Chirurgische Korrekturen von Deformitäten der Halswirbelsäule sind riskant und können zu neurologischen Schädigungen führen. Das intraoperative Neuromonitoring kann dazu genutzt werden, die Patientensicherheit zu erhöhen. Dabei haben die verschiedenen Monitoringverfahren eine unterschiedliche Sensitivität. Dies soll im folgenden Artikel näher dargestellt werden.

Einleitung

Die Behandlung von Halswirbelsäulendeformitäten ist bei signifikanten neurologischen Ausfällen und ausgeprägten funktionellen Behinderungen, wie Verlust des horizontalen Blicks, indiziert [5, 16, 21]. Allerdings können solche Operationen auch bei Rückenmarks- oder Nervenwurzelverletzungen zu ausgeprägten neurologischen Defiziten führen. Es wird von Komplikationsraten von 5 % bis zu 60 % berichtete [4, 13, 15, 16, 21].

Das intraoperative Neuromonitoring (IOM) wird angewandt, um die Sicherheit durch eine Echtzeitevaluierung der funktionellen Integrität der motorischen und sensorischen Systeme zu erhöhen. Dabei werden somatosensorisch evozierte Potenziale (SSEP) und motorisch evozierte Potenziale (MEP) benutzt [20]. In einer aktuellen Übersichtsarbeit haben wir die unterschiedlichen IOM-Methoden ausführlich beschrieben und die Sinnhaftigkeit der Anwendung bei den häufigeren Wirbelsäuleneingriffen diskutiert [20].

Ziel dieser Publikation ist es, ausführlich über den Stellenwert des IOM bei der selteneren rekonstruktiven Halswirbelsäulenchirurgie zu berichten.

Methoden

Somatosensorisch evozierte Potenziale

Hier wird die funktionelle Integrität der sensiblen Bahnsysteme untersucht. Für die untere Extremität wird der N. tibialis posterior am Innenknöchel und für die obere Extremität der N. medianus am Handgelenk stimuliert. Die Ableitung wird an der Kopfhaut nach dem internationalen 10-20-System durchgeführt. Dabei müssen die normalen EEG-Aktivitäten des Gehirns herausgerechnet werden, wobei mehrere Messungen benötigt werden („averaging“). Deshalb dauert eine SSEP-Messung ca. 60 s.

Motorisch evozierte Potenziale

Hier wird die funktionelle Integrität des motorischen Systems untersucht. Die Stimulation wird ebenfalls nach dem internationalen 10-20-System über die Kopfhaut durchgeführt. Die Ableitung wird an den Extremitäten gemessen. In der Muskulatur werden aus den verschiedenen Muskeleinheiten Aktionspotenziale, die „compound muscle action potentials“, abgeleitet. Im Gegensatz zum SSEP-Monitoring bedarf es hier keines „averaging“, sodass das Monitoring ohne Verzögerung erfolgt.

Warnkriterien

Es werden unterschiedliche Warnkriterien (Amplitudenminderung von 50–80 % und Latenzverzögerung von 10–50 %) propagiert. Unserer Erfahrung nach sind eine Amplitudenminderung von über 50 % und eine Latenzverzögerung von 10 % sehr sinnvoll, weil die falsch negativen Messungen dadurch verringert werden können. Mit diesem Warnkriterium erreicht man z. B. bei der Skoliosekorrektur eine Sensitivität von 100 % und eine Spezifität von 97 % [10].

Anästhesie

Mittlerweile hat sich für die Anästhesie in den meisten Kliniken eine Kombination aus Propofol und einem Opioid etabliert [22]. Zur Einleitung und Intubation ist eine Relaxierung mit einem kurzzeitwirksamen Muskelrelaxans möglich. Es soll darauf geachtet werden, dass die Relaxierung zu Beginn des Monitorings abgeklungen ist. Ebenso soll drauf geachtet werden, dass die Körpertemperatur und der arterielle Blutdruck möglichst stabil gehalten werden.

Datenlage

Im Gegensatz zu der einfachen degenerativen HWS soll die Anwendung des IOM in der rekonstruktiven HWS-Chirurgie einen anderen Stellenwert haben. Da die Rate an neurologische Verschlechterungen nach Operationen an der degenerativen HWS ohne Deformität lediglich 0,2 % [2, 24] bis 1,3 % [6] der Fällen beträgt und es nicht gezeigt werden konnte, dass die IOM-Anwendung das Risiko einer Verschlechterung reduziert [2], kann die Anwendung des IOM hier nicht empfohlen werden. In Gegensatz dazu werden in der rekonstruktiven HWS-Chirurgie Komplikationen von 5 % bis zu 60 % der Fälle beschrieben [4, 13, 15, 16, 21], sodass die Anwendung des IOM bei diesem Patientenkollektiv potenziell einen großen Einfluss haben kann. Leider ist die Datenlage über die Effektivität des IOM bei der rekonstruktiven HWS-Chirurgie sehr begrenzt.

Nachfolgend haben wir die uns bekannten publizierten Studien über die Effektivität und den Einfluss des IOM bei der rekonstruktiven HWS-Chirurgie dargestellt und diskutiert. Da die chirurgischen Manöver in der rekonstruktiven HWS-Chirurgie die gleichen Gefahren für das Rückenmark und die Nervenwurzel wie bei der Skoliosekorrektur darstellen, kann man hier auch Parallelen ziehen und von der gleichen Effektivität und vom gleichen Einfluss des IOM ausgehen. Deshalb werden auch einige Publikationen über die Anwendung des IOM in der Skoliosekorrektur aufgeführt.

IOM bei kraniozervikaler Deformität

In einer retrospektiven Arbeit über 10 Patienten mit kraniozervikaler Deformität wird der Einfluss des IOM untersucht. Alle Patienten hatten eine posteriore Instrumentierung mit einem Schrauben-Stab-System, eine Dekompression, eine Distraktion und eine Korrektur unter laufendem MEP- und SSEP-Monitoring [11]. Während der Distraktion kam es bei 2 Patienten zu signifikanten MEP- und leichten SSEP-Veränderungen. Daraufhin wurde die Distraktion aufgehoben, und es zeigten sich sowohl im Aufwachversuch als auch bei der Nachuntersuchung nach 6 Monaten keine neuen neurologischen Ausfälle [11] bei den Patienten. Der Vollständigkeit halber ist eine retrospektive Arbeit über 7 Patienten mit kraniozervikaler Deformität zu erwähnen. Dabei kam es zu keinerlei IOM-Veränderungen und keiner der Patienten zeigte eine neurologische Verschlechterung [19].

IOM bei zervikaler und zervikothorakaler Deformität

In einer retrospektiven Arbeit wurden 30 Patienten mit zervikaler oder zervikothorakaler Kyphose analysiert. Dabei wurde bei allen Patienten ein IOM durchgeführt und mittels eines kombinierten dorsoventralen Eingriffs eine signifikante Korrektur erreicht. Keiner dieser Patienten entwickelte ein neues neurologisches Defizit. Den Grund für dieses gute Ergebnis sahen die Autoren in den chirurgischen Methoden und der Anwendung des IOM [14]. Allerdings war der Fokus dieser Arbeit auf die chirurgischen Methoden gerichtet. Eine dezedierte Analyse des IOM-Einflusses wurde nicht durchgeführt [14].

In einer anderen retrospektiven Analyse von 29 Patienten mit kyphotischer Fehlstellung im zervikalen oder zervikothorakalen Übergang kam es bei 7 Patienten zu signifikanten MEP-Veränderungen und bei 2 Patienten zu signifikanten SSEP-Veränderungen. Vier der Patienten mit MEP-Veränderung hatten allerdings keine neurologischen Ausfälle. Beide Patienten mit SSEP-Veränderung hatten auch MEP-Veränderungen, wovon einer auch neue neurologische Defizite entwickelte. Insgesamt zeigte das MEP-Monitoring eine Sensitivität von 75 % und eine Spezifität von 84 %. Das SSEP-Monitoring hatte eine Sensitivität von 25 % und eine Spezifität von 96 % [17].

Aktuelle Arbeiten untersuchten die Nützlichkeit des IOM bereits während der Lagerung vor einer Operation bei Patienten mit vorbestehender zervikaler Stenose [1, 18]. In einer retrospektiven Analyse von 75 Fällen kam es bei 5 Fällen bereits während der Lagerung zu signifikanten MEP-Veränderung. Bei 2 von diesen Patienten kam es auch zu SSEP-Veränderungen. Nach Repositionierung kam es zur kompletten Erholung der SSEP, auch in 4 von 5 Fällen erholte sich das MEP. Bei einem Patienten haben sich die evozierten Potenziale nach der Repositionierung und auch während der Operation nicht erholt. Dieser Patient entwickelte anhaltende neurologische Defizite [18]. Auch bei dieser Arbeit erreichte das MEP-Monitoring eine sehr hohe Effektivität mit einer Sensitivität und Spezifität von 100 %. Das SSEP-Monitoring hatte eine Sensitivität von 40 % und eine Spezifität von 100 % [18]. Bei einer ähnlichen retrospektiven Arbeit mit 381 Patienten kam es bei 9 Fällen zum Ausfall der Potenzialen. Nach Repositionierung haben sich die Potenziale bei 5 Patienten komplett erholt. Bei einem dieser Patienten kam es während der Operation zu einem erneuten irreversiblen Ausfall der Potenziale. Dieser Patient entwickelte neue neurologische Defizite. Von den 4 Patienten, bei denen sich die Potenziale durch die Repositionierung nicht erholt hatten, konnte bei einem Patienten eine Erholung der Potenziale nach der Dekompression erreicht werden. Bei 3 Patienten blieb der Ausfall der Potenzialen irreversible. Einer dieser Patienten entwickelte ein neues neurologisches Defizit. Daraus ergab sich eine Sensitivität von 100 % und eine Spezifität von 99,4 % [1].

IOM bei pädiatrischen Patienten mit zervikalen Deformitäten

Ein IOM bei pädiatrischen Patienten (<4 Jahre) ist aufgrund der unreifen neuronalen Strukturen eine Besonderheit. Erschwerend kommen bei der Elektrodenplatzierung die kleinen Dimensionen und die offenen Fontanellen der Patienten unter 18 Monate hinzu. Deshalb wird die Genauigkeit des IOM bei diesen Patienten noch kontrovers diskutiert [7, 8]. In einer retrospektiven Arbeit über 67 pädiatrische Patienten mit zervikalen Deformitäten und einem medianen Alter von 11,6 Jahren wurden MEP- und SSEP-Messungen durchgeführt und deren Einfluss auf die Operationen und das klinische Ergebnis analysiert [23].

Alle Patienten hatten eine dorsale Instrumentierung, SSEP-Veränderungen wurden nicht beobachtet. Bei 7 Patienten kam es zu signifikanten MEP-Veränderungen. Bei 3 Patienten konnten die MEP durch intraoperative Modifikationen auf das Ursprungsniveau zurückgebracht werden: bei 2 Patienten durch eine Erhöhung des mittleren arteriellen Drucks über 65 mmHg und bei einem Patienten durch eine Reduktion der inhalativen Anästhetika. Keiner dieser Patienten hatte eine neurologische Verschlechterung erfahren. Bei 4 Patienten haben sich die MEP trotz intraoperativer Maßnahmen nicht erholt. Davon haben 3 Patienten neue neurologische Defizite entwickelt. Bei einem Patienten waren keine IOM-Veränderungen zu beobachten, dennoch entwickelte dieser neue neurologische Defizite. Insgesamt erreichte das MEP-Monitoring eine Sensitivität von 75 % und eine Spezifität von 98,5 %. Das SSEP-Monitoring erreichte eine Sensitivität von 0 % und eine Spezifität von 100 % [23].

IOM bei Skoliose

Es konnten mehrere Publikationen über den Stellenwert des IOM in der Vorhersage und zur Vermeidung der Entstehung neuer postoperativer neurologischer Ausfälle bei Skoliosepatienten gefunden werden [3, 9, 12, 25, 26]. In einer retrospektiven Analyse von 354 Fällen kam es bei 23 Operationen zu signifikanten MEP- oder SSEP-Veränderungen. Daraufhin reagierten die Chirurgen mit Abwarten, Durchführung von Aufwachtests, Metallentfernungen, Erweiterung der Dekompression und/oder Zurücksetzen der Korrektur. In 4 Fällen musste die Operation sogar abgebrochen werden. Letztendlich hatten nur 4 dieser 23 Patienten ein neues neurologisches Defizit entwickelt [3]. Dabei erreichte das MEP-Monitoring eine Sensitivität von 95,5 % und eine Spezifität von 99,3 % und das SSEP-Monitoring eine Sensitivität von 56,5 % und eine Spezifität von 99,7 % [3].

Eine ähnliche Effektivität konnte ebenfalls in einer retrospektiven Analyse von 3436 konsekutiv pädiatrischen Skoliosekorrekturen [26] und in einer sehr großen retrospektiven Analyse von 108.419 Eingriffen aus der Scoliosis-Research-Society-Datenbank demonstriert werden [9]. In einer Metaanalyse über die Effektivität des IOM bei Skoliosekorrekturen waren 7 randomisierte Studien mit 2052 Patientendaten identifiziert worden [25]. In 94 Fällen (4,5 %) kam es zu MEP- oder SSEP-Veränderung. Nur bei 18 (19 %) dieser Fälle waren diese Veränderung sowohl beim MEP- als auch beim SSEP-Monitoring zu sehen, 19 Patienten (0,93 %) entwickelten neue neurologische Defizite. Bei all diesen Patienten waren signifikante IOM-Veränderungen beobachtet worden. Erwähnenswert bei dieser Publikation war die zusätzliche Vergleichsanalyse der Sensitivitäten und Spezifitäten der einzelnen IOM-Verfahren und deren Kombinationen (Tab. 1). Dabei zeigte das kombinierte IOM (MEP- oder SSEP-Veränderung) eine statistisch signifikant höhere Sensitivität als das SSEP-Monitoring alleine und eine nicht statistisch signifikant höhere Sensitivität als das MEP-Monitoring alleine [25].

Tab. 1 Ein Forest-Plot der Sensitivität und Spezifität vom SSEP, MEP und kombiniertem IOM in der Vorhersage der Entwicklung von neuen neurologischen Defiziten. (Übernommen und leicht modifiziert aus Thirumala et al. [25])

Fazit für die Praxis

  • Korrekturen von HWS-Deformitäten sind mit dem Risiko einer neurologischen Verschlechterung verbunden. Das IOM kann die Patientensicherheit deutlich erhöhen.

  • Die Datenlage über die Effektivität des IOM bei der rekonstruktiven HWS-Chirurgie ist sehr begrenzt.

  • Da die chirurgischen Manöver in der rekonstruktiven HWS-Chirurgie die gleichen Gefahren für das Rückenmark wie bei der Skoliosekorrektur darstellen, kann man hier von der gleichen Effektivität und dem gleichen Einfluss des IOM ausgehen.

  • Das SSEP- und MEP-Monitoring besitzt eine sehr hohe Sensitivität und Spezifität.

  • Die Anwendung dieser Methoden kann bereits bei der Lagerung von Patienten mit vorbestehenden Stenosen von großem Nutzen sein.

  • Eindeutige Daten über die Effektivität des IOM zur Vorhersage und Vermeidung der Entstehung von neuen postoperativen neurologischen Ausfällen liefern Arbeiten über Skoliosekorrekturen. Dabei hat das MEP-Monitoring eine höhere Sensitivität als das SSEP-Monitoring. Am besten schneidet das kombinierte IOM ab.

  • Zusammenfassend kann eine Empfehlung für das kombinierte IOM in der rekonstruktiven HWS-Chirurgie ausgesprochen werden.