Prävention gilt seit der Gesundheitsreform 2007 neben Primärversorgung, Akutversorgung und Rehabilitation offiziell als 4. Säule unseres Gesundheitssystems. Ein deutlicher Bedeutungszuwachs von Prävention, auch in der Forschung, ist seit Inkrafttreten des „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“ am 01.01.2016 spürbar (PrävG; „neues Präventionsgesetz“; Bundesrat 2015). Dies zeigt sich z. B. in der kürzlich veröffentlichten „Richtlinie zur Förderung von Forschung zur Stärkung der Evidenzbasierung und des Transfers in der Präventionsforschung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF 2018).

Die zunehmende Bedeutung präventiver Bemühungen in der Gesundheitsversorgung ergibt sich aus dem Trend der Verschiebung des Krankheitsspektrums, der im vergangenen Jahrhundert stetig stärker geworden ist. Dieser verläuft von den Infektionskrankheiten in Richtung ernährungs- und bewegungsinduzierter Erkrankungen (allen voran Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, aber auch Essstörungen) sowie psychischer Erkrankungen und Symptome, wie Depression, Burn-out, chronischem Stress und Angsterkrankungen. Während Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit über 40 % die Haupttodesursache in Deutschland sind, tragen psychische Erkrankungen in steigendem Maß ursächlich zu Krankschreibungen und Frühberentungen bei. Im höheren Alter führen neurodegenerative Erkrankungen, wie M. Parkinson und Demenz, zum stetigen Anstieg der Zahl dauerhaft hilfe- oder pflegebedürftiger Personen (Robert Koch-Institut 2016).

Sowohl bei den ernährungs- und bewegungsinduzierten Erkrankungen als auch bei den psychischen Erkrankungen spielen das individuelle Verhalten und die strukturellen Gegebenheiten der Lebenswelten (Settings) eine erhebliche Rolle. Hingegen können diese Erkrankungen, im Gegensatz zu Infektionskrankheiten, nur eingeschränkt durch medikamentöse Therapien kuriert werden. Teilweise, wie z. B. bei Essstörungen und Depressionen, ist Psychotherapie die erste und v. a. wirksamste Therapieoption. Die in der Psychotherapie häufig adressierten Persönlichkeitsfaktoren Selbstwert und Selbstwirksamkeit sind typischerweise auch die primären Zielvariablen primärpräventiver und gesundheitsfördernder Ansätze. Als ideal gilt die Verzahnung verhaltens- und verhältnispräventiver Interventionen.

Ein weiteres Kennzeichen des heutigen Morbiditätsspektrums ist die Verschiebung von akuten Erkrankungen in Richtung chronisch-degenerativer Erkrankungen im Zuge des demografischen Alterns. Damit verbunden sind steigende Kosten in der Kranken‑, Renten- und Pflegeversicherung. Prävention und Gesundheitsförderung werden als eine Möglichkeit der Reduktion der Krankheitslast über die gesamte Lebensspanne gesehen. Unklar ist bislang, ob präventive Interventionen tatsächlich Kosten bei den Gesundheitsausgaben senken können, jedoch herrscht weitgehend Einigkeit über den Gewinn an Lebensqualität durch Prävention und Gesundheitsförderung.

Präventive Ansätze können nach dem Zeitpunkt der Durchführung in primäre, sekundäre und tertiäre Maßnahmen unterteilt werden, wobei die Tertiärprävention bereits der Nachsorge zuzurechnen ist (Caplan 1964). Gemäß einer neueren Definition, die auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgegriffen wurde, wird Prävention nach Reichweite und Zielgruppen unterteilt in universell, selektiv oder indiziert (Franzkowiak 2018). Bei komplexen Krankheitsbildern oder gesundheitsschädigendem Verhalten empfiehlt sich ein umfassendes Vorgehen, wie es 2014 von der WHO zur Prävention von Suizid vorgeschlagen wurde (deutsche Version: Stiftung Deutsche Depressionshilfe 2016). Hierbei kommen mit Blick auf die Hauptrisikofaktoren (bezogen auf Individuum, Beziehungen, Kommune, Gesellschaft und Gesundheitssystem) sowohl selektive als auch indizierte und universelle Interventionen zum Einsatz.

Die dargestellten Überlegungen machen deutlich, dass der Psychotherapie und den Psychotherapeuten ebenfalls eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Prävention zukommt. Diese bezieht sich auf spezifische Versorgungsstrukturen, z. B. die Adoleszenzpsychotherapie (Fegert und Freyberger 2017), und spezifische Zielgruppen, z. B. Studierende (Hofmann et al. 2017) oder Migranten und Geflüchtete (King 2017; Leuzinger-Bohleber et al. 2017). Auch neue Behandlungsansätze, wie etwa der Einsatz digitaler Medien (Fydrich und Schneider 2018) und Programme der psychosozialen Prävention, wie sie erst unlängst in der Zeitschrift Psychotherapeut dargestellt wurden (Strauß und Taubner 2018; Sidor et al. 2018), kommen zum Tragen.

Das vorliegende Themenheft „Prävention“ vermittelt einen Einblick in die Vielfalt der Ansätze und Zielgruppen. So beschäftigen sich die Beiträge von Riedel-Heller et al., Feldhege et al. und Mühleck et al. mit Möglichkeiten der Prävention bei spezifischen Krankheitsbildern (Depression und Essstörungen). Die Arbeiten von Wick et al. und Zimmermann et al. sind Beispiele für präventive Interventionen über die gesamte Lebensspanne, von „Gesund Lernen“ bis „Gesund Altern“. Im Beitrag von Berger et al. wird das Forschungsrationale des Verbundprojekts „VorteilJena“ vorgestellt, als bevölkerungsorientierter und translationaler Ansatz unter dem Motto „Vorbeugen durch Teilhabe“.