Zusammenfassung
Gegenstand und Ziel der Arbeit
Gefragt wird nach der Relevanz der literarischen Darstellungen von Liebe vom späten 12. Jh. bis heute für unsere gegenwärtigen Vorstellungen und Probleme mit Liebe in Paarbeziehungen.
Material und Methode
Grundlage der Untersuchung sind die europäische Literatur zur Liebe von 1200 bis 1700, die Literatur der deutschen Romantik und der Neuen Sachlichkeit, (populär-)psychologische und (populär-)soziologische Literatur, Lehrwerke für Eheberater sowie Gegenwartsliteratur in einem weiten Sinne, die mithilfe der Systemtheorie Niklas Luhmanns aufgearbeitet werden.
Ergebnisse
Es gibt einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Veränderungen, den als Antworten hierauf von der erzählenden Literatur entworfenen Liebesmodellen und unserer heutigen Liebessemantik. Der historische Blick zeigt zudem, dass es nicht nur die eine „wahre“ Liebe gibt, sondern unterschiedliche Konzepte von Liebe, die mit verschiedenen Individualitätstypen gekoppelt sind.
Schlussfolgerung und klinische Relevanz
In (Paar‑)Therapien sollte nicht auf Basis eines einzigen Liebesideals gearbeitet werden; vielmehr bedarf es eines relativierenden Ansatzes, der unterschiedliche Liebesvorstellungen sowie deren Verhältnis zur Konstruktion von Identität berücksichtigt.
Abstract
Objective and aim
This article examines the literary history of love from the late twelfth century to the present for its relevance to our current notions and issues of love in relationships.
Material and method
The bases of the study are the European literature on love from 1200 to 1700, the German Romanticism and the New Objectivity, (popular) psychological and sociological literature, textbooks for marriage counselors and contemporary literature in a broad sense. Methodologically, the study is based on the system theory of the sociologist Niklas Luhmann.
Results
There is a correlation between social change, narrative responses in the literature to this change, and the significance of these ideas for the development of our present-day love semantics. The evolutionary perspective also shows that there is not only one “true” love but different concepts of love, which are coupled with different types of individuality.
Conclusion and clinical relevance
(Couples) therapy should not be based on a single ideal of love but more on a relativistic approach that takes different love concepts and their relationship to the construction of identity into account.
Notes
Mir erscheint es in diesem Kontext weder sinnvoll noch notwendig, die gesamte Forschungsdiskussion in den Literatur- und Geschichtswissenschaften zu einzelnen Aspekten nachzuzeichnen, deswegen verweise ich auf Publikationen, in denen dies bei Interesse nachgelesen werden kann.
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E. Reinhardt-Becker gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Stephan Herpertz, Bochum
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Reinhardt-Becker, E. Erfindung der „wahren“ Liebe in der Literatur der deutschen Romantik – und ihre Folgen. Psychotherapeut 64, 354–360 (2019). https://doi.org/10.1007/s00278-019-00369-x
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