber auch in der Umgebung der Gelenke, wo Muskeln und Faszien, Sehnen und Knochen Schmerzsignale senden können. Einerseits treten Knieschmerzen häufig ohne Arthrosezeichen auf [9], andererseits ist der Gelenkknorpel selbst ohne nozizeptive Endigungen, verursacht der Knorpelverlust gelenknahe Schmerzen also nur mittelbar, wenn Stressreaktionen und Umbauprozesse des gelenknahen Knochens oder Entzündungsprozesse der Gelenkinnenhaut Nozizeption in Gang setzen. Verschleiß und episodische Entzündungen prägen die gelenknahen Prozesse der Arthrose (in diesem Heft: Nees et al. [11]). Dabei ist von erheblicher Varianz im Schmerzerleben bei identischen Arthrosebefunden auszugehen. Gleichwohl ist bekannt, dass unspezifische Knieschmerzen junger Erwachsener eine hohe Wahrscheinlichkeit haben zu überdauern (knapp 20 % nach 6 Jahren). Risikofaktoren sind ein BMI >25, beidseitige Knieschmerzen, geringe Gesamtgesundheit und geringe Bildung [5]. Die Strukturen erklären also Gelenkschmerzen alleine nicht.

Dennoch: Für alle Strukturen werden Therapien angeboten. Die Angebote umfassen nahezu alle Bereiche der Medizin von Bewegungstherapie über medikamentöse Therapie bis hin zu interventionellen Maßnahmen und Operationen. Ob die vielfältigen Angebote helfen, bleibt fraglich. Eine Längsschnittstudie aus Framingham belegte kürzlich eine Zunahme von Knieschmerz von mehr als 200 % innerhalb von 20 Jahren ohne Zunahme der radiologischen Arthrosezeichen bei Adjustierung auf Körpermassenindex und Alter ([12]; Abb. 1).

Abb. 1
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Erhebliche Zunahme von Knieschmerz in der Gemeinde Framingham, Massachusetts, über 20 Jahre, adjustiert auf Alter und BMI, trotz unwesentlicher Veränderung der Kniearthrosehäufigkeit. ROA Radiologische Arthrose; SxOA symptomatische Arthrose. (Adaptiert nach Nguyen et al. [12])

Es drängt sich der Gedanke auf, dass sich unter vermehrten Therapieangeboten das Gelenkschmerzproblem verschlimmert hat.

Es wurden beispielsweise immer mehr operative Lösungen angeboten. Gelenkspiegelungen von Schulter und Knie sind weitverbreitete Maßnahmen gegen Gelenkschmerzen. Allerdings: In prospektiven, randomisierten Studien bleiben sie ihre Wirksamkeit gegenüber konservativer Therapie mitunter schuldig, was zu heftigen Diskussionen der Leistungsanbieter und der wissenschaftlichen Gemeinschaft beispielsweise über den Stellenwert der subakromialen Dekompression bei sogenanntem schmerzhaftem Bogen (Impingement) der Schulter [2] führte. Die Datenlage zur Kniespiegelung [19] bei schmerzhaftem Verschleißbefund führte 2016 zu einem weitgehenden Verlust der Erstattungsfähigkeit über die gesetzlichen Krankenversicherungen [4].

Der Einbau einer Endoprothese bei Arthrose von Hüfte und Knie hat sich für über 80 % der Patienten bewährt, doch bleiben bei erheblicher Zunahme der endoprothetisch ersetzten Hüft- (2005: 194.453 auf 2017: 238.072) und Kniegelenke (2005: 128.932 auf 2017: 191.272 [18]) jedes Jahr auch Zehntausende mit Schmerz und Funktionen postoperativ unzufrieden (s. auch Reichel et al. [15] in einer Übersichtsarbeit der folgenden Ausgaben des Schmerz). Die postoperative Schmerzlinderung hängt von mehr ab als vom korrekten technischen Vorgehen des Operateurs. Schmerzlinderung und Zufriedenheit mit einer Hüft- oder Knieendoprothese sind höher bei stärkerem präoperativem Arthrosegrad [17] und bei höherem Alter [7]. Dass gerade geringerer präoperativer Schmerz ein Risikofaktor für geringe Schmerzlinderung und Zufriedenheit postoperativ ist [14], belegt die empirische Erfahrung, nicht zu schnell reparative Operationen durchzuführen. Zu viel Schmerz bei zu wenig Arthrose scheint eine ungünstige Kombination zu sein, was unter anderem durch den überragenden Einfluss von präoperativer Angst und Depressivität auf die postoperative Lebensqualität erklärt werden kann [1].

Wie aber soll die lange Schmerzstrecke vom Beginn von Gelenkschmerzen bis zum vielleicht erfolgreichen Gelenkersatz gestaltet werden? Medikamente stehen zur Verfügung (s. Nees et al. [11] in diesem Heft), bewirken aber auch oft weniger als erhofft und sollten eher episodisch und niedrig dosiert eingesetzt werden. Placebowirkungen sind bei Medikamenten, auch bei manchen krankheitsmodifizierenden Injektionen (zum Beispiel Hyaluronsäure) zu vermuten (s. auch Klinger [6] in diesem Heft). Wenn also medizinische Maßnahmen für die Jahre der Gelenkschmerzentwicklung nur eine vorübergehende Hilfe sind oder nicht besser als Üben (z. B. die arthroskopischen Eingriffe bei Gonarthrose und Impingement der Schulter), ist noch zu hinterfragen, wie Üben wirkt.

Bekannt ist, dass Adipositas das Risiko vorzeitiger Knie- und Hüftarthrose um einen Faktor >5 [8] steigert, dass eine Gewichtsreduktion um mehr als 10 % nachhaltig das Schmerzerleben lindert und dass die Muskelkraft der Kniestrecker Knieschmerzen besser erklärt als der radiologische Arthrosebefund [21]. Es ist also eine therapeutische Aufgabe, Betroffene mit Gelenkschmerzen dazu zu gewinnen, sich mehr zu bewegen und Übergewicht zu reduzieren (Mills et al. [10] in diesem Heft). Auch für Betroffene mit Gelenkschmerzen soll ein biopsychosoziales Modell gelten, das zu angemessener Ausgleichsaktivität, Geduld bei (vorübergehender) Schmerzverstärkung und Gelassenheit bei Verlust mancher Aktivitäten führen soll.

Für Sportler ist die Herausforderung oft umgekehrt: Sportler neigen dazu, sich zu überfordern und Schmerzen nach Verletzungen zu ignorieren (Diehl et al. [3] in diesem Heft) und häufig Schmerzmittel einzunehmen (Schneider et al. [16] in diesem Heft). Auch die prophylaktische Einnahme ist im Spitzen- und Breitensport verbreitet, obwohl außer unerwünschten keine Wirkungen zu erwarten sind. Bei Sportlern geht es also eher darum, wie sie dazu gewonnen werden können, Gelenkschmerzen nach Überlastungen und Verletzungen ernst zu nehmen und ihrem Körper genügend Zeit zur Regeneration zu geben.

Gelenkschmerzen sind also häufig und würden von einer Entmedikalisierung profitieren – wenn Ärzte und Therapeuten Betroffene für eigenverantwortliches Handeln gewinnen könnten.