Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

die rasant wachsende Forschung zu Mikrobiom und Mikrobiota verändert unseren Blick auf die Medizin völlig.

Eine Unzahl von Publikationen zu diesem Thema im Bereich der Inneren Medizin, insbesondere des Darmes, aber auch von Haut, Lunge und Genitaltrakt, weist auf eine völlig neue Entwicklung hin und zeigt, welche entscheidende Bedeutung Bakterien und Viren für unsere Gesundheit haben.

Als Mikrobiota bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einem Bereich, z. B. Darm oder Vagina, und die Gesamtheit aller Gene dieser Erreger wird als Mikrobiom bezeichnet, unabhängig vom Lokalisationsort.

Die ursächliche Überlegung, dass ausschließlich Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilzerreger auftreten, wurde schon verändert durch Beobachtungen, dass Helicobacter pylori Magenkarzinome und HPV (humane Papillomviren) Zervixkarzinome auslösen. Dies waren die ersten Beschreibungen, dass bakterielle Erreger und Viren maligne Tumoren auslösen können.

Auch bei malignen und bei metabolischen Erkrankungen hat das Mikrobiom wichtige Funktionen

Beim menschlichen Mikrobiom sprechen wir jetzt auch von nahezu 100 Trillionen Bakterien, denen eine ganz wichtige Funktion bei unterschiedlichen Erkrankungen zukommt. Diese Veränderungen führen zu Karzinomerkrankungen des Darmes, der Haut und auch zu metabolischen Veränderungen, etwa Diabetes mellitus Typ 2. Aktuell wurde z. B. der Darmkrebs-Präventionspreis 2017 für eine Arbeit vergeben, die genau auf das Karzinomrisiko dieser bakteriellen Veränderungen hinweist.

Schon bei der Geburt besteht eine Besiedelung, z. B. des Magen-Darm-Traktes, aber auch des Genitalbereiches, mit verschiedensten Mikroorganismen. Der Dickdarm hat dann in aller Regel etwa 1000 Keime/g Stuhl und ist damit wohl der am dichtesten besiedelte Abschnitt des menschlichen Körpers. Andererseits zeigen ganz neue Untersuchungen, auch vom vaginalen Mikrobiom, dass damit Hinweise auf die Frühgeburtlichkeit als Beispiel belegt werden können.

So haben die Vorstellungen, die von Prof. Döderlein damals beschrieben wurden, eine deutliche Veränderung gefunden. In der Tat sind die Laktobazillen, die sog. Döderlein-Bakterien, ein wichtiger Milieuregler der Scheide. Mittlerweile wissen wir jedoch, dass diese Laktobazillen unterschiedliche Funktionen haben können, zum einen protektive, zum anderen z. B. ursächlich für eine Frühgeburt sind.

So beschreibt Herr Kollege Petricevic von der Universitäts-Frauenklinik Wien die bisher bekannten Forschungsergebnisse und weist darauf hin, dass wir unsere Vorstellungen der Infektionsgenese unterschiedlicher Erkrankungen überdenken müssen.

Korrekterweise gehört hierzu auch, über die Antibiotikatherapie zu sprechen, die ein sehr segenbringender Effekt der Medizin generell ist, jedoch nach mehreren Beobachtungen eben auch zu Veränderungen der Mikrobiota in Darm, Scheide oder Uterus führt.

So gesehen muss auch beachtet werden, dass in der Geburtshilfe eingesetzte Antibiotika mit Überlegung Verwendung finden, da sie z. B. bei einem Neugeborenen zu Störungen des Milieus und zu einer Dysbalance führen können, sodass das Mikrobiom sich negativ auf den fetalen bzw. den kindlichen Organismus auswirken kann.

In der Geburtshilfe eingesetzte Antibiotika können zu Störungen des Milieus und zu Dysbalance führen

Im Beitrag von Professor Hoyme wird hinterfragt, wie künftig mit Antibiotika umgegangen werden soll. Der Beitrag stellt auch die vom Heft-Herausgeber immer wieder empfohlene Antibiotikaprophylaxe bei der primären Sectio infrage.

Kaum vorstellbar sind die Veränderungen, die von einer Forschergruppe der Ludwig-Maximilians-Universität beschrieben werden, beispielsweise dass in Uterus und Plazenta unterschiedliche Mikrobiota vorhanden sind. Konkret heißt dies: Die Mikrobiomausstattung in der Vagina ist eine andere als im Uterus und wiederum eine andere als in der Plazenta, was bei der Kommunikation der 3 Bereiche eigentlich kaum zu verstehen ist.

Das Leitthema aus internistischer Sicht wird von Frau PD Andresen und Herrn Professor Layer aus Hamburg erschlossen; sie weisen auf die vielfältigen Risiken, insbesondere auch der Karzinomentstehung, hin. Ganz neu sind die Untersuchungen, die zeigen, dass z. B. auch durch die Veränderung des Darmmikrobioms bei Antibiotikagabe die Wirkung von Checkpointinhibitoren verschlechtert werden kann und dass die Entwicklung gastrointestinaler Tumoren durch das Mikrobiom in erheblicher Weise beeinflusst wird, da zur Gesunderhaltung des Darmes Abwehrmechanismen des Immunsystems, z. B. gegen inflammatorische Prozesse, von entscheidender Bedeutung sind.

Die Schutzfunktion des Mikrobioms hat insbesondere der Mukus im Darm. Hierauf geht Frau Kollegin Enders, Mitarbeiterin von Herrn Prof. Layer, ein, die vielen Leserinnen und Lesern möglicherweise durch ihr 2014 erschienenes Bestseller-Buch „Darm mit Charme“ ein Begriff ist.

Die Mikrobiomforschung wird auch in Gynäkologie und Geburtshilfe Veränderungen mit sich bringen

Das Wissen um Mikrobiom und Mikrobiota wird auch für Gynäkologen und Geburtshelfer weiter Veränderungen mit sich bringen, und wir Autoren hoffen, dass Sie von diesem Heft profitieren.

Ich wünsche Ihnen einen Zugewinn an Wissen und Freude an dieser Ausgabe von Der Gynäkologe.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

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Prof. Dr. med. Klaus Friese