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Erinnerungskultur und psychoanalytische Kulturwissenschaft

Über das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas

Culture of remembrance and psychoanalytical cultural science

On the memorial for European Sintis and Romas murdered in National Socialism

  • Schwerpunkt: Psychoanalyse und Kunst – Originalarbeit
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Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag wird die Nutzbarkeit der tiefenhermeneutischen Analyse für das kulturelle Feld demonstriert und das in der Methode liegende Erkenntnispotenzial aufgezeigt. Exemplarisch wird dazu eine rezeptionsorientierte, erlebnisanalytische Interpretation jenes Mahnmals durchgeführt, das zum Gedenken des während des Nationalsozialismus an der Volksgruppe der Sinti und Roma begangenen Massenmords errichtet wurde. Das Vorgehen folgt den Prinzipien der „teilnehmenden Beobachtung“ und des „szenischen Verstehens“. Im Mittelpunkt steht die Analyse der Übertragungsbeziehung zum Ort, also der emotionalen Reaktionen, assoziativen Gedanken und Fantasien, welche sich aufseiten des Besuchers während der Begehung der Gedenkstätte und der Konfrontation mit deren präsentativer Symbolik einstellen. Fast zwangsläufig führt die Auseinandersetzung mit dem Denkmal zu einem politischen Handlungsziel, das über die Verpflichtung zur Übernahme historischer Verantwortung für den im Namen des deutschen Staats ausgeführten Genozid und die entschiedene Zurückweisung der „Schlussstrichdebatte“ weit hinausgeht. Die implizite Botschaft, die sich im Zuge der Entschlüsselung des latenten Bedeutungsgehalts eines der zentralen Gestaltungselemente ableiten lässt, kann auch gelesen werden als Plädoyer, sich gleichermaßen gegen die von Rechtspopulisten betriebenen, perfiden Spaltungsversuche und das (keineswegs rein deutsche) Phänomen des wiedererstarkten Nationalismus zu wenden wie gegen die Hass- und Gewaltpropaganda extremistischer Gruppierungen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Der Mehrwert einer so verstandenen Erinnerungs- und Gedächtniskultur und der sich aus dem Erkennen ergebene, gegenwartsbezogene Auftrag zur politischen Positionierung werden herausgestellt.

Abstract

This article demonstrates the application of depth hermeneutic analysis within the cultural field and highlights the resulting gains of knowledge. The memorial that was built to commemorate the genocide of Sinti and Roma population groups during the National Socialist period in Germany, is interpreted using a reception-oriented, phenomenological approach. The methodology applies principles of “participant observation” and “scenic understanding”. The focus of the analysis is the transference-relationship with the place, i. e. emotional reactions, associative thoughts and imagery that visitors experience at the memorial when confronted with its stark symbolism. Almost inevitably, the confrontation with the memorial will lead to an action goal of political nature, which far exceeds the obligation to take historical responsibility for the genocide carried out by Germany and further exceeds the already decided rejection of the drawing a line debate (Schlussstrichdebatte). Deciphering the latent meaning of the central design elements conveys the implicit message of a plea to equally turn against the right populist perfidious attempts of division, the reinvigorated nationalism in Germany and Europe as well as against the hate and violence propaganda by extremist groups of different ideologies. The added value of such a culture of commemoration and remembrance, and the recognizable assignment for the present day for political positioning are discussed.

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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3

Notes

  1. Informationen – Denkmal für die im NS ermordeten Sinti und Roma Europas. Faltblatt der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

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Correspondence to Alexander Korte M.A..

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Interessenkonflikt

A. Korte gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Die Idee zum vorliegenden Beitrag entstand maßgeblich im Dialog mit Prof. Dr. phil. Christine Kirchhoff, Dozentin an der International Psychoanalytic University Berlin, sowie meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen im Studiengang Psychoanalytische Kulturwissenschaften; ihnen gebührt mein ausdrücklicher Dank.

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Korte, A. Erinnerungskultur und psychoanalytische Kulturwissenschaft. Forum Psychoanal 34, 355–376 (2018). https://doi.org/10.1007/s00451-018-0324-0

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