Mit diesem thematischen Schwerpunkt zum Themenbereich Schmerz und Alter sollen weniger bekannte Akzente der Schmerztherapie in den Fokus geholt werden, die in anderen Publikationen nicht oder nicht mehr benannt werden. Hierzu zählen für dieses Heft die Themen:

  • nichtmedikamentöse Schmerztherapie bei chronischem Schmerz,

  • Schmerz im Umfeld von Schlaf und gestörtem Schlaf,

  • Schmerz im Alter aus schmerztherapeutischer Sicht.

Für den interdisziplinären Charakter dieses Schwerpunktheftes freut es mich besonders, dass mehrere Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin unterschiedlicher FachgesellschaftenFootnote 1 ihre Beiträge beisteuern. Frau Dr. Drebenstedt schreibt aus der Sichtweise einer Chefärztin für internistische Geriatrie sowie als Mitglied des Arbeitskreises Schmerz und Alter der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und ist zudem spezialisierte Schmerztherapeutin und Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Herr Dr. med. Dipl. Lic. Psych. Horlemann ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V., Allgemeinmediziner und spezialisierter Schmerztherapeut. Herr Dr. med. Dipl.-Oec. Cegla ist Anästhesist, spezialisierter Schmerztherapeut und Leiter einer Schmerzklinik mit regionalem Zentrumscharakter. Herr PD Dr. Frohnhofen ist Internist, Geriater und Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie sowie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.

Die Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie (ZGG) hat eine kleine, aber immerhin mehrere Jahrzehnte lange Geschichte des thematischen Umgangs mit dem Thema Schmerz im Alter. Von 23 Jahren wurden zuletzt in der ZGG mehrere Publikationen gemeinsam zum Themenbereich Schmerz und Alter veröffentlicht [13, 14, 17, 19, 21, 25, 29, 41, 42]. Diese beleuchteten damals sowohl die Physiologie des Schmerzes, die innere Medizin und inflammatorische Aspekte und das subjektive Schmerzerleben von Senioren mit Schmerz als auch die psychologische Schmerzdiagnostik sowie psychosomatische Aspekte. Seit dem Jahrtausendwechsel wurden 9 Originalarbeiten zum Thema Schmerz im Alter veröffentlicht [5, 12, 22, 23, 26, 32,33,34, 44].

Im Vorfeld dieses Themenschwerpunktes wurde die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Form auch Beiträge zur medikamentösen Therapie von Schmerzen Eingang finden sollten. Dieses konnte aus mehreren Gründen nicht sinnvoll realisiert werden. Zur Begründung muss darauf hingewiesen werden, dass

  1. 1.

    die medikamentöse Therapie von Schmerzen in der ZGG erst kürzlich als CME-Beitrag veröffentlicht wurde [7];

  2. 2.

    Fragen zu Substanzabusus und Suchtgefahren der medikamentösen Therapie im Alter nur in Buchform ausreichend Raum bekommen können [43]; auch dieses wurde in der ZGG kürzlich rezensiert [27];

  3. 3.

    die Opioidkrise in den USA die gesamte medikamentöse Schmerztherapie derzeit überlagert: 300.000 Menschen sind in den USA in der Folge der Opioidkrise verstorbenFootnote 2 [2], deren Ursachen vielschichtig [24] und mit deutschen Verhältnissen nicht vergleichbar sind, aber in der deutschen Fachpresse dennoch erstaunlich wenig Widerhall findet [11, 30]. Auch die Wirkung des in der Krise chemisch reformulierten Opioids ist noch unklar [15]. Die US-amerikanische pharmazeutische Industrie gibt an, derzeit 40 Nichtopioidanalgetika zu entwickeln [40];

  4. 4.

    die Wirkungen [16] und die Einsatzbereiche der Cannabisabkömmlinge [10] noch zu wenig untersucht sind [1], um diese für die Anwendung bei älteren Patienten zu besprechen. Diese Entwicklungen sollten für ein pharmakologisches Update in der ZGG noch eine Weile beobachtet werden.

In Zeiten der translationalen Verortung von Wissensbeständen werden medizinische Altersthemen wie Schmerz auch in anderen nichtgeriatrischen Journalen publiziert, auf die gerne hingewiesen wird [6, 20, 45], da sie interdisziplinär mit Pflegewissenschaftlern und auch kommunal eingebunden erstellt wurden.

Die translationale gemeinsame wissenschaftliche Arbeit ist umso wichtiger, da das Thema „Schmerzen“ für PatientInnen eine überragende Bedeutung hat. Für den exakten Umgang mit diesem Phänomen ist eine konzise Darstellung der Fakten unumgänglich. Dieses ist offensichtlich nicht immer der Fall. Die Bezugnahme auf Menschen mit chronischen Schmerzen findet sich immer öfter auch stark verzerrt in der Öffentlichkeit: Hier treten immer mehr Gesundheitssystembeteiligte mit „ihren eigenen Zahlen“ auf, die sich zur Häufigkeit von chronischen Schmerzpatienten zu Worte melden. Die Unterschiede sind frappierend (Tab. 1).

Tab. 1 Häufigkeitsangaben zu Menschen mit chronischen Schmerzen

Es steht ein Umgang mit Daten von Schmerzpatienten im Raum, der auch Aufsichtsbehörden von Krankenkassen beschäftigt. Dowideit [4] berichtet von einem „Vorwurf, der die Staatsanwaltschaft beschäftigt, […]: Die betroffenen Kassen hätten in den vergangenen Jahren Ärzte und Beratungsfirmen dafür bezahlt, dafür zu sorgen, dass bei Patienten Krankheiten diagnostiziert wurden, die diese vielleicht überhaupt nicht hatten oder die Ärzte deutlich übertrieben darstellten. Zum Beispiel Depressionen oder chronische Schmerzen.“

Die methodischen Schwierigkeiten, chronische Schmerzen methodisch sauber auch nur innerhalb einer Längsschnittstudie zu erfassen, sind lange bekannt. Es besteht „[…] eklatant wenig Übereinstimmung sogar bei den grundlegenden Beschreibungen der Prävalenz von Schmerz“[3]. Die Herausforderungen bestehen aufgrund von Kohorten- und Selektionseffekten, der Zeitschiene („trajectory of prevalence“), der unterschiedlichen Dauer verschiedener Schmerzen und -stärken.

Der Wissensstand zum Thema Schmerz im Alter kann nur interdisziplinär und zeitaufwendig ermittelt werden. In der S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei Menschen in der vollstationären Altenhilfe“ [38] wurden VertreterInnen von mehr als 30 Fachgesellschaften tätig und haben mehr als 5 Jahre gebraucht, um nur für einen kleinen Ausschnitt, nämlich den Sektor Pflegeheim und Assessment, eine Leitlinie zu formulieren [37].

Für die klinische geriatrische Arbeit sowie für die ambulante geriatrische Tätigkeit fehlen diese Leitlinien noch. Eine DEGAM-Leitlinie „Chronischer Schmerz“ war nur bis zum 30.09.2018 gültig (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin, AWMF-Registernummer 053-036).

Die Autoren dieses Schwerpunktes decken einen breiten Bereich der praktischen algesiologischen und geriatrischen Alltagsarbeit ab.

Frau Drebenstedt beschreibt in ihrer Übersicht die externe Evidenzlage nichtpharmakologischer Therapieverfahren zur Schmerzlinderung: Physiotherapie, Massage, Thermo- und Elektrotherapie, Akupunktur und manuelle Therapie und Musiktherapie. Aufgrund der insgesamt raren Studienlage zu diesen Verfahren kann ein langfristig verbessertes Outcome oft nicht oder nicht mehr nachgewiesen werden. Das heißt aber nicht, dass diese „schwachen Effekte oder Empfehlungen“ diese Methoden zukünftig ausschließen. Hier ist eine methodisch klarstellende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hilfreich, die im Umfeld „Cannabis und Fibromyalgiesyndrom“ [10] publiziert wurde.

Bereits der gesunde ärztliche Erfahrungspool (und die damit verbundene interne Evidenz) legen nahe, diese „komplementären/integrativen“ Verfahren zur Schmerzlinderung zu nutzen. Diese haben nicht nur historischen Wert [18], sondern werden auch in anderen Professionen gelehrt [8, 9] und von hochstrukturierten Gesundheitseinrichtungen, die ein hohes Aufkommen von Schmerzpatienten haben, wie z. B. der US-amerikanischen Veteranenzentren, gefördert, wie Taylor et al. [39] berichteten. An einem (retrospektiv ausgewerteten) Datensatz von 530.216 Individuen ermittelten die Autoren, dass die Nutzungsquote „komplementär/integrativer“ Verfahren bei muskuloskeletalen Schmerzpatienten bei 27 % lag. Hierbei wurden 15 % Meditation, 7 % Yoga, 6 % Akupunktur, 5 % Chiropraktik, 3 % Biofeedback, 2 % Tai-Chi, 2 % Massage und 0,2 % Hypnose als Nutzungsmuster herausgearbeitet.

Frau Drebenstedt kommt zu ihrem Fazit, dass „neben medikamentöser Schmerztherapie die nichtmedikamentösen Therapieverfahren einen festen Platz in der Therapie chronischer Schmerzen haben“. Es ist zu hoffen, dass noch neuere Studien hierzu durchgeführt werden, denn die Empfehlungslage wird positiver, wenn man den Empfehlungen des American College of Physicians folgt [28], in der auch Massage und Wärmetherapie als „recommendation 1“ ihren Platz teilweise zurückerobert haben.

Herr Frohnhofen beschreibt die „Zweierbeziehung von Schmerz und Schlaf“, in der gestörter Schlaf die Schmerzwahrnehmung durch Absenkung der Schmerzschwelle beeinflusst, und dass Schmerzen den Schlaf stören. Er beschreibt die Assoziationen von Schlafentzug und veränderter Schmerzprozessierung im ZNS, außerdem die Hypothesenbildung zur Schlafminderung als kausalen Faktor der Schmerzentstehung. Der Autor skizziert einen Weg, ein optimales Management beider Störungen durch ein erweitertes Assessment – also inklusive Schlaf- als auch Schmerzdiagnostik – bei älteren Menschen zu betreiben.

Das verbindende Element zwischen den Themenbereichen der Autoren Drebenstedt (nichtmedikamentöse Therapie) und Frohnhofen (Schlaf und Schmerz) könnte aus schmerzrehabilitativer Sicht im Bereich des pathologisch erhöhten Muskeltonus von schlafgestörten Patienten liegen.

Bereits der Volksmund spricht von „zerschlagen sein“, z. B. am Morgen nach einem Nachtdienst oder als PatientIn nach verlängerter Bettruhe („extended muscle disuse in bed rest“). Einer Arbeitsgruppe der Charité ist es kürzlich gelungen, den Zusammenhang zwischen Muskeln, Faszien und Bettruhe bioptisch, anatomisch und immunhistochemisch etwas zu erhellen [31], der bereits seit Längerem bekannt ist [35, 36]. Diese Ergebnisse sind mit dem in der Geriatrie lange bekannten Bewegung-Muskel-Paradigma „use it or loose it“ gut vereinbar, mit dem Phänomen Schmerz aber wenig bis kaum verbunden.

Die schmerztherapeutische Perspektive sowohl aus allgemeinmedizinischer als auch anästhesiologischer Warte formulieren die Herren Cegla und Horlemann in ihrem Beitrag. Sie zeigen auf, dass z. B. bei älteren Patienten in Schmerzambulanzen fast die Hälfte aller Schmerzereignisse den Bewegungsapparat betreffen, ca. 30 % neuropathischen Charakters sind und ca. 18 % tumorassoziiert sind. Zu Gelenkschmerzen führen sie aus, dass „vorrangig nichtmedikamentöse Verfahren in der Physiotherapie sowie physikalische Therapien angewendet werden sollten“. Sie beschreiben die Herausforderungen der Versorgungsrealität bei Menschen mit Demenz ebenso wie bei Niereninsuffizienz und geben Empfehlung zur Pharmakotherapie aus anästhesiologischer Sicht.

Als Herausgeber freue ich mich, dass aus allen drei genannten „Nachbargesellschaften“ (DGSS, DGSM, DGS) namhafte Autoren ihre Expertise beigesteuert haben und hoffe auf einen fruchtbaren Trialog.

Mit besten Grüßen

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R. Thiesemann