Dass die demographischen Entwicklungen der näheren Zukunft nicht zuletzt auch die Medizin verändern werden, ist jedem Mediziner klar. Aber was bedeutet das konkret für die Urologie? Sind wir gerüstet für den „geriatrischen“ Patienten, den wir urologisch behandeln sollen? Bedeutet „geriatrische Urologie“ Urologie an „Älteren“ mit den vorhandenen Methoden?

Allen Kollegen, die einen Zuwachs an onkologischen Behandlungsfällen wegen der Altershäufigkeit z. B. des Prostatakarzinoms oder des Nierenzellkarzinoms erwarten, sei gesagt, dass onkologische Erkrankungen bei multimorbiden, vulnerablen, von Autonomieverlust bedrohten geriatrischen Patienten eine untergeordnete Rolle spielen. Die geriatrischen Hauptthemen sind die Immobilität mit Gangunsicherheit und Sturzneigung, kognitive Defizite mit intelektuellem Abbau bis hin zum Delir, die Inkontinenz, Immundefizite und nicht zuletzt auch die soziale Isolation mit Altersarmut. Einem geriatrischen Syndrom, bei dem nicht monolithisch vom Symptom über die Ursache zur „Reparatur“ gedacht wird, beeinflussen sich viele Funktionseinschränkungen auf somatischer, psychischer und sozialer Ebene gegenseitig negativ. Einem solchen geriatrischen Syndrom können mehrere Erkrankungen zugrunde liegen, andererseits kann sich auch eine Erkrankung in mehreren Syndromen manifestieren. Als Beispiel sei hier die Harninkontinenz erwähnt, die etwas mit Immobilität und Muskelabbau zu tun hat, mit Nykturie und Sturzneigung, mit Exsikkose und kognitivem Abbau, mit Komorbiditäten wie der diabetischen Polyneuropathie und ihrer Therapie wie die diuretisch wirksame Therapie mit Antidiabetika aus der Reihe der Diflozine. Ein arthrosebedingter Schmerz führt zur Immobilität, diese wiederum zum Muskelabbau, die (morphinhaltige) Schmerzmedikation verschlechtert die Kognition und beeinflusst die Blasenfunktion mit einer Restharnbildung. Diese ist Risikofaktor für eine Bakteriurie, die die Kontinenzlage verschlechtert …

Die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen, die der geriatrische Patient in der Urologie bietet, bedeutet dann auch den Erwerb eines speziellen – vielleicht auch allgemeinmedizinischen Know-how’s neben der Anwendung und hier erforderlicher geriatrischer Methoden. Zentral sind hier Screening- und Assessment-Tools, mit denen nicht nur das Aufdecken von geriatrischem Handlungsbedarf gelingt, sondern auch die untersucherunabhängige, strukturierte Erfassung von Mobilität oder Kognition mit der Möglichkeit, Veränderungen im zeitlichen Verlauf zu erkennen. Hier sollte eine Erweiterung des „urologischen Denkens“ erfolgen, das zwar bei der Indikationsstellung zur transurethralen Prostataresektion den validierten IPSS-Score mit dem vorliegenden Punktwert nutzt, aber für den Patienten lebenswichtige Entscheidungen z. B. über die Anwendung von Taxanen oder die Durchführung einer Operation dem „klinischen Eindruck“ oder dem „internistischen Konsil“ überlässt.

So hat das vorliegende Schwerpunktheft „geriatrische Urologie“ die geriatrischen Assessments, aber auch die typischen Problemfelder an der Schnittstelle zwischen Urologie und Geriatrie zum Thema: die (medikamenteninduzierte) Hämaturie, die Harnblasenlangzeitdrainage, das Delir und andere. Es geht hier um nicht weniger als die Anpassung der Urologie an die speziellen Herausforderungen der alternden Gesellschaft. Dies ist berufspolitisch wichtig und steht im Einklang mit dem Motto der 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie: Tradition, Innovation, Verantwortung.