Unterschiedliche Positionen in der Sozialstruktur bzw. den jeweiligen zentralen Institutionen einer Gesellschaft implizieren für die betroffenen Personen und sozialen Gruppen unterschiedliche Rahmenbedingungen und somit Handlungsspielräume, die mit bestimmten Vor- und Nachteilen verbunden sind. Die Position des Individuums in der sozialen Hierarchie ist auch mit seiner Gesundheit verknüpft. Mit anderen Worten: Sozialer Status und Gesundheitszustand stehen bis ins hohe Alter in einem signifikanten Zusammenhang. Dies gilt sowohl für die je aktuellen Lebensbedingungen, die den Gesundheitszustand beeinflussen, als auch für kumulierte sozioökonomische Belastungen, die über den Lebenslauf entstanden sind. Die Lebenslage beeinflusst die Lebenschancen und in der Folge Morbidität und Mortalität.

Wird über Gesundheit im Alter gesprochen, braucht es also nicht nur einen Blick auf den biologischen und psychologischen Alternsprozess selbst, sondern auch einen Blick auf die soziale Lage, die Geschlechterverhältnisse und andere horizontale Variablen sozialer Ungleichheit. Über diese Perspektivenerweiterung wird die soziale Heterogenität im Alter sichtbar und verlieren generalisierte Altersbilder, die sich nur auf körperliche Veränderungen beziehen, an Überzeugungskraft. Dieser Erklärungsansatz weist weitgehend die Vorstellung zurück, dass gesundheitliche Ungleichheit allein das Ergebnis von Unterschieden im Gesundheitsverhalten ist. Faktoren wie Rauchen, wenig Bewegung und ein ungünstiges Ernährungsverhalten beeinflussen die Gesundheit, sind aber nicht allein oder gar zentral ausschlaggebend für den Gesundheitszustand im Alter, sondern ihrerseits beeinflusst von der sozioökonomischen Lage.

Grundlegende Zusammenhänge hat der Sozialepidemiologe Michael Marmot aus den sog. Whitehall-Studien gezogen [11]. Sie lauten: Je niedriger der soziale Status eines Individuums ist, desto höher ist die Zahl der Erkrankungen, desto höher ist das Mortalitätsrisiko und desto kürzer ist die Lebenserwartung. Ergebnisse anderer Studien korrespondieren mit diesen Aussagen: Menschen mit niedrigem Bildungsstand, einer niedrigeren Erwerbsposition oder einem geringeren Einkommen erreichen demnach eine geringere Lebenserwartung und weisen eine höhere Krankheitsprävalenz auf [12]. Wohlhabende Personen bleiben länger gesund und leben länger als einkommensschwache Personen. Das Sterberisiko der „besser Situierten“, gemessen an Bildungsstatus, Einkommen und sozialer Schichtzugehörigkeit, ist in faktisch allen Altersgruppen geringer ([4]; auch [6]). Markante soziale Ungleichheiten in Einkommen, beruflicher Stellung und sozialer Sicherheit führen auch zu einem deutlich unterschiedlichen Risiko, gebrechlich zu werden. Auch noch bei Hochaltrigen wird Gebrechlichkeit von sozialen und ökonomischen Benachteiligungen bestimmt [3]. Deshalb ist Hochaltrigkeit aus einer soziologischen Perspektive eine Lebensphase, die nur von einer – wenngleich größer werdenden – Minderheit erreicht wird, und somit Ausdruck sozialer bzw. gesellschaftlicher Selektivität [5]. Bezogen auf die Lebenssituation hochaltriger Menschen heißt das, dass diese aufgrund der „Übersterblichkeit“ von sozial benachteiligten Personen eine geringere soziale Variabilität aufweist.

Auch der starke Anstieg der Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren hat wenig mit biologischen Veränderungen zu tun, denn an der maximalen Lebensspanne hat sich wenig verändert. Der Anstieg basiert vielmehr auf sozioökonomischen und medizinischen Veränderungen. Die Perspektivenerweiterung hin zur Lebenserwartung als einem sozioökonomischen Spiegel der Gesellschaft verweist auf die Rolle von staatlichen Umverteilungs- und Sicherungssystemen generell und von Gesundheitssystemen im Besonderen. Grundsätzlich gilt: Gesellschaften mit weniger starken sozialen Ungleichheiten eröffnen vorteilhaftere und egalitärere Möglichkeiten eines langen Lebens. In Ländern mit demokratischen Systemen, die sich durch eine Umverteilung zwischen sozialen Gruppen auszeichnen, ist die Lebenserwartung zwischen 1960 und 2010 stärker angestiegen als in Vergleichsländern [13]. In solchen Gesellschaften lebt man im Durchschnitt um elf Jahre länger. Ein solches demokratisches System kann also als eine besondere Form der Präventivmedizin angesehen werden [13]. Für die USA wurde nachgewiesen, dass sich eine stärkere wohlfahrtsstaatliche Umverteilung positiv auf die Lebenserwartung auswirken würde. Sie könnte um etwa 3,7 Jahre steigen [1]. Im Zeitvergleich zeigt sich allerdings auch, dass sich die soziale Ungleichheit in der Mortalität in einer Reihe von europäischen Ländern gegen Ende des 20. Jahrhunderts erhöht hat [10].

Die sozialepidemiologische Forschung geht von der Annahme aus, dass es weniger einmalige Ereignisse sind, die die Gesundheit im Lebenslauf prägen, sondern kumulative und zeitlich andauernde Prozesse. Sowohl der Dauer als auch der Intensität und dem Beginn der Risikoexposition kommen ein hoher Stellenwert zu [8]. Der Blick auf den Lebenslauf erweitert die Perspektive und erlaubt es, einen bestimmten gesundheitlichen Status – z. B. Gebrechlichkeit – mit einem Entwicklungs- und Prozessgeschehen zu verknüpfen. Dabei geht es weniger um eine psychologische oder physiologische Sichtweise, sondern um eine soziologische. Werden die Annahmen dazu systematisiert, lassen sich vier Thesen erkennen, die in ihrer Widersprüchlichkeit zeigen, dass die Theorienbildung hierzu eher noch am Anfang steht.

Die Kumulations- bzw. Divergenzthese geht davon aus, dass sich Ungleichheiten mit dem Alter verstärken, was v. a. auf den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheitszustand zurückzuführen ist, da Menschen in höheren sozioökonomischen Positionen gesundheitliche Einschränkungen besser ausgleichen können als solche in niedrigen Positionen. Die Nivellierungs- bzw. Konvergenzthese behauptet eine nachlassende Wirkung sozialer Ungleichheiten mit zunehmendem Alter. Getragen ist diese Auffassung von der Annahme, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sich im Alter gegenüber anderen Faktoren dominant durchsetzen. Die Kontinuitätsthese favorisiert die Vorstellung, dass sich die soziale Ungleichheit im Alter nicht grundlegend verändert, da diese Ungleichheiten in der Lage während der Erwerbsphase verankert sind und sich später nur fortsetzen. Schließlich geht die These der Altersbedingtheit davon aus, dass das Alter selbst als wesentliche Ursache für die soziale Ungleichheit infrage kommt, was v. a. auf die gesundheitlichen Benachteiligungen im Alter zurückzuführen ist [9].

Diese Thesen eröffnen die Frage danach, in welchem Ausmaß früher im Lebenslauf erlebte sozioökonomische Benachteiligungen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen im höheren Alter kompensiert werden können. Zwei Formen des Ausgleichs sind denkbar: Einerseits können Risikofaktoren eliminiert werden. So können etwa negative Effekte von Armut im Alter auf die Lebenserwartung durch eine höhere soziale Sicherung eliminiert werden. Eine zweite Möglichkeit sind ausgleichende Mechanismen („countervailing mechanisms“ [2]), die zu einer Abschwächung der Wirkung des bestehenden Risikofaktors beitragen. Früh erlebte sozioökonomische Benachteiligung führt zwar zu einem Scarring-Effekt, doch können ihre Wirkungen auf die Gesundheit im Alter durch einen hohen Bildungs- oder Erwerbsstatus ausgeglichen werden. Forschungsergebnisse zeigen, dass Divergenz als das Hauptmuster bildungsbedingter Veränderungen der Gesundheit im Alter angesehen werden kann. Die gesundheitlichen Unterschiede zwischen Hoch- und Niedriggebildeten vergrößern sich im Alter für die Indikatoren Greifkraft, Einschränkungen bei Aktivitäten und instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens sowie in der Mobilität, bei depressiven Symptomen, numerischen Fähigkeiten und zeitlicher Orientierung. Für vereinzelte Indikatoren sind jedoch auch kontinuierliche Muster (Anzahl chronischer Krankheiten, subjektive Gesundheitseinschätzung, Gedächtnis) und konvergierende Verläufe bildungsbedingter Gesundheitsunterschiede zu beobachten [9, S. 207]. Als bedeutsam für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter gelten außerdem zwischenmenschliche Kontakte. Diese haben im Unterschied zu anderen Lebensphasen eine deutlich höhere Bedeutung. Es sind sowohl die Anzahl sozialer Kontakte als auch die Qualität der sozialen Beziehungen mit Morbidität und Mortalität assoziiert. Je höher das Lebensalter, desto kleiner ist das soziale Netzwerk. Das hat insbesondere unter Bedingungen von Gebrechlichkeit ungünstige Auswirkungen auf die Lebensqualität [7, S. 261 f.].

Und welche gesellschaftlichen bzw. politischen Konsequenzen haben Ungleichheiten in der Lebenserwartung? In diesem Zusammenhang wird von Ökonomen wie Thomas Piketty [14] die Annahme zurückgewiesen, dass die höhere Lebenserwartung zu einer Substitution des „Klassenkampfes“ führe und stattdessen ein „Kampf der Generationen“ stattfinden werde. Piketty versucht vielmehr zu belegen, dass die Vermögensungleichheit hauptsächlich eine Ungleichheit innerhalb einer jeden Altersgruppe ist und für die Egalisierung der Lebensbedingungen und damit der Unterschiede in der Lebenserwartung primär die Ausbreitung von Wissen und Qualifikation entscheidend sind.

Die Beiträge in diesem Themenschwerpunkt beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit im höheren Lebensalter und geben dabei einen Einblick in Forschungsansätze und ihre Entwicklung in den letzten Jahren und in neuere Befunde zur Sterblichkeit im Kontext sozialer Ungleichheit.

Alina Schmitz gibt in ihrem Beitrag einen Überblick über theoretische Perspektiven und methodische Herausforderungen in der Erforschung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter. Es zeigt sich, dass zwar einige Studien zur Beschreibung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter auch im europäischen Vergleich existieren, Studien zur Erklärung sozialer Gradienten allerdings weit seltener sind. Allgemein bestehen jedoch Einschränkungen bezüglich der Aussagekraft vieler Studien aufgrund oftmals selektiver Querschnittsstichproben und unterschiedlicher Operationalisierungen.

Matthias Bopp und Johan Mackenbach bereiten in ihrem Artikel die wichtigsten Forschungsresultate der letzten 30 Jahre zur gesamt- und ursachenspezifischen Sterblichkeit aus europäischen Ländervergleichen auf. Die publizierten Ländervergleiche zeigen einerseits konsistente Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder mit erheblichen niedrigeren Mortalitätsraten bei statushöheren Gruppen, die sich über den Beobachtungszeitraum zumindest in absoluten Zahlen verringert haben. Andererseits bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen den europäischen Ländern. Im europäischen Vergleich sind die Unterschiede im Süden Europas am geringsten und im Osten am größten.

Johannes Klotz, Tobias Göllner und Nicole Gumprecht untersuchen in ihrem Beitrag den Einfluss von sozioökonomischen Ungleichheiten auf die Sterblichkeit von hochaltrigen Männern in Österreich (80–99). Dazu wurden Daten der Registerzählung mit Steuer- und Sozialversicherungsdaten sowie den Sterbefällen innerhalb von fünf Jahren nach der Zählung 2011 verknüpft. Die Ergebnisse zeigen, dass auch bei hochaltrigen Männern die Mortalität v. a. vom Bildungsstand beeinflusst wird. Die Einkommensunterschiede stellen eher einen Armutseffekt dar. Entscheidend für die Sterblichkeit im hohen Alter ist die Gesundheit, die sich nach dem sozioökonomischen Status unterscheidet. Der Beitrag liefert erstmals Daten zu sozialen Ungleichheiten bezüglich der Sterblichkeit hochaltriger Männern.