Zusammenfassung
Das Vorliegen eines Kreuz‑, Vor- oder Rückbisses, Zähneknirschen und -pressen, myofunktionelle Störungen, Abweichungen der Zungenruhelage, Lutschhabits, Kiefer- oder Kopfschmerzen, Haltungsstörungen und Migräne bei Kindern können bereits Prädiktoren einer juvenilen kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) sein. Die Ursache liegt dabei meist in einem abweichenden frühkindlichen Aufrichtungsprozess. Funktionsstörungen im hochzervikalen Bereich können insbesondere die Entwicklung der Kieferstellung beeinflussen. Bereits in den ersten Lebensmonaten werden hier Weichen für die weitere Entwicklung gestellt – mit Auswirkungen auf den gesamten Körper, z. B. veränderte Statik oder nichtphysiologische Koordination. Die häufigsten posturalen Aufrichtungsdefizite in Verbindung mit einer muskulären CMD bei Kindern sind eine Kopfanteversion, Hyperlordose und ein Genu valgum sowie bei Mittenabweichungen eine Skoliose mit Schulterschrägstellung. Kinder profitieren therapeutisch v. a. von manualmedizinischen Therapien, einem (nachholenden) neurofunktionellen Aufrichtungstraining, Logopädiesitzungen und viel Bewegung.
Abstract
The presence of a cross or overbite, teeth grinding and pressing, myofunctional disorders, a deviation in the resting tongue position, sucking habits, jaw pain or headaches, postural disorders, and migraine in children may be first predictors of juvenile craniomandibular disorders (CMD). The cause is usually found in a deviation of postural control development in early childhood. Particularly functional disorders in the upper cervical region can influence jaw position. Already in the first few months of life, the course is set for further development—with effects on the entire body, e. g., altered statics or non-physiological coordination. The most common postural deficits associated with muscular CMD in children are a forward head posture, hyperlordosis, and genu valgum, as well as scoliosis with uneven shoulders in patients with midline deviations. Children benefit from manual medical therapies, neurofunctional training, speech therapy, and a lot of exercise.
Inwieweit ist eine vorangegangene Störung im zervikookzipitalen Übergang am Entwicklungsgeschehen einer kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) beteiligt? Da CMD-Symptome sehr komplex sein können, ist eine korrekte Diagnosestellung oft erschwert. Sie reichen von Kiefergelenk- und Bissbeschwerden bis hin zu Kopf‑, Ohren- und Nackenschmerzen sowie Tinnitus, Neuralgien und Hüftproblemen. Bereits bei Kindern werden die Weichen mitunter sehr früh ungünstig gestellt, woraus sich eine CMD entwickeln kann.
Die Ursachenforschung einer juvenilen CMD unterscheidet sich von der einer CMD im Erwachsenenalter. Während beim Erwachsenen ein CMD-Geschehen häufig mit deutlichen degenerativen Prozessen einhergeht, müssen im Kindesalter andere Parameter herangezogen werden. Anzunehmen ist, dass die frühkindliche motorische Entwicklung Auswirkungen auf die Kieferstellung und damit auf das Risiko der Entstehung einer juvenilen CMD hat. Hier lohnt sich insbesondere der Blick auf Verbindungen zwischen Störungen im zervikookzipitalen Übergang und daraus resultierenden Abweichungen von der natürlichen Aufrichtung und erlernten Dysfunktionen. So können beispielsweise Dysgnathien oder Mittenabweichungen des Kinns als Ergebnis einer abweichenden motorischen Entwicklung angesehen werden. Auch eine veränderte Zungenruheposition, Angewohnheiten wie Zähnepressen oder -knirschen, Lutschhabits sowie Kopf- und Kieferschmerzen lassen sich bei Kindern mit CMD oft beobachten (Abb. 1).
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Kieferschmerzen
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Lutschoffener Biss
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Kreuzbiss
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Mandibuläre/maxilläre Retrognathie
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Gotischer Gaumen
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Zähneknirschen/-pressen im Schlaf
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Verspannung der Kiefermuskulatur, insbesondere morgens
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Myofunktionelle Störungen im orofazialen Bereich, z. B. Schluck- oder Artikulationsstörungen
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Gestörte Zungenmotorik und -lage
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Kopfschmerzen
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Kiefergeräusche, -klemme, -knacken
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Schmerz hinter den Augen, ggf. Lichtempfindlichkeit
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Ohrgeräusche, Ohrenschmerzen
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Schwindel
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Höhere allgemeine Schmerzsensibilität
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Eingeschränkte Kopfbeweglichkeit
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Haltungsstörungen
Körperhaltung und juvenile CMD
Bereits 1961 veröffentlichte Müller-Wachendorff [15] Untersuchungsergebnisse (n = 1200), die eine Verbindung von Skelettdeformierungen unter besonderer Berücksichtigung der idiopathischen Skoliose und Gebissanomalien bei Kindern belegen: 350 von 420 Kindern mit deutlich erkennbaren Skelettdeformierungen mit Skoliose wiesen auch eine Gebissanomalie auf (83 %). Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Prädisposition zur Dysgnathie bei Kindern mit Haltungsfehlern in hohem Maße vorliegt. Schon damals wurde vermutet, dass beide Krankheitsbilder ätiologisch einer Genese seien. Auch Chaves et al. [4] untermauerten 2017 einen Zusammenhang mit der Körperhaltung: Die Hälfte der untersuchten Kinder im Alter von 10 bis 18 Jahren (n = 117) wiesen eine milde CMD auf, 21,8 % eine moderate und 0,9 % eine schwere. Von den Probanden mit moderater und schwerer CMD zeigten 56 % eine Veränderung der Kopfpositionierung und 88 % auch Haltungsänderungen im Schulterbereich. Die Autoren folgerten, dass posturale Veränderungen im Kopf- und Schulterbereich mit der biomechanischen Anpassung der Kaumuskulatur und den daraus folgenden Veränderungen des Kiefergelenks zusammenhängen.
Die erfahrungsgemäß häufigsten posturalen Aufrichtungsdefizite in Kombination mit einer CMD beschreiben Cortese et al. [6]. Sie analysierten die Körperhaltung bei 10- bis 15-Jährigen mit und ohne CMD (n = 243) und suchten nach Verbindungen zwischen einer muskulären CMD und Veränderungen der Wirbelsäulenkrümmungen, der Kopfhaltung und der unteren Extremitäten. Kinder mit Kopfanteversion, Hyperlordose sowie Genu valgum waren deutlich häufiger von CMD-Beschwerden betroffen als Kinder mit einer physiologischen Aufrichtung. Es stellt sich die Frage, inwiefern später zu beobachtende Aufrichtungsdefizite und juvenile CMD-Beschwerden eine gemeinsame Ursache haben.
Auswirkungen von Störungen im zervikookzipitalen Übergang
Funktionsstörungen im hochzervikalen Bereich in den ersten Lebensmonaten bewirken eine kompensatorische neuromotorische Aufrichtungsstrategie mit einer von der zu erwartenden Entwicklung abweichenden Sensomotorik. Störende nozizeptive Fehlinformationen aus dem Nackenfeld führen zu einer veränderten Wahrnehmung [2]. Das betroffene Kind erlernt abweichende Haltungsmuster, um sich die Kopfkontrolle, eine Körperhaltung in der Aufrechten und Ausgleichsbewegungen auf anderem Wege zu erarbeiten. Beobachtungen zufolge trainieren betroffene Kinder im physiologischen Aufrichtungsprozess beispielsweise zu wenig das Stützen auf die Ellenbogen und Hände, üben kaum Bewegungsübergänge über die Mediane und zu den Seiten und lassen häufig ein koordiniertes Rotieren um die eigene Körperachse und schließlich das Krabbeln aus und ziehen sich schnell hoch in den Stand. Orofazial lassen sich eine Saugschwäche, häufig eine leicht achsverdrehte Zunge, ein fehlender Mundschluss, eine interlabiale Zungenlage über den 6. Lebensmonat hinaus und schließlich ein rückverlagerter Unterkiefer beobachten.
Myofunktionelle Störungen zeigen sich auch in der ventral schwach ausgeprägten Halsmuskulatur. Aufrichtungsdefizite bzw. Haltungsschwächen werden im Rahmen der Vertikalisation durch eine nach vorn gerichtete Kopfhaltung, ein Hohlkreuz und eine zu geringe Hüftstreckung mit leicht innenrotierter Beinhaltung und einem Genu valgum mit schwach ausgeprägtem Fußgewölbe und einer zur Mitte verlagerten Fußbelastung (lockerer Knick-Senk-Fuß) sichtbar. Parallelen zu den Forschungsergebnissen von Cortese et al. [6] lassen sich hier erkennen.
Welche Auswirkungen funktionelle Entwicklungsstörungen in den ersten Lebensmonaten aufgrund einer Störung im zervikookzipitalen Bereich auf die gesamte Körpermotorik haben können, zeigt das Beispiel von Sebastian (Abb. 2). In der Gegenüberstellung zur gesunden Entwicklung von Lina (Abb. 3) werden die Unterschiede sichtbar.
Durchgängig ist die Unterkieferposition bei Sebastian rückverlagert bei gleichzeitig reklinierter Kopfhaltung und fehlendem Spannungsaufbau im Schultergürtel und in der ventral gelegenen Hals- und Brustmuskulatur. Aufgrund der reduzierten Aufrichtungsentwicklung „erarbeitet“ er sich auf lange Sicht einen Distalbiss (Angle-Klasse II).
Aufrichtungsdefizite gehen bei betroffenen Kindern meist mit Schwächen der tiefen ventralen Halsmuskulatur einher. Als Folge von Funktionsstörungen und Schmerzen können myogene CMD-Symptome entstehen. So wiesen Armijo-Olivo et al. [1] bei einem kraniozervikalen Flexionstest eine erhöhte Aktivität des M. scalenus und M. sternocleidomastoideus bei jugendlichen Patienten mit CMD (n = 150) nach; allerdings wurde in dieser Untersuchung keine statistische Signifikanz erreicht.
In der Studie von Greenbaum et al. [10] erzielten erwachsene Probanden mit CMD (n = 40) auch beim zervikalen Flexions-Rotations-Test schlechtere Ergebnisse als gesunde Studienteilnehmer. Die Autoren gehen bei der Entstehung myogener kraniomandibulärer Beschwerden von einer Beteiligung der ersten beiden Zervikalgelenke aus.
Störungen im zervikookzipitalen Übergang im frühen Lebensalter können zudem Auswirkungen auf die Entwicklung der Sensomotorik und die Hirnstammkonvergenzen haben – mit wiederum weitreichenden Folgen bis in Bereiche der Kiefergelenke, der Okklusion des Gebisses, der Muskulatur (z. B. Symmetrie der Zunge und damit verbundene Angewohnheiten/Habits) oder der Koordination und Beweglichkeit [5].
Über Schluckstörungen als CMD-Symptom berichteten Gilheaney et al. [9]. In ihrer Metaanalyse (Daten aus 20 vergleichbaren Studien) wiesen 9,3 % der betrachteten Patienten mit CMD auch eine Dysphagie auf. Deshalb ist bereits bei Kleinkindern auf das Schluckmuster zu achten. Herrscht zum Zeitpunkt der Beikosteinführung ein viszerales Schluckmuster mit Zungenvorstoß und ein fehlender Mundschluss vor, können diese Kinder später im unbehandelten Fall eine Dysphagie und kraniomandibuläre Beschwerden entwickeln (Abb. 4).
Veränderte Morphologie bei CMD
Studien aus jüngerer Zeit beschäftigten sich zunehmend mit dem Einfluss der Morphologie von Körperstrukturen als Risikofaktor für die Entstehung von kraniomandibulären Symptomen. In diesem Zusammenhang untersuchten Guerrero et al. [11] die Auswirkungen der Länge des Flügelbeins (n = 60). Probanden mit Beschwerden im Kiefergelenk zeigten einen längeren Os pterygoideum als Vergleichsprobanden. Dabei waren die Ergebnisse vom Geschlecht unabhängig, vielmehr scheint hier die Muskelaktivität entscheidend zu sein. Denn die chronische Anspannung des M. pterygoideus lateralis führte zu einer allmählichen Verstärkung der lateralen pterygoidealen Platte. Die Daten zu jüngeren Probanden waren (noch) nicht signifikant, vermutlich weil diese sich noch im Wachstum befanden.
Dennoch bleibt die zugrunde liegende Ursache weiterhin unklar. Vergrößerte sich die laterale pterygoideale Platte wegen der höheren Belastung und resultiert der Unterschied von einer Kieferschrägstellung her oder resultiert die Kieferschrägstellung aufgrund der veränderten Ausformung der laterale pterygoidealen Platte? In jedem Fall lässt sich dem M. pterygoideus medialis im Unterkiefer wegen seines Faserverlaufs ein Einfluss auf die Kondylenposition in der Transversalebene nachweisen. Ist der Muskel verkürzt, kann das die Mundöffnung stark einschränken, eine Seitwärtsbewegung des Unterkiefers ist hier v. a. bei maximaler Mundöffnung zu erwarten. Dies sind klassische Symptome für Menschen mit Kiefergelenkproblemen.
Ebenfalls mit fazialen Asymmetrien beschäftigte sich eine Studie von D’Ippolito et al. [8] mit dem Fazit, dass Asymmetrien des Unterkiefers als ätiologische und prädisponierende Faktoren bei der CMD-Entstehung eine Rolle spielen. Die Probanden (n = 16) stellten sich zunächst mit Skelett- und Zahnfehlstellungen in Kombination mit Kiefergelenkerkrankungen aufgrund muskulärer Verspannungen vor. Im Rahmen der Studie wurden Unregelmäßigkeiten struktureller Art (81 %) sowie funktionelle Asymmetrien (19 %) festgestellt. Alle Patienten erhielten eine kieferorthopädische oder chirurgisch-orthodontische Behandlung. Der Vorher-nachher-Vergleich der Probanden zeigte eine Auflösung der mandibulären Asymmetrien sowie die vollständige Eliminierung der Kiefergelenksymptome und CMD-Beschwerden.
Sonnesen et al. [17] beobachteten bei Kindern (n = 96) eine Verbindung von Kiefergelenkdysfunktionen mit einer Anteflexion der oberen Halswirbelsäule und einer erhöhten kraniozervikalen Angulation. Im Rahmen der Studie konnte darüber hinaus eine höhere Empfindlichkeit der Muskeln mit der Morphologie eines „langen Gesichts“ und einer geringeren Bisskraft in Zusammenhang gebracht werden. Kopfschmerzen waren mit einem längeren Oberkiefer und Prognathismus assoziiert.
Falldarstellung Max
Im Folgenden werden abwendbare Auffälligkeiten, die zu einer Gesichtsskoliose und frühen CMD führen können, am Fall von Max veranschaulicht. Dieser entwickelte in den ersten Lebensmonaten funktionelle Aufrichtungsabweichungen.
Als Neugeborener im Alter von 2 Wochen zeigt Max kaum Auffälligkeiten, lediglich von einseitigen Stillschwierigkeiten wird berichtet (Abb. 5a). Mit 3 bis 4 Lebensmonaten werden funktionelle Defizite bei der Aufrichtung deutlich (Abb. 5b, c).
Im Alter von 7 Monaten werden die funktionellen Aufrichtungsabweichungen deutlicher: Wird Max passiv platziert, sind keine Bewegungsübergänge sichtbar. Die Sitzhaltung ist hypoton, die Beine passiv, der Kopf schräg und rekliniert, der Unterkiefer rückverlagert. Zudem ist eine Sitzkyphose zu erkennen (Abb. 5d). Darüber hinaus zeigt sich der Patient mit asymmetrischer Zunge und latentem Strabismus (Abb. 5e).
Mithilfe eines nachholenden Aufrichtungstrainings nach PäPKi® konnten die Verspannungen und Kopfgelenkdysfunktionen reduziert sowie die orofazialen Funktionen, die Rumpfstabilität und die Koordination verbessert werden. Ferner ließ sich die Zungenlage normalisieren und Ausgleichsbewegungen wurden erfolgreich trainiert.
Risikofaktor okklusale Störungen
Gerade bei der Entwicklung einer myogenen CMD scheint die Bisslage ein wichtiger Faktor zu sein. So stellten sich Hoffmann et al. [13] die Frage, ob sich okklusale Störungen grundsätzlich als ein Risikofaktor für orofaziale muskuläre Parafunktionen einordnen lassen? Sie analysierten in ihrer interdisziplinären Studie bei Probanden mit und ohne Okklusionsstörungen (n = 50) die Aktivität des M. masseter in Stress- und Ruhephasen. Alle Studienteilnehmer zeigten vorab keine Dysfunktions- oder Schmerzanzeichen. Mit Stresseinwirkung stieg bei allen die Masseteraktivität an. Nach einer Ruhephase erfolgte ein Kopfrechentest mit anschließender Erholungsphase. Die Gruppen unterschieden sich weder in der Ruhephase, während des Kopfrechnens noch in der Erholungsphase im mittleren Aktivierungsniveau des M. masseter. Für den Zeitraum des Kopfrechnens nahm in der Kontrollgruppe die Aktivität des Muskels ab, während sie in der Risikogruppe in der Poststressphase weiterhin erhöht blieb bzw. anstieg. Das Ergebnis wurde als „latenter Störfaktor“ im Rahmen der Entstehung von orofazialen Myoarthropathien gewertet.
Behandlungswege
Schulterschmerzen, Tinnitus oder Neuralgien – aufgrund der Komplexität der Symptomatik einer CMD-Erkrankung werden Zusammenhänge häufig nicht unmittelbar erkannt. Deshalb sollte eine individuelle Abklärung erfolgen, ggf. durch Fachärzte und Therapeuten unterschiedlicher Disziplinen, um die individuell passenden Therapiemaßnahmen einleiten zu können. Insbesondere bei Kindern sind „Hausärzte, Kinderärzte und Zahnärzte … in der Früherkennung dieser Beschwerden gefordert. Sie sollten bei Kopf- oder Gesichtsschmerzen nicht nur an Migräne oder Kopfschmerzen vom Spannungstyp denken, sondern auch an Symptome einer kraniomandibulären Dysfunktion“ (Kares [14]).
Geklärt werden sollte: Sind die CMD-Symptome Spätfolgen aus dem frühkindlichen Aufrichtungsprozess oder rühren sie eher von degenerativen Prozessen im Körper, strukturellen Veränderungen oder Faktoren wie eingeschränktes Bewegungsverhalten, emotionale und psychosoziale Paramater sowie Stress her? Wie lassen sie sich beheben oder minimieren? Wer kann dabei helfen?
Grundsätzlich gilt, dass Behandlungsmaßnahmen so früh wie möglich erfolgen sollten.
Therapeutische Maßnahmen
Mögliche Maßnahmen sind:
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Manualmedizinische Therapie,
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Zahnärztliche und kieferorthopädische Therapie, z. B. Einsatz einer Okklusionsschiene zur Entspannung der Kau- und Kopfmuskulatur und des Kiefergelenks oder weitere kieferorthopädische oder chirurgische Maßnahmen,
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Physiotherapie,
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PäPKi®-Therapie: neurofunktionelles Aufrichtungstraining, Wiederherstellung der Koordination, myofunktionelles Training in Verbindung mit Grobmotorik, Reduktion von Ernährungsungleichgewichten,
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Logopädie mit myofunktionellem Training,
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Wärme- oder Kältebehandlungen,
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ggf. Verhaltensänderungen usw.,
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Aufklärungs‑/Motivationsgespräch mit dem Patienten.
Kinder profitieren im Regelfall v. a. von manualmedizinischen Therapien, einem neurofunktionellen Aufrichtungstraining, Logopädiesitzungen und einem Ausgleich des meist vorliegenden Bewegungsmangels (Beispiel Max). Bei Erwachsenen mit CMD bringen häufig Maßnahmen wie zahnärztliche Okklusionsschienen, physiotherapeutische, manualmedizinische oder osteopathische Therapien sowie Wärme- oder Kälteanwendungen die gewünschten Erfolge. Auch chiropraktische Therapieansätze sind vielversprechend, wie Pavia et al. [16] in einer Studie belegten. Dort konnte bei Patienten mit Wirbelsäulenerkrankungen(n = 14) in Kombination mit CMD-Symptomen eine 80,9 ± 15,4 %ige Reduktion der Schmerzen durch Chiropraktik erreicht werden.
Bei (n = 12) Patienten ließen sich Schmerzen aufgrund myofazialer CMD und Kiefergelenkerkrankungen laut Calixtre et al. [3] durch die Mobilisierung der Halswirbelsäule und gezieltes Rehabilitationstraining deutlich verbessern. Zudem wurde eine bessere Kieferfunktion erreicht.
Patienten mit CMD-assoziierten lokalen und generalisierten Schmerzen (n = 56) profitierten von einem physiotherapeutischen Training [12]. Hier unterzogen sich die Probanden über einen Zeitraum von 10 bis 20 Wochen sowohl einem Entspannungs- als auch Koordinations- und Widerstandstraining des Kiefer‑, Hals- und Schulterbereichs. Damit konnten Verbesserungen der Dauer der Kieferöffnung/Protrusion und des Kauens bei allen Studienteilnehmern erreicht und ihre Schmerzen nachweislich gelindert werden. Darüber hinaus waren sie im Alltag wieder belastbarer.
Fazit für die Praxis
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Bei Vorliegen einer juvenilen CMD ist anzunehmen, dass die frühkindliche motorische Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kieferstellung hat.
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Dysgnathien, Mittenabweichungen des Kinns, eine veränderte Zungenruheposition, eine nach vorn gerichtete Kopfhaltung oder Kieferschmerzen können aufgrund von Störungen im zervikookzipitalen Übergang und daraus resultierenden Abweichungen von der natürlichen Aufrichtung und erlernten Dysfunktionen entstehen und das Risiko einer CMD erhöhen.
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Derzeit sehen Kinderärzte bei Abweichungen der funktionellen Entwicklung in frühen Stadien oftmals noch keinen Handlungsbedarf. Für den therapeutischen Ansatz sollte aber gelten: Je früher, desto besser! Mögliche Maßnahmen können dabei sein: manualmedizinische Therapien, Aufrichtungstraining nach PäPKi®, Physiotherapie, zahnärztliche Therapie, Logopädie, Verhaltensänderungen, Aufklärungsgespräche usw.
Literatur
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Bein-Wierzbinski, W. Kraniomandibuläre Dysfunktion bei Kindern mit Funktionsstörungen im zervikookzipitalen Übergang. Manuelle Medizin 56, 433–439 (2018). https://doi.org/10.1007/s00337-018-0474-6
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