1986: Tschernobyl fliegt in die Luft, der neue Opel Manta kommt auf den Markt, Prince und Falco feiern ihre größten Erfolge und, ja und? Matthias Psczolla wird Vorstandsmitglied der damaligen FAC, in der starke Persönlichkeiten wie Herbert Frisch, H. D. Wolff und andere die Manuelle Medizin und die Gesellschaft vorangebracht haben und mit starker Hand führen. Bereits 1990 wird er dann zum ersten Vorsitzenden gewählt, ein Amt, das er jetzt nach 28 Jahren (bzw. insgesamt 33 Jahren) niederlegt.

Die Geschichte der Manuellen Medizin in Deutschland wurde von einigen außergewöhnlichen Persönlichkeiten maßgeblich bestimmt. Einige faszinierten durch ihre Begeisterung für das Fach, einige durch ihre rhetorischen oder handwerklichen Fähigkeiten und wiederum andere durch ihre für die jeweilige Zeit revolutionären und visionären Ansichten. Alles Eigenschaften, die Matthias Psczolla ebenfalls auszeichnen. Aber, wie die genannten Zahlen belegen, kommt noch etwas Wesentliches hinzu.

Matthias wurde 1950 in Darmstadt als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren, hier verbrachte er auch seine Kindheit. Von 1969 bis 1975 studierte er dann Medizin in Gießen und später in Berlin. Hier lernte er seine spätere Frau, ebenfalls eine Pfarrerstochter und damit eine gewisse „Seelenverwandte mit Stallgeruch“ kennen. Noch in Berlin wurde geheiratet, insgesamt wurden die beiden mit vier Kindern gesegnet. Da es zu der Zeit sehr schwer war, eine Assistentenstelle zu erhalten und es die kleine Familie auch in die Heimat zurückzog, begann Matthias dann 1976 seine Weiterbildung bei Prof. Dürr in Koblenz, später dann bei Prof. Groeneveld in Engers. In dieser Zeit entstand und wuchs dann auch das Interesse und die Faszination an der konservativen Orthopädie im Allgemeinen und der Manuellen Medizin im Speziellen. Nach der Facharztanerkennung als Orthopäde war er dann von 1983 bis 1986 Oberarzt in der Orthopädischen Klinik Lahnhöhe.

Bereits 1986 wurde er Chefarzt der Klinik für konservative Orthopädie und Manuelle Medizin in St. Goar. Eine Klinik für Manuelle Medizin im beschaulichen, abgelegenen St. Goar? Für viele zunächst eine Schnapsidee, dreißig Jahre später dann eine renommierte, bei fast allen Orthopäden bekannte und geschätzte Fachklinik. Überwiegend das Verdienst von Matthias Psczolla, der dies mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit (nicht zu verwechseln mit Starrsinnigkeit), Ausdauer, Begeisterung, Überzeugungskraft und geschickten (weil auch immer fairen) Verhandlungsfähigkeit erreicht und – ebenfalls eine seiner Stärken – nie nachlassenden Kärnerarbeit stetig weiterentwickelt hat. Im Weiteren war er dann auch noch Gründungsmitglied und bis heute Frontmann der ANOA (Arbeitsgemeinschaft nicht operativer orthopädischer manualmedizinischer Akutkliniken), eine Institution die man, wäre sie nicht von Matthias und seinen Mitstreitern wie Prof. Bernd Kladny und vielen anderen bereits gegründet worden, unverzüglich gründen müsste. Während andere den Untergang der konservativen Orthopädie beklagten und beweinten, schufen Matthias und seine Mitakteure in langwierigen Diskussionen und Verhandlungen Strukturen, die das Überleben der konservativen Orthopädie im Allgemeinen und der Manuellen Medizin im Speziellen nicht nur ermöglichen, sondern auch deren Zukunft sichern. Wie in der Manuellen Medizin zeigte sich auch bei diesem Projekt, dass Matthias Psczolla nicht nur neue richtungsweisende Ideen entwickelt und beharrlich weiterverfolgt, sondern dass er ein ganz hervorragender Netzwerker ist.

So bekannt und geschätzt Matthias in der manualmedizinischen Szene ist, umso bemerkenswerter ist, dass er nur wenige Menschen nahe an sich und seine Familie herankommen lässt. Wer weiß schon, dass er neben vier Kindern auch fünf Enkelkinder hat, um die er sich liebevoll kümmert? Wer kann sich schon vorstellen, dass dieser erfolgreiche und von Termin zu Termin eilende Mann ein überzeugter Imker ist, der mittlerweile sogar seine Bienenstöcke mit „manualmedizinisch typischem Geschick“ selber bastelt. Und wer ahnt, dass er, wie ein ehemaliger Pfadfinder und Pfarrerssohn noch heute die große Freiheit suchend seinen Urlaub am liebsten mit seiner Frau im bescheidenen Wohnanhänger fernab der großen Massen verbringt? Dass er auch über eine fundierte Allgemeinbildung und weit überdurchschnittliche Kenntnisse der Kultur und Geisteswissenschaften verfügt hingegen, war nicht nur zu erwarten, sondern ist allen hinreichend bekannt. Besonders zu erwähnen ist aber, dass er dies keinesfalls an die große Glocke hängt, sondern mit fast calvinistischer Bescheidenheit dies in einem Gespräch oftmals nur in einem Nebensatz andeutet.

Wenn man das nun alles so liest, erkennt man sofort die besonderen Stärken von Matthias als Mensch und Funktionär:

Matthias hat einen „sicheren Hafen“, er kennt seine Basis und sein zu Hause: die Familie, die Manuelle Medizin, die konservative Orthopädie.

Matthias ist beständig und verlässlich: das zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes berufliches und privates Leben.

Matthias ist ein ausgesprochener Netzwerker ohne narzisstische Züge und Starallüren.

Matthias hatte seinen Rückzug aus dem Präsidium der DGMSM rechtzeitig verbindlich mitgeteilt. Auch wenn viele von uns versucht haben, ihn zum Weitermachen zu überreden, zeigt eben auch gerade der Zeitpunkt und die Art seines Rückzuges aus diesem Amt seine wahre Größe. Albert Einstein hat dies trefflich formuliert: „Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: Unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder abzugeben.“ Matthias hinterlässt in unserer Gesellschaft eine große Lücke, oftmals erkennen wir jetzt erst, was er eigentlich alles geleistet hat. Seine Nachfolger werden es sicher nicht leicht haben, diese Lücke schnell zu schließen, Gott sei Dank steht er uns aber als Verfechter der konservativen Orthopädie und der Manuellen Medizin, als Berater und insbesondere auch als Freund weiter zur Seite.

Vielen Dank Matthias für Deine Arbeit, Dein Werk und einfach dafür, wie Du bist.

Und viel Freude mit Deiner Frau, Deinen Kindern und Enkeln, Deinen Bienen und Wohnanhänger.

Genieße Deine Freiheit und besuche uns bei unseren legendären Feiern.