Viele Augenerkrankungen sind Volkskrankheiten, und die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen stellt eine große Herausforderung insbesondere in einer alternden Gesellschaft dar, nicht zuletzt für die Augenheilkunde. Die Versorgungsforschung betrachtet, wie die Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen geschieht und wie sie verbessert werden kann. Sie wendet hierbei ein breites Spektrum an Methoden an, um die zugrunde liegenden Mechanismen der Versorgung zu verstehen und Lösungsansätze zur Verbesserung daraus abzuleiten.

Bis 2030 werden etwa 50 % mehr Patienten erwartet

Sehen ist ein hohes Gut und für die soziale Interaktion, Mobilität und Alltagsgestaltung von großer Bedeutung. Dies wird auch international so gesehen. Die „Global Burden of Disease“-Studie hat einer schweren Sehbeeinträchtigung eine ähnliche Bedeutung gegeben wie dem Verlust eines Gliedmaßes [1]. Zudem stellt die Augenheilkunde die Fachrichtung mit der höchsten fachärztlichen Inanspruchnahme durch ambulante Patienten nach der Gynäkologie und der Zahnheilkunde dar. Wie in der „DOG Roadmap 2020“ angeführt, werden etwa 50 % mehr Patienten bis 2030 erwartet [2]. Um diesen Anforderungen gewachsen zu sein, ist es notwendig, vorhandene Ressourcen bestmöglich einzusetzen und ggf. neue zu erschließen.

Im ersten Beitrag des Leitthemas von Köberlein-Neu et al. geht es um die Verwendung und den Stellenwert von selbst berichtetem Sehvermögen in der Versorgungsforschung. Die vom Patienten vorgenommene Bewertung und objektiv gemessene klinische Parameter stimmen nicht immer überein, was die Verwendung zur Beurteilung der objektiven Sehfunktion infrage stellt. Die Autoren argumentieren, dass jedoch oft unberücksichtigt bleibt, dass das selbst berichtete Sehvermögen weit mehr misst, als die direkt ableitbaren Informationen zur Sehfunktion bei der augenärztlichen Untersuchung. Die Bedeutung und mögliche Anwendung für die Versorgungsforschung und -praxis als Indikator für die Qualität der Versorgung in ihrer Ganzheitlichkeit werden in dem Beitrag erläutert.

Im zweiten Beitrag des Leitthemas von Li et al. werden Register und deren Anwendung in der Augenheilkunde dargestellt. Medizinische Register liefern sog. Real-life-Daten und sind dadurch sehr relevant für die Versorgungsforschung, v. a. bei seltenen Erkrankungen. Obwohl die Augenheilkunde mit vielen selteneren Erkrankungen eigentlich besonders geeignet für Registerstudien erscheint, gibt es bislang nur sehr wenige Registerstudien, insbesondere in Deutschland. Am Beispiel der nichtinfektiösen Uveitis posterior wird dargestellt, wie Register und Registerstudien sich nutzen lassen, um den umfangreichen Bedarf an Daten zu Therapie, Risikofaktoren für Progression und Langzeitverläufen bei selteneren Erkrankungen zu decken.

Einen anderen Ansatz, nämlich die Verwendung von Routineabrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen zur Analyse der augenärztlichen Versorgungssituation, erläutern Schuster et al. im dritten Beitrag des Leitthemas. Sie präsentieren Daten von der AOK Baden-Württemberg zur Inanspruchnahme augenärztlicher Gesundheitsleistungen bei über 60-Jährigen. Im Detail wird dargestellt, wie sich Alter, Geschlecht und Pflegebedarf auf die Inanspruchnahme von augenärztlichen Gesundheitsleistungen auswirken.

Dieses Leitthema zeigt auf, wie vielschichtig augenärztliche Versorgungsforschung ist und welche Ansätze es gibt, die derzeitige Versorgungssituation zu analysieren und Empfehlungen hieraus abzuleiten, sodass die Augenheilkunde auch in einer Zukunft voller Herausforderungen eine bestmögliche Versorgung leisten kann.

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Univ.-Prof. Robert P. Finger

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Univ.-Prof. Alexander Schuster