Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrages ...

  • wissen sie, wie häufig eine Ablatio retinae vorkommt,

  • kennen sie die wichtigsten Risikofaktoren zur Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung,

  • ist Ihnen bekannt, welche augenärztliche Eingriffe eine rhegmatogene Netzhautablösung begünstigen können,

  • sind Ihnen Risikofaktoren für die Progression einer Ablatio retinae geläufig.

Einleitung

Die Netzhautablösung (Ablatio retinae) gehört zu den wichtigsten ophthalmologischen Notfällen, da sie, un- oder insuffizient behandelt, meist zur Erblindung führt.

Bei der Betrachtung der Häufigkeit und Risikofaktoren einer Netzhautablösung ist es wichtig, die häufigste rissbedingte (rhegmatogene) Form von den selteneren traktiv bedingten und der exsudativen Ablatio retinae abzugrenzen, da sich diese hinsichtlich ihrer Pathophysiologie, Häufigkeit und Risikofaktoren deutlich voneinander unterscheiden.

Dieser Übersichtsbeitrag behandelt die Epidemiologie und Risikofaktoren der rhegmatogenen Ablatio retinae.

Epidemiologie und mögliche Einflussfaktoren

Eine genaue Angabe der Inzidenz der rhegmatogenen Netzhautablösung ist nicht möglich, da die Datenlage dazu sehr uneinheitlich ist. Die mittlere Inzidenz der rhegmatogenen Ablatio wird mit etwa 6 bis 18 Fällen pro 100.000 Einwohner jährlich angegeben, womit die Angaben um das 3‑Fache variieren. Die doch deutlichen Unterschiede in den Angaben zur Häufigkeit der Ablatio retinae ergaben sich je nach Größe des untersuchten Patientenkollektives, dem Alter der Betroffenen, der Rasse sowie der geografischen Herkunft der erhobenen Daten. Eine große Übersichtsarbeit von Mitry et al. [1], die epidemiologische Daten von fast 40 Jahren (1970 bis 2009) aus 14 Studien untersuchte, ergab eine mittlere Inzidenz von 10,5 Fällen pro 100.000 Einwohner jährlich. Die Häufigkeit an bilateralen Ablösungen betrug knapp 7 %. Ein direkter Vergleich dieser Daten ist aufgrund der unterschiedlichen Patientenkollektive, Einschlusskriterien, Analysemethoden und Falldefinitionen jedoch schwierig anzustellen.

Alter und hintere Glaskörperabhebung

Die rhegmatogene Ablatio entsteht aufgrund eines durchgreifenden Netzhautdefektes über den verflüssigter Glaskörper in den (virtuellen) subretinalen Raum eindringt und die Netzhaut von der Unterlage ablöst. Diese Löcher entstehen meist mechanisch infolge vitreoretinaler Traktionen im Rahmen einer hinteren Glaskörperabhebung („posterior vitreous detachment“ [PVD]). Atrophe Rundlöcher schreiten wesentlich seltener zu einer Netzhautablösung fort [2]. Der physiologische Prozess der Glaskörperabhebung stellt somit einen wesentlichen Risikofaktor für die Entstehung durchgreifender Netzhautdefekte dar. Typischerweise steigt die Prävalenz einer hinteren Glaskörperabhebung mit dem Alter an. Am häufigsten tritt diese im Alter zwischen 45 und 65 Jahren auf, bei Myopie jedoch früher. Eine PVD vor dem 30. Lebensjahr ist selten, sofern keine okulären Begleiterkrankungen wie eine hereditäre Vitreoretinopathie, ein vorangegangenes Trauma oder eine Uveitis vorliegen [3].

Der PVD liegt ein natürlicher Alterungs- und Umbauprozess des Glaskörpers zugrunde, der zu einer Verflüssigung des Gels und zur Bildung von flüssigkeitsgefüllten Lakunen führt. Der Glaskörper ist ein gelartiges, transparentes Bindegewebe, das zu 99 % aus Wasser und Hyaluronsäure und knapp 1 % aus Kollagen besteht. Das Kollagengerüst des Glaskörpers besteht zu ca. 60–75 % aus Kollagenfasern Typ II, zu ca. 25 % aus Kollagenfasern Typ IX und ca. 10–25 % aus Kollagenfasern Typ V/XI. Mit zunehmendem Alter reduziert sich der Anteil an Kollagenfasern Typ IX, die für die Stabilität des Kollagenfasergerüstes und als Abstandshalter zwischen den einzelnen anderen Kollagenfasern zuständig sind. Dadurch kommt es zu einer zunehmenden Kondensation von Kollagenfaserbündeln, die mit einem Einstrom von Flüssigkeit zwischen den Bündeln einhergeht. Das hat eine zunehmende „Verflüssigung“ des Glaskörpers zur Folge, die gleichzeitig mit einer Schwächung der Adhäsion zwischen der hinteren Glaskörpergrenzmembran und der Membrana limitans interna (ILM) einhergeht [4]. Tatsächlich besteht nach dem 60. Lebensjahr eine starke Korrelation zwischen dem Ausmaß der Glaskörperverflüssigung und der Prävalenz der PVD [5, 6]. Demzufolge müsste das Risiko für eine Netzhautablösung mit zunehmendem Alter immer weiter ansteigen. Allerdings konnte durch Sebag et al. [6] gezeigt werden dass dieses Risiko v. a. bei einer inkompletten hinteren Glaskörperabhebung mit fokalen vitreoretinalen Adhärenzen und Traktionen besteht. Eine große Untersuchung aus Peking zeigte, dass eine solche inkomplette und nichtphysiologische PVD besonders bei jüngeren Patienten auftrat mit einer deutlich geringeren Prävalenz bei der älteren Bevölkerung zwischen dem 75. und 80. Lebensjahr [7]. Das Risiko, einen durchgreifenden Netzhautdefekt im Rahmen einer symptomatischen PVD (mit der Symptomatik von Blitzen, „floaters“, Schatten) zu entwickeln, wird mit knapp 8 bis über 20 % angegeben [8]. Das Risiko, aus einem so entstandenen Netzhautdefekt eine Netzhautablösung zu entwickeln, wird bei asymptomatischen Defekten mit 5 % und bei symptomatischen Defekten mit 30–50 % angegeben [9, 10]. In mehreren Arbeiten wurde ein deutlicher Zusammenhang zwischen höherem Alter und einer höheren Inzidenz an phaken, nichttraumatischen rhegmatogenen Ablationes nachgewiesen [11, 12, 13, 14]. Das größte Risiko findet sich im 6 und 7. Lebensjahrzehnt, wobei in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen Inzidenzen von 19 bis 27/100.000 publiziert wurden [11, 12, 13, 14, 15]. Van de Put et al. [16] aus den Niederlanden fanden sogar eine noch höhere Inzidenz von 53 pro 100.000 in der Altersgruppe zwischen 55 und 59 Jahren. Es wird postuliert, dass das Risiko für eine rhegmatogene Netzhautablösung bei über 60-Jährigen gegenüber einer normalsichtigen Kohorte unter 30 Jahren bis zu 20-fach erhöht ist [17, 18]. Einschränkend ist zu erwähnen, dass auch im Risikokollektiv der über 60-Jährigen deutliche geografische Unterschiede in den Inzidenzangaben bestehen [1]. In der 6. Lebensdekade (50. bis 59. Lebensjahr) finden sich die höchsten Inzidenzraten, die dann im höheren Alter wieder langsam abfallen. Mitte der 8. Lebensdekade, um das 75. Lebensjahr, scheint das Risiko für eine rhegmatogene Netzhautablösung wieder abzusinken, möglicherweise weil der Prozess der hinteren Glaskörperabhebung meist schon abgeschlossen ist und damit das Risiko für die Entstehung neuer Netzhautdefekte wieder absinkt [16]. Vielleicht spielen jedoch auch andere Gesundheitsfaktoren eine Rolle, warum die Zahl der rhegmatogenen Ablationes im höheren Alter zurückgeht. So lag die mittlere Lebenserwartung in England im Jahr 2010 bei Männern bei 78,2 Jahren und bei Frauen bei 82,3 Jahren was sicherlich die altersabhängigen Prävalenzzahlen beeinflusst [19].

Zusammenfassend nimmt das kumulative Risiko für die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung mit zunehmendem Alter zu, wobei eine doppelgipflige Verteilung dokumentiert worden ist. Der erste Gipfel findet sich im 3. Lebensjahrzehnt zwischen 20 und 30 Jahren wahrscheinlich aufgrund der Patienten mit hoher Myopie, die relativ früh eine rhegmatogene Netzhautablösung bekommen können. Der zweite Gipfel findet sich im 7. Lebensjahrzehnt zwischen dem 60. und 69. Lebensjahr in zeitlicher Koinzidenz mit dem Anstieg der Inzidenz einer hinteren Glaskörperablösung in der Gesamtbevölkerung.

Rhegmatogene Ablatio im Kindes- und Jugendalter

Im Kindes- und Jugendalter ist die primäre rhegmatogene Netzhautablösung deutlich seltener als im Erwachsenenalter. Bei Kindern und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren werden die niedrigsten Inzidenzzahlen mit 0,4–2,9 Fällen pro 100.000 erhoben [11, 12, 17, 20, 21, 22]. Als häufigste Risikofaktoren wurden vorangegangene okuläre Traumata sowie Myopie identifiziert. Des Weiteren findet sich bei Kindern wesentlich häufiger eine Assoziation zu einer Systemerkrankung und hereditären Vitreoretinopathien (s. dort) sowie zu okulären Entwicklungsanomalien, wobei dieser Zusammenhang besonders bei bilateralen Netzhautablösungen auffällig ist [23, 24].

Geschlecht

Männer sind mit einer Ratio von 1,3:1 bis 2,3:1 (m:w) häufiger von rhegmatogenen Netzhautablösungen betroffen als Frauen [13, 16, 17, 19, 25, 26]. Einzelne Untersuchungen wiesen jedoch ein häufigeres Auftreten bei Frauen in der phaken nichttraumatischen Gruppe (Ratio m:w = 1,14:1,4) auf [14, 18]. Eine große Untersuchung aus Singapur ergab, dass Männer doppelt so oft einer operativen Sanierung einer Ablatio bedürfen. Es ist nicht geklärt, ob dies auf ein geschlechtsspezifisches Risiko oder die höhere Rate an vorangegangenen okulären Traumata zurückzuführen ist [22]. Selbst wenn okuläre Traumata als Ausschlusskriterium berücksichtigt wurden, zeigte sich eine deutliche Präferenz des männlichen Geschlechts [19]. Weitere Faktoren, die dazu beitragen könnten, dass Männer häufiger von rhegmatogenen Ablationes betroffen sind, sind, dass der Anteil an Myopien unter jungen Männern höher ist [1], sowie eine stärkere Ausdehnung und vitreoretinale Adhärenz der Glaskörperbasis bei Männern [27].

Geografische Unterschiede

Die Angaben zur Inzidenz der rhegmatogenen Ablatio unterscheiden sich je nach geografischer Herkunft der erhobenen Daten zum Teil erheblich. Die ersten populationsbezogenen Untersuchungen dazu wurden in den 1970er-Jahren in Iowa und Minnesota (USA) durchgeführt. Trotz erheblicher Unterschiede in der Größe der untersuchten Kollektive ergaben beide Untersuchungen eine jährliche Inzidenz von etwa 12/100.000/Jahr [11, 28]. In Finnland und Schweden wurden zu dieser Zeit jedoch Daten publiziert, die deutlich geringere Inzidenzen zwischen 5,4 und 8,5 Fällen pro 100.000 ergaben [18, 29]. In Singapur wurde über 4 Jahre eine konstante Inzidenz von 10,5 Fällen pro 100.000 und Jahr erhoben [22]. Interessanterweise wurde in 2 chinesischen Publikationen aus Peking und Shanghai ein deutlicher Unterschied in der Inzidenz festgestellt (7,9 vs. 14,4/100.000), obwohl der Anteil an Myopien in beiden Kollektiven gleich hoch war (66–68 %). Die Arbeit aus Shanghai wies zusätzlich eine deutliche Zunahme der jährlichen Inzidenz von 11,3 auf 17,9/100.000 über den Beobachtungszeitraum von 4 Jahren auf [12, 15]. Selbst auf kleinstem Raum konnten deutliche Unterschiede in den Angaben zur Inzidenz festgestellt werden. So ergab eine englische Untersuchung, dass die Inzidenz in Wolverhampton in Großbritannien mit 11,3 pro 100.000 fast doppelt so hoch wie im 13 km entfernten Walsall mit 6,3 pro 100.000 über 5 Jahre war [13]. Eine holländische retrospektive Registerstudie aus dem Jahr 2013, die 16 Mio. Daten analysierte, ergab die bisher höchste Inzidenz mit 18,2 Fällen pro 100.000 [16].

Bevölkerungsherkunft und Ethnizität

Die ethnische Herkunft und Rasse scheinen die Inzidenz der rhegmatogenen Ablatio deutlich zu beeinflussen, wobei die Ursachen hierfür unklar sind. Es wurde mehrfach beobachtet, dass Kaukasier eine höhere Inzidenz einer rhegmatogenen Ablatio haben als Inder sowie ostasiatische Bevölkerungen anderer Ethnizität [13, 19, 22]. Allerdings ist bei Asiaten die Myopie häufiger und stärker ausgeprägt (durchschnittlich −6,1 dpt bei Asiaten vs. – 4,2 dpt bei Kaukasiern), und die Netzhautablösungen entwickelten sich in Asien in jüngerem Alter sowie mit schwereren Verlaufsformen [19]. Die Beobachtung dass rhegmatogene Netzhautablösungen bei Asiaten bereits in jüngerem Lebensalter auftreten, wurde mehrfach dokumentiert. So lag das mittlere Alter von Patienten mit rhegmatogener Netzhautablösung bei Chinesen, Malayen und Indern in Singapur lediglich bei 46,1 Jahren [25], in einer indischen Population sogar bei nur 38,8 Jahren [30]. Eine weitere Untersuchung der Einwohner in Singapur ergab eine 3‑fach erhöhte Inzidenz für Chinesen verglichen mit der indischer Einwohner (11,9:100.000 vs. 3,9:100.000), obwohl nur minimale Unterschiede hinsichtlich möglicher Risikofaktoren wie Myopie, äquatorialen Degenerationen, vorangegangenen Operationen oder okulären Traumata bestanden [22]. Bereits mehrfach wurde aufgezeigt, dass die Inzidenz unter dunkelhäutigen Afrikanern geringer ist verglichen mit der von Kaukasiern, wobei hier Inzidenzen von unter 1 pro 100.000 pro Jahr angegeben wurden [31, 32, 33]. Die Ursache für diese auffallend niedrige Inzidenz ist nicht bekannt, eine stärkere Adhäsion der Netzhaut zum retinalen Pigmentepithel Dunkelhäutiger wird jedoch postuliert [34].

Jahreszeit und Klima

Sowohl Jahreszeit als auch Klima scheinen einen Einfluss auf die Häufigkeit der rhegmatogenen Ablatio zu haben. So zeigte sich in mehreren Arbeiten ein häufigeres Auftreten in den Sommermonaten mit einem relativen Rückgang in den Wintermonaten [29, 35, 36, 37, 38]. Dabei wird ein möglicher Zusammenhang mit der erhöhten Tageslichtexposition im Sommer mit Veränderungen der Glaskörperstruktur und der vitreoretinalen Adhäsion diskutiert. Außerdem könnte auch die in den Sommermonaten verstärkte körperliche Aktivität im Freien eine Rolle spielen. Andere Arbeiten zeigten jedoch entweder keine saisonalen Schwankungen oder sogar eine Häufung in den Wintermonaten beispielsweise im Staat Kuwait [15, 18, 39]. Hierzu ist zu erwähnen, dass in Kuwait aufgrund der großen Hitze im Sommer eher der kühlere Winter zu mehr Außenaktivitäten und Tageslichtexposition animiert, was diese Trendumkehr erklären könnte [36].

Des Weiteren wird diskutiert, ob klimatische Faktoren einen Einfluss auf die Inzidenz der rhegmatogenen Netzhautablösung haben können. So wurde ein direkter Zusammenhang zwischen einer erhöhten durchschnittlichen Außentemperatur und einem vermehrten Auftreten von rhegmatogenen Netzhautablösungen vermutet [39]. Es wird angenommen, dass warme Temperaturen eine Verflüssigung des Glaskörpers begünstigen, während Kälte eher protektiv wirkt [36]. Eine rezente Publikation aus Kanada zeigte jedoch kein erhöhtes Risiko für eine rhegmatogene Ablatio nach kurzfristiger Exposition in höheren Temperaturen. Interessanterweise war in dieser Untersuchung jedoch das Risiko für traktionsbedingte Ablationes besonders bei unter 75-Jährigen erhöht ([40]; Tab. 1).

Tab. 1 Übersichtstabelle zu den Inzidenzen und Risikofaktoren

Risikofaktoren zur Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung

Myopie und Achsenlänge

Die Myopie ist seit Langem ein gesicherter und wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung rhegmatogener Netzhautablösungen [41]. Dieser Zusammenhang ist besonders bei jüngeren Myopen bekannt, die auch ein erhöhtes Risiko für bilaterale Netzhautablösungen aufweisen [1, 12, 42]. Als maßgebende Faktoren werden neben einer verstärkten und oft frühzeitigen Verflüssigung des Glaskörpers eine bereits im jüngeren Alter stattfindende, oft anomale hintere Glaskörperabhebung sowie das häufigere Auftreten von peripheren Netzhautdegenerationen angeführt [2, 6]. Mehr als die Hälfte der nichttraumatischen rhegmatogenen Ablationes geht mit einer Myopie einher, wobei das Risiko für eine Netzhautablösung mit zunehmender Achsenlänge steigt [42, 43].

So zeigte sich im Vergleich mit normalsichtigen Augen das Risiko für eine Netzhautablösung bei Augen mit einer milden Myopie von −1 bis −3 dpt 4‑fach erhöht. Bei höheren Myopien über −3 bis −6 dpt war das Risiko sogar bis auf das 10-Fache erhöht [42]. Interessanterweise ist die Inzidenz der rhegmatogenen Netzhautablösungen im asiatischen Raum kaum höher als in Europa, obwohl die Prävalenz der Myopie dort um den Faktor 1 1/2 bis 2 höher ist. Dies ist möglicherweise auf weitere Faktoren sowie ethnische Einflüsse zurückzuführen [1]. Nach Auswertung von Registerdaten, basierend auf einem Datensatz von 2,6 Mio. pseudophaken Augen über 4 Jahre, wurden die hohe Myopie (Achsenlänge ≥26 mm), das jüngere Alter und das männliche Geschlecht als wichtigste Risikofaktoren für die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung nach Kataraktoperation identifiziert [44].

Periphere Netzhautdegenerationen

Es wurde vielfach angenommen, dass Areale der Netzhaut mit verstärkter vitreoretinaler Adhärenz, wie beispielsweise „retinal tufts“, meridionale Komplexe oder Orabuchten zur Entstehung von durchgreifenden Netzhautdefekten im Rahmen einer PVD prädisponieren können. Allerdings zeigte sich, dass sie eher selten mit einer rhegmatogenen Ablatio assoziiert sind und ein nur geringes Progressionsrisiko von unter 2 % aufweisen [2]. Außerdem werden solche peripheren Netzhautveränderungen in epidemiologischen Studien kaum oder gar nicht erfasst, was eine sichere Aussage diesbezüglich erschwert. Der Zusammenhang der rhegmatogenen Ablatio mit der gittrigen oder äquatorialen Degenerationen (ÄD, „lattice degeneration“) ist deutlich besser dokumentiert. Die ÄD ist insgesamt die häufigste vitreoretinale Degeneration, wenn gleich ihre Pathogenese noch immer unklar ist. Ihre Häufigkeit wird in der Gesamtpopulation mit 6 bis knapp 10 % angegeben, wobei sie in bis zu 45 % bilateral auftritt und ihre Häufigkeit mit steigender Achsenlänge (bis über 30 mm) und Myopie über −3 dpt auf bis zu 15 % ansteigt [45, 46]. Etwa 30 % aller Patienten mit primären rhegmatogenen Netzhautablösungen zeigen auch ÄD. Dennoch entwickelt nur ein geringer Anteil der Patienten mit ÄD eine rhegmatogene Netzhautablösung. So konnte Byer [47] mit seinen sehr wertvollen Beobachtungsserien von fast 25 Jahren zeigen, dass bei Patienten mit ÄD ein nur sehr geringes Risiko für die Entstehung eines Netzhautrisses mit nachfolgender Netzhautablösung besteht (1 %). Das Risiko war jedoch besonders bei jüngeren Patienten sowie bei höherer Myopie erhöht. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass Patienten mit ÄD an einem Auge ein deutlich höheres Risiko für die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung aufwiesen, wenn sie zuvor am Partnerauge bereits eine Netzhautablösung gehabt hatten [48]. Daher wird in solchen Fällen meist auch eine prophylaktische Laserkoagulation der ÄD am Partnerauge empfohlen.

Hereditäre Vitreoretinopathien

Einige erbliche Erkrankungen des Kollagenstoffwechsels, die den Glaskörper und die vitreoretinale Adhärenz betreffen, sind mit einem erhöhten Risiko für rhegmatogene Ablationes assoziiert. Beispiele hierfür sind die Stickler‑, Marfan- und Ehlers-Danlos-Syndrome sowie eine Reihe von seltenen hereditären vitreoretinalen Dystrophien (Wagner-Syndrom, erosive Vitreoretinopathie u. a.), die alle mit einer frühzeitigen und deutlich beschleunigten sowie verstärkten Verflüssigung des Glaskörpers einhergehen, während Anteile des nicht komplett verflüssigten Glaskörpers an der Netzhaut fest adhärent bleiben im Sinne einer anomalen Glaskörperablösung [49]. Als Resultat dieses Ungleichgewichtes entstehen starke vitreoretinale Traktionen mit einer hohen Inzidenz an großen Netzhautdefekten und Netzhautablösungen. Das Stickler-Syndrom ist die häufigste hereditäre Vitreoretinopathie, die mit einer erhöhten Rate an rhegmatogenen Netzhautablösungen im Kindesalter einhergeht [50]. Dabei werden zumindest 4 Subtypen je nach betroffenem Gen, Erbgang und phänotypischer Ausprägung unterschieden. Die Patienten zeigen häufig charakteristische Gesichtsdysmorphien infolge einer Mittelgesichtshypoplasie, Gaumenspalten und oft einen marfanoiden Riesenwuchs mit skeletalen Anomalien und Arthropathien sowie variablem Hörverlust [51]. Die meisten Patienten sind von Geburt an kurzsichtig. Dabei handelt es sich häufig um hohe, jedoch nicht progrediente Myopien [49, 50]. Morphologische Veränderungen im Aufbau und der Zusammensetzung des Glaskörpers mit dem Bild des „leeren Glaskörpers“ sind pathognomonisch für diese syndromalen Vitreoretinopathien. Das Risiko, dass Betroffene im Laufe ihres Lebens eine rhegmatogene Netzhautablösung erleiden, wird mit knapp 50 % angegeben. Bilaterale Riesenrisse der Netzhaut sind häufig die Ursache für konsekutive bilaterale rhegmatogene Netzhautablösungen, sodass in diesen Fällen prophylaktische Netzhautkoagulationen der betroffenen Areale empfohlen werden [50].

Eine weitere Gruppe zumeist hereditärer retinaler Gefäßerkrankungen (familiär exsudative Vitreoretinopathie [FEVR], Morbus Eales, Morbus Coats u. a.) sind durch avaskuläre Netzhautareale mit Frühgeborenenretinopathie (ROP)-ähnlichen Befunden und häufig erhöhtem Risiko für zumeist traktiv bedingte Netzhautablösungen gekennzeichnet. Die FEVR (Criswick-Schepens-Syndrom) ist eine meist autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit fast 100%iger Penetranz, die vorwiegend im asiatischen Raum vorkommt. Sie stellt eine wichtige Differenzialdiagnose zur ROP dar, wobei es sich immer um Reifgeborene ohne vorherige Sauerstofftherapie handelt. Kennzeichnend für die FEVR sind die temporal avaskuläre Netzhaut mit pathologisch veränderten Gefäßen und der nach temporal verzogene Gefäßbaum mit Heterotopie der Makula [50]. Das klinische Bild ist sehr variabel und reicht vom asymptomatischen Genträger bis zum massiven Visusverlust aufgrund von oft kombiniert traktiv rhegmatogen bedingten Netzhautablösungen. Die FEVR wurde häufig als Grund für juvenile Netzhautablösungen identifiziert [52]. Dabei kommen falziforme Falten und traktiv bedingte Ablationes mit retrolentaler Organisation häufig bereits in den ersten 10 Lebensjahren vor, während rhegmatogene Netzhautablösungen vorzugsweise in der 2. bis 3. Lebensdekade auftreten [53].

Kataraktoperation

In den letzten Jahren finden sich nationale Registerstudien aus dem Vereinigten Königreich als auch aus Dänemark, bei denen eine systematische digitale Erfassung der durchgeführten Leistungen, Komplikationen und Folgeoperationen durchgeführt worden ist [26, 54, 55, 56, 57, 58]. Eine Studie aus dem Dänischen Nationalen Patientenregister hat das Risiko der Entwicklung einer pseudophaken Netzhautablösung bei über 200.000 Patienten analysiert [59]. Dabei wurde das Partnerauge des an einer Katarakt operierten Auges als Kontrollgruppe analysiert. Die Durchführung dieser Studie mit dieser Kontrollgruppe hat den großen Vorteil, dass andere Risikofaktoren, die einen Einfluss auf die Inzidenz einer rhegmatogenen Netzhautablösung haben könnten, eliminiert werden konnten. Dadurch, dass in der Vergangenheit zwischen der Kataraktoperation des einen Auges und der Operation des Partnerauges teilweise mehrere Monate vergingen, war eine solche Studie möglich. Dieses Zeitintervall zwischen der ersten Operation und der zweiten Operation konnte als Verlaufsbeobachtungszeit benutzt werden, um eine solche vergleichende Studie durchzuführen. Bei den nicht operierten Augen wurden insgesamt 110 Netzhautablösungen identifiziert im Gegensatz zu 465 Netzhautablösungen an den kataraktoperierten Augen. Die Analyse ergab, dass nach einer Kataraktoperation das Ablatiorisiko im Mittel um das 4‑Fache ansteigt. Geschlecht und Alter beeinflussten nicht signifikant diesen relativen 4‑fachen Risikoanstieg, wobei nichtsdestotrotz im Gesamtkollektiv sowohl das Alter als auch das Geschlecht ein wichtiger Risikofaktor zur Entstehung einer Netzhautablösung per se sind. Je jünger die Patienten, bei denen eine Kataraktoperation durchgeführt wird, desto höher ist das Risiko, eine pseudophake Netzhautablösung zu entwickeln. Das höchste Risiko liegt bei 40-jährigen und das geringste Risiko bei 80-jährigen Patienten. Diese Daten werden im Wesentlichen von einer großen Studie aus Großbritannien bestätigt [58]. Das größte Risiko der Entstehung einer pseudophaken Netzhautablösung wird in den ersten 6 Monaten nach der Operation beobachtet und flacht danach ab, bleibt aber sogar 10 Jahre nach der Kataraktoperation weiterhin erhöht.

Hintere Kapselruptur bei der Kataraktoperation

Zwei weitere Studien aus dem Vereinigten Königreich und eine aus den Vereinigten Staaten geben uns wichtige Informationen bezüglich des erhöhten Risikos, eine pseudophake Netzhautablösung nach einer durch eine Kapselruptur komplizierte Kataraktoperation zu bekommen [56, 58, 60]. Bei der englischen Studie wurden insgesamt über 180.000 Augen von knapp 130.000 Patienten, die zwischen August 2006 und November 2010 einer Kataraktoperation unterzogen worden waren, analysiert. Das mittlere Alter bei der Operation des ersten Auges lag bei 77 Jahren. Bei 41 % der Patienten wurde eine Kataraktoperation an beiden Augen durchgeführt. Bezüglich der Entstehung einer pseudophaken Netzhautablösung ist insbesondere interessant, dass eine hintere Kapselruptur oder ein Glaskörperprolaps oder beides in knapp 2 % aller Fälle beobachtet wurde. Das Risiko, eine pseudophake Netzhautablösung zu entwickeln, war 42-mal höher innerhalb der ersten 3 postoperativen Monate nach der Kataraktoperation bei den Patienten, die eine hintere Kapselruptur hatten.

Zusätzlich war das Risiko, eine Endophthalmitis zu bekommen, 8‑fach erhöht. Bezüglich des Risikos, eine hintere Kapselruptur zu induzieren, wurde der Erfahrungsgrad der Chirurgen analysiert. Von insgesamt knapp 1000 Chirurgen waren 285 Operateure im Niveau eines Consultants, 451 Fachärzte, aber ohne Consultantstatus, und 325 Chirurgen waren in der Ausbildung. Die Wahrscheinlichkeit, eine hintere Kapselruptur zu induzieren, lag im Consultantniveau bei 1,6 %, auf dem Facharztniveau bei 2,2 % und auf dem Assistentenniveau bei 3,2 %.

In einer weiteren Studie der gleichen Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass die Rate an Netzhautablösungen nach einer Kataraktoperation mit der Zeit stetig anstieg, und zwar bei unkomplizierten Kataraktoperationen von 0,3 % im ersten Jahr auf 0,8 % im zweiten Jahr, auf 1,6 % im dritten Jahr. Bei Patienten, die aufgrund einer hinteren Kapselruptur eine komplizierte Kataraktoperation hatten, waren die entsprechenden 1‑, 2‑ und 3‑Jahres-Raten auf das ca. 10-Fache erhöht auf 4,2 %, 8,6 % und 12,1 %. Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass die pseudophake Netzhautablösung im Mittel bei einer unkomplizierten Kataraktoperation 6,3 Monate nach der Operation erfolgte im Gegensatz zu Patienten, die eine hintere Kapselruptur erlitten hatten, bei denen die Netzhautablösung im Mittel 44 Tage (ca. 6 Wochen) nach der Operation zustande kam. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Netzhautablösungen nach einer Kataraktoperation in der Tendenz signifikant früher beobachtet wurden bei weniger erfahrenen Operateuren im Vergleich zu den Operateuren in einem Consultantstatus.

Eine Studie aus Singapur aus dem gleichen Zeitraum zwischen 2006 und 2010, die fast 50.000 Kataraktoperationen inkludierte, zeigte eine hintere Kapselrupturrate von 1,8 % und lag somit in der gleichen Größenordnung wie die Studie aus dem Vereinigten Königreich, bei der ebenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit der Entstehung dieser Komplikation bei Assistenzärzten (3,4 %) im Vergleich zu Fachärzten (1,4 %) festgestellt werden konnte. Dieser Unterschied war hochsignifikant. Die Wahrscheinlichkeit, eine Netzhautablösung nach einer komplizierten Kataraktoperation zu entwickeln, lag in diesem Kollektiv bei 1,3 %. Allerdings konnte kein Unterschied im endgültigen Visus von Patienten festgestellt werden, die von einem Assistenten operiert worden waren, im Vergleich zu jenen, die von einem Facharzt operiert worden waren [61].

Nd:YAG-Laser-Kapsulotomie nach Kataraktoperation

Die Entstehung einer sekundären Trübung der Hinterkapsel (Nachstar) ist eine häufige Folge nach Kataraktoperation, wobei sich die angegeben Prävalenzzahlen je nach verwendetem Linsenmaterial und Linsendesign der implantierten Intraokularlinse (IOL) deutlich voneinander unterscheiden. Die geringsten Nachstarraten wurden bei hydrophoben, scharfkantigen Acryllinsen (<10 %) erhoben, gefolgt von Silikon- und Polymethylmethacrylat (PMMA)-Linsen. Die höchsten Nachstarraten (>30 %) wurden bei hydrophilen Acryllinsen nachgewiesen [62]. Im Mittel wird eine Behandlung des Nachstars mittels Nd:YAG-Kapsulotomie ca. 2 bis 2,5 Jahre nach der Kataraktoperation durchgeführt [63]. Die Datenlage zum möglicherweise erhöhten Risiko für eine rhegmatogene Ablatio nach Nd:YAG-Kapsulotomie ist heterogen und viel diskutiert. Während einzelne Autoren kein erhöhtes Ablatiorisiko nach YAG-Kapsulotomie nachweisen konnten [64, 65, 66], gehen andere von einem bis zu 4‑fach erhöhten Risiko nach Nd:YAG-Kapsulotomie aus [67, 68, 69], wobei hier Myopie (Achsenlängen >25 mm) und jüngeres Alter als zusätzliche Risikofaktoren genannt werden. Als mögliche Mechanismen werden einerseits eine beschleunigte oder anomale PVD infolge der Eröffnung der Hinterkapsel oder eine direkte Übertragung der Laserenergie auf die Netzhaut mit vitreoretinalen Traktionen diskutiert. Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit aus Kanada untersuchte 67.000 Patienten über einen Zeitraum von 13 Jahren, die einer Nd:YAG-Kapsulotomie nach Kataraktoperation unterzogen worden waren [69]. Dabei ergab sich ein signifikant erhöhtes Risiko für Netzhautdefekte (0,29 %) sowie rhegmatogene Ablationes (0,87 %) innerhalb der ersten 5 Monate nach der Kapsulotomie. Über 40 % aller Ablationes im Beobachtungszeitraum von über 10 Jahren traten bereits innerhalb des ersten Jahres nach der Nd:YAG-Laserung auf. Bhargava et al. [70] zeigten auf, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der applizierten Laserenergie und dem Auftreten einer Netzhautablösung nach Nd:YAG-Kapsulotomie bestehen könnte. In der Annahme, dass im Mittel die Nd:YAG-Kapsulotomien erst 2 bis 2,5 Jahre nach der Kataraktoperation erfolgen, müsste man die ermittelten Inzidenzen der Ablatio nach Nd:YAG-Kapsulotomie um diesen Zeitfaktor verschieben, um sie mit den Inzidenzen der Ablatio nach alleiniger Kataraktoperation zu vergleichen. Ein Jahr nach Nd:YAG-Kapsulotomie – also ca. 3 bis 3,5 Jahre nach Kataraktoperation – beträgt das Ablatiorisiko ca. 1,4 %, wogegen das Ablatiorisiko nach Kataraktoperation (unabhängig vom Durchführen einer Nd:YAG-Kapsulotomie) nach 3 Jahren 0,84 % beträgt [44, 69]. Ob dieser Unterschied signifikant ist und ob somit bewiesen werden kann, dass eine Nd:YAG-Kapsulotomie das sowieso schon erhöhte Ablatiorisiko nach einer Kataraktoperation weiter erhöht, kann nach jetziger Datenlage und Analyse nicht sicher bestimmt werden, ist aber sehr wahrscheinlich. Dabei ist nicht klar ob eine erhöhte Inzidenz an PVD nach Nd:YAG-Kapsulotomie oder eine direkte Übertragung der Nd:YAG-Energie auf das vitreoretinale Interface im Bereich der Glaskörperbasis oder beides zur Erklärung dieses Phänomens herangezogen werden kann.

Risiko der Netzhautablösung am zweiten Auge

Die Wahrscheinlichkeit, eine pseudophake rhegmatogene Netzhautablösung am ersten Auge zu bekommen, ist gut dokumentiert und wird mit einer jährlichen Inzidenz in der kaukasischen Bevölkerung zwischen 6 und 18 Fällen/100.000 Einwohner geschätzt. Einzelne Studien haben ein relatives Risiko des Partnerauges zwischen 5 und 30 % geschätzt. Eine Studie von Mitry et al. fand, dass 7 % der Patienten eine bilaterale rhegmatogene Netzhautablösung entwickeln werden [1]. Im Rahmen einer nationalen dänischen Registerstudie wurden 11.451 Patienten mit einer rhegmatogenen Netzhautablösung analysiert, von denen 5553 Fälle von 8081 Patienten als primäre rhegmatogene Netzhautablösung identifiziert werden konnten. Dies entspricht einer jährlichen Inzidenz von 13,7 Fällen/100.000 Einwohnern; 471 der 7941 Patienten, die eine primäre Netzhautablösung an einem Auge hatten und keine andere ophthalmologische Erkrankung aufwiesen, entwickelten eine zusätzliche rhegmatogene Netzhautablösung am Partnerauge. Dies entspricht einer jährlichen Inzidenz von 1 % oder – anders formuliert – 1000 Fällen bei 100.000 Einwohner pro Jahr. Dies bedeutet, dass Patienten mit rhegmatogener Netzhautablösung am ersten Auge ein ca. 100-fach höheres Risiko der Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung am zweiten Auge haben. Signifikante Risikofaktoren sind das männliche Geschlecht sowie eine Kataraktoperation, und das Risiko sinkt mit zunehmendem Alter [26].

Progression einer rhegmatogenen Netzhautablösung mit anliegender Foveola

Es ist bekannt, dass Netzhautablösungen mit abgehobener Fovea eine schlechtere zentrale visuelle Rehabilitation zur Folge haben und dass das Zeitfenster der fovealen Ablösung einen Einfluss auf das Endergebnis des Visus hat [71]. Aus diesem Grund sind Kenntnisse über die Dynamik der Progression bzw. Regression einer rhegmatogenen Netzhautablösung für das praktische Vorgehen mit den Patienten sehr wichtig. Eine englische Arbeitsgruppe analysierte retrospektiv über 14 Jahre 930 Netzhautablösungen und fand dabei heraus, dass lediglich in 10 Fällen (1 %) eine Fovea-on-Ablatio zu einer Fovea-off-Ablatio fortschritt in dem Zeitraum, in dem die Patienten auf den operativen Eingriff warteten. Dabei handelte es sich fast durchweg um superotemporale Netzhautablösungen (9/10), die bereits die temporale Gefäßarkade erreicht hatten. Sechs von 10 Ablationes schritten innerhalb von wenigen Stunden fort, die restlichen 4 innerhalb eines Tages [72].

In einer prospektiven Beobachtungsstudie von 96 Augen mit einer rhegmatogenen Netzhautablösung und noch anliegender Foveola ist die Wahrscheinlichkeit der Progression der Ablatiofront analysiert worden [55]. Auch hier zeigte sich dass die Progression zur Beteiligung und Ablösung der Foveola nur in 1 % aller Fälle mit zuvor anliegender Makula im präoperativen Verlauf festgestellt wurde und dass das Risiko sich nach 12 h Wartezeit bis zur Operation erhöht hat. De Jong [73] belegte mittels OCT (optische Kohärenztomographie)-Messungen, dass die jeweilige präoperative Aktivität der Patienten einen direkten Einfluss auf die Progression bzw. Regression der Netzhautablösung hat. Präoperative Bettruhe mit entsprechender tiefer Lagerung der Ablatio und des primären Netzhautdefektes hatte im Median eine Regression von 1 µm/h zur Folge, was eine Stabilisierung des Ausmaßes der Netzhautablösung bedeutet. Im Gegensatz dazu führten präoperative Aktivitäten der Patienten, wie beispielsweise Mahlzeiten und Toilettengang, zu einer langsamen, aber stetigen Progression mit einer Geschwindigkeit von 149 µm/h im Median. Die Ergebnisse dieser rezenten Untersuchungen zur Progression bzw. Regression der Netzhautablösung entsprechen jenen früherer Beobachtungen von anderen Autoren von jeweils 0,5–3 % [74, 75, 76, 77]. Zusammenfassend kann geschlossen werden, dass die Wahrscheinlichkeit einer Progression der Netzhautablösung bei noch anliegender Fovea mit körperlicher Schonung, Leseverbot und evtl. Bettruhe mit entsprechender Lagerung sehr gering ist und beim Transport der Patienten in die operativen Zentren berücksichtigt werden sollte. Des Weiteren spielt die Lokalisation der Ablatio eine wichtige Rolle. Das größte Risiko für eine Progression besteht bei Ablationes der superotemporalen Quadranten [72].

Refraktive Chirurgie und Netzhautablösung

In den letzten Jahrzehnten besteht großes Interesse am potenziellen Einfluss von refraktiv chirurgischen Methoden auf pathologische Veränderungen am hinteren Augenabschnitt und insbesondere bezüglich der Wahrscheinlichkeit, eine rhegmatogene Netzhautablösung zu induzieren. Hier muss grundsätzlich zwischen kornealen ablativen Methoden und insbesondere der Laser-in-situ-Keratomileusis (LASIK) und der intrakameralen Linsenimplantationen (ICL) sowie der „clear lens extraction“ (CLE) unterschieden werden.

Laser-in-situ-Keratomileusis

Die größte bisher publizierte retrospektive Studie zum Einfluss der LASIK auf die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung stammt aus Venezuela von Arevalo et al. [78], bei der keine Korrelation gefunden werden konnte. Im Gegensatz scheinen die Inzidenzraten nach LASIK im untersuchten südamerikanischen Patientenkollektiv mit 0,05 % (11 rhegmatogene Netzhautablösungen von 22.296 Patienten nach LASIK) im ersten Jahr halb so hoch auszufallen wie bei kaukasischen Bevölkerungen.

Intrakamerale Linsenimplantationen

Die Implantation von intrakameralen Linsen, genannt auch implantierbare Kontaktlinsen (ICL), kann bei höheren Ametropien, die durch eine LASIK nicht behandelt werden können, Abhilfe leisten. Die Wahrscheinlichkeit der Induktion einer rhegmatogenen Netzhautablösung durch diese Prozedur wird dabei sehr kontrovers ohne einheitlichen Konsens diskutiert [79, 80, 81]. Erwähnenswert ist dabei, dass in den letzten Jahren die Kataraktogenität dieser Prozedur gesichert gilt, sodass Patienten mit hoher Myopie relativ frühzeitig nach ICL-Implantation einer Kataraktoperation unterzogen werden [82, 83]. Sowohl die hohe Myopie als auch das jüngere Alter sind mittelweile gesicherte Risikofaktoren für die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung, sodass höchstwahrscheinlich die Implantation einer ICL über diesen indirekten Weg einen positiven Einfluss auf die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung haben dürfte.

„Clear lens extraction“ bzw. refraktiver Linsenaustausch

Patienten mit hoher Myopie sind immer wieder bereit, sich einer klaren Linsenextraktion mit Implantation einer Kunstlinse unterziehen zu lassen, um unabhängig von Brillen oder Kontaktlinsen zu werden. Wie bereits erwähnt, haben diese Patienten bereits 2 wesentliche Risikofaktoren, welche die Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung positiv beeinflussen. Wenn sie nun auch noch eine Linsenoperation erhalten, erhöhen sie dieses Risiko weiter. Diese Möglichkeit wurde lange in der Literatur bezweifelt, gilt aber mittlerweile als gesichert [80, 84, 85].

Fazit für die Praxis

  • Die rhegmatogene Netzhautablösung hat eine jährliche Inzidenz von ca. 10 Fällen pro 100.000 Einwohner/Jahr in Europa.

  • Die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer rhegmatogenen Netzhautablösung ist erhöht bei Myopen bzw. erhöhter Achsenlänge des Bulbus.

  • Die Kataraktoperation erhöht langfristig das Risiko einer rhegmatogenen Netzhautablösung um das 4‑Fache.

  • Nach einer Kataraktoperation erleiden junge Männer deutlich häufiger eine rhegmatogene Netzhautablösung als ältere Frauen.

  • Nach einer Kapselruptur mit Glaskörperverlust im Rahmen einer Kataraktoperation erhöht sich das Risiko einer rhegmatogenen Netzhautablösung um das 10- bis 40-Fache.

  • Das Risiko eines Patienten, auch am zweiten Auge eine rhegmatogene Netzhautablösung zu bekommen, wenn er an einem Auge bereits eine erlitten hat, ist um das ca. 100-Fache erhöht.

  • Eine Progression einer rhegmatogenen Netzhautablösung ist bei körperlicher Schonung im Gegensatz zu körperlicher Aktivität nicht zu erwarten.

  • Der refraktive Eingriff einer LASIK erhöht im Gegensatz zur CLE das Risiko einer rhegmatogenen Netzhautablösung nicht.