Liebe Leserinnen und Leser,

… so lautete regelmäßig die Antwort der MTRA, wenn man die Qualität eines CT-Scans zur Strahlentherapieplanung beanstandete. Als Radiologen mussten wir seinerzeit nur schreiben, was alles abgebildet war, mit dem Zusatz „zur Bestrahlungsplanung geeignet“, damit war unsere Aufgabe erledigt. Den Rest machten die Strahlentherapeuten. Na dann, liebe Kollegen, viel Spaß: Dass eine Aufnahme in Atemstillstand nicht ging, war klar, aber der ganze Rest! Matrixreduziert (um Speicherplatz zu sparen), kein Kontrastmittel, Arme neben dem Körper auf der Liege gelagert, mit Aufhärtungsartefakten über Wirbelsäule und Abdominalorganen. Nun, es war die Zeit der opponierenden Stehfelder und der Vierfelderboxen, da brauchte man am Ende auch nicht mehr.

Vorbei ist nun die Zeit, da Strahlentherapie von Radiologen nebenher betrieben wurde. Das Fach hat sich emanzipiert, und mit guter Berechtigung heißt es nun Radioonkologie und schließt das breite Spektrum der systemischen Tumortherapie mit ein – ob nun innerhalb des Fachs oder in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den klinischen Fächern. Neben gewaltigen technischen Neuerungen ist die Entwicklung der Strahlentherapie vor allem von neuem Denken geprägt, und diese kann an den Radiologen nicht vorbei gehen.

Bis auf wenige Ausnahmen erfolgt die Definition des zu bestrahlenden Volumens anhand von Bildern, vorzugsweise CT-Bildern, und zwar nicht irgendwie. Vielmehr verläuft der Prozess zur Definition des Bestrahlungsvolumens nunmehr schrittweise, was sich anhand der Reports 50, 62 und 83 der Internationalen Kommission für Strahlungseinheiten und Messung (ICRU) nachvollziehen lässt (s. Artikel von Neil Burnet et al.). Die Schritte bestehen in der Identifizierung des „gross tumor volume“ (GTV), des „clinical target colume“ (CTV) und des „planning target volume“ (PTV), die wie Schichten einer Zwiebel ineinander geschachtelt sind. Hinzu kommen Volumina für Risikoorgane (PRV), anhand derer riskante Überlappungen erkannt und situationsadäquat aufgelöst werden müssen. Das GTV besteht bekanntlich aus dem Tumor, sofern man ihn sehen, tasten oder bildgebend darstellen kann (s. Artikel von Christian Thieke). Bereits hier ist radiologische und nuklearmedizinische Fachkenntnis erforderlich, und auch erfahrene Diagnostiker sind mit der Frage, wo genau die Grenze zwischen eindeutig malignem und benignem Gewebe verläuft, weniger vertraut, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Einen Tumor zu benennen, zu lokalisieren, zu messen, seine Infiltration in benachbarte Strukturen zu benennen – alles Routine. Aber die Grenze zum Normalgewebe? Man denke an Spiculae beim Bronchialkarzinom, umgebende entzündliche Veränderungen, ganz zu schweigen von Signalveränderungen in der MRT in der Nachbarschaft (oder doch innerhalb?) von Gliomen. Bestens vertraut sind wir mit der elendiglichen Differenzialdiagnose von Lymphknoten, seien sie nun metastatisch befallen, entzündlich vergrößert oder schlicht normal. Die weiter außen liegende Schicht des Primärtumors besteht aus jenem Gewebe, das vom Tumor befallen sein kann, dem man es aber nicht ansieht, und die durch einen Sicherheitssaum erfasst werden muss. Dieser Saum ergibt mit dem GTV zusammen das CTV. Teilweise können mehrdeutige morphologische Veränderungen zur Entscheidung beitragen, in den allermeisten Fällen aber ist hier klinisches Vorwissen erforderlich: Häufigkeit von Rezidiven in Abhängigkeit vom Abstand zum Feldrand, histopathologische Untersuchungen sowie die Kenntnis von Barrieren, die vom Tumor nicht durchwachsen werden (z. B. die Dura mater bei Gliomen) wären hier vor allem zu nennen. Hier ist der Radioonkologe mehr gefragt als der Radiologe, das versteht sich (s. Artikel von Thomas Brunner et al.). Das CTV erfasst auch Lymphabflusswege, in denen eine mögliche mikroskopische Tumoraussaat vermutet wird. Diese Konzepte sind sehr abhängig von der diagnostischen Sicherheit, mit der Lymphknotenmetastasen bildgebend erfasst werden können. Durch eine höhere Sicherheit kann ggf. der CTV-Saum reduziert werden. Prominentes Beispiel sind hier Bronchialkarzinome, bei denen man nach neusten Erkenntnissen auf prophylaktische CTV verzichten kann, sobald eine aktuelle koregistrierte FDG-PET (Positronenemissionstomographie mit 18-Fluor-Deoxyglukose) der Bestrahlungsplanung zugrunde liegt.

Die äußerste Schicht nun trägt allen technischen Ungenauigkeiten und Fehlermöglichkeiten Rechnung, die sich unterschiedlich stark auswirken und zu einer Unterdosierung von Tumor- und einer Überdosierung von Normalgewebe führen können, und die zusammen mit dem klinischen Zielvolumen das Planungsvolumen ergibt – jenem Feld, das letztlich bestrahlt wird. Nota bene ist im Unterschied zum GTV und CTV das PTV nicht innerhalb des Patienten definiert, sondern im Raum, so dass seine Grenzen bei einzelnen Sitzungen auch einmal außerhalb des Patienten verlaufen können.

Fehler können systematisch oder unsystematisch sein, je nachdem, ob sie zum Zeitpunkt der Planung auftreten und somit einen Versatz aller Felder während der nachfolgenden Bestrahlung bedingen, oder ob sie zwischen einzelnen Therapiesitzungen auftreten. Typische Fehlerquellen sind unvermeidliche Abweichungen der Lagerung (z. B. aufgrund von Tag zu Tag verschiedener Re- oder Inklination des Kopfes, der Deformierbarkeit des Körperfetts bei Verwendung einer Rumpfmaske oder Vakuummatratze) oder Bewegungen innerhalb des Körpers (z. B. Atmung, Peristaltik). Gerade Letztere spielen sowohl eine Rolle von Fraktion zu Fraktion (interfraktional) als auch während einer einzelnen Fraktion (intrafraktional). Manche Veränderungen der Position können gravierend und zunehmend sein. So nehmen nicht wenige Patienten Gewicht ab (z. B. wegen des Tumorleidens selbst oder durch Inappetenz oder Schluckbeschwerden), wodurch sich die Fixierung lockern wird. Beim Bronchialkarzinom kann eine poststenotische Atelektase erneut belüftet werden und somit eine massive Verschiebung des Mediastinums und des Primärtumors bedingen; bei Gliomen kann ein perifokales Ödem zu- oder abnehmen und die Position des Tumors verändern. Tumoren in beweglichen Organen, z. B. im Darm oder Ösophagus, können ihre Position täglich wechseln. Dem kann nur durch eine komplette Neuplanung oder gar eine Bibliothek mehrerer Pläne begegnet werden, aus der je nach aktueller Position des Tumors auszuwählen ist („plan of the day“). Alle Bemühungen münden in dem Konzept der bildgeführten Strahlentherapie („image-guided radiotherapy“, IGRT), bei der die Bildgebung nicht nur der Definition des Zielvolumens dient, sondern zugleich der Verifizierung dessen Position zu jeder Bestrahlungssitzung, verbunden mit einer Anpassung der Bestrahlungskoordinaten (s. Artikel von Andrea Schwahofer und Oliver Jäkel). Ziel des Ganzen ist es letztlich, den durch Ungenauigkeiten bedingten Saum, der zum PTV beiträgt, so weit wie möglich zu verschmälern, denn mit ihm wird stets eine Belastung von Normalgewebe in Kauf genommen, um eine Unterdosierung im Tumor zu vermeiden. Die Radiosensitivität des Normalgewebes ist außerordentlich verschieden. Der Artikel von Alexander Rühle und Peter Huber in diesem Heft geht z. B. auf die strahlenbiologischen Grundlagen der Toxizität am Normalgewebe ein, der Artikel von Thomas Welzel auf die radiologische Diagnostik von Strahlenwirkungen am Normalgewebe. Auch die Strahlenbiologie und die Heterogenität des Tumors, der normalerweise mit einer möglichst homogenen Dosis belegt wird, gilt es zu verstehen – womöglich erfordern manche Tumoranteile höhere Dosen zur Kontrolle als andere. Gelänge es, den PTV-Saum zu verkleinern, würde zum einen die Dosis im Normalgewebe sinken, zum anderen könnte sie im Tumor oder in Teilen davon mit besonderem Dosisbedarf erhöht werden, mit entsprechend größeren Chancen einer lokalen Kontrolle. Allerdings gilt: Je mehr Beweglichkeit man für die Bestrahlungsplanung abbilden will, z. B. über 4‑D-Bildgebungen, desto mehr ist zu konturieren. Dies wird in der Breite nicht mehr händisch möglich sein und stimuliert die Forschung bezüglich automatischer Konturierungsverfahren, bei denen aus der Bildgebung in Bestrahlungsplanungsposition 3‑D- und 4‑D-Zielvolumina segmentiert werden. Unabdingbar bleibt indes die visuelle Überprüfung und Anpassung durch den Strahlentherapeuten, und auch dies erfordert benutzbare Software-Tools. Denkt man das Ganze zu Ende, landet man unweigerlich bei der intrafraktionalen IGRT, aber auf diesem Gebiet ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten, geht es doch darum, in Echtzeit den Tumor oder ein zuverlässiges Surrogat zu identifizieren und seine Bewegung ohne jeden Verzug durch Nachführung des Strahls zu verfolgen. Die apparativen, rechnerischen und dosimetrischen Herausforderungen sind immens. Immerhin stehen in Deutschland die ersten Hybridgeräte aus Linearbeschleuniger und MRT, und auch an Ultraschall als einem Verfahren zur Erfassung der Bewegung des Tumors wird geforscht. Nur ein Aspekt, um die Komplexität des Problems zu verdeutlichen: Zwischen der Erfassung der Position des Tumors und der Strahlnachführung vergeht unweigerlich Zeit, wenngleich nur wenig – in welcher aber der Tumor sich weiter bewegt. Somit reicht es nicht aus, die Bewegung des Tumors zu erfassen und den Strahl nachzuführen – die Werkzeuge hierfür gibt es. Nein, die Bewegung muss sogar antizipiert werden, sonst würde der Strahl dem Tumor stets nachhinken. Andere Aspekte, wie z. B. die Wechselwirkung zwischen Magnetfeld, Gradienten und lokaler Strahlendosis, kommen noch hinzu, insbesondere bei Therapie mit geladenen Partikeln (z. B. Protonen), die vom Magnetfeld und den Gradienten nicht gerade unbeeindruckt bleiben werden.

Eine weitere Unsicherheit ist noch zu bedenken, nämlich die Person desjenigen, der das Volumen konturiert. Erhält ein erfahrener Radioonkologe die Aufgabe, in größeren Abständen beim identischen Planungsbildersatz wiederholt jeweils ein GTV und ein CTV einzuzeichnen, wird man erstaunt sein, wie stark allein die von einer einzelnen Person zu verschiedenen Zeitpunkten definierten Konturen voneinander abweichen. Wie viel mehr werden sie es tun, wenn verschiedene Personen am Werk sind! Drei Dinge können dem abhelfen: Dialog, Bildgebung höchster Qualität und höchsten Informationsgehalts sowie schließlich auch radiologische und nuklearmedizinische Expertise. Sobald mehrere Personen die Pläne im Konsens festlegen, werden die Abweichungen geringer ausfallen. Hiermit sind wir wieder beim GTV, dem Anfang der Kette. Im Unterschied zu früher erfordern moderne Strahlentherapiekonzepte Bilder in der bestmöglichen Qualität, oft mit Kontrastmittel, und unter Zuhilfenahme funktioneller Bildgebung. Da in den meisten Fällen die Planung anhand der CT geschieht, sollten möglichst morphologische und funktionelle Bilder aus der MRT oder PET durch geeignete Registrierungsverfahren überlagert werden oder, als Mindestanforderung, Seite an Seite zum Vergleich bereitstehen. Grundsätzlich können morphologische Planungsaufnahmen auch mit der MRT erzeugt werden, aber sie müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um den Anforderungen an die geometrische Korrektheit gerecht zu werden.

Alle Bestrebungen gehen dahin, Unsicherheiten zu vermindern – Unsicherheiten zum einen hinsichtlich der tatsächlichen, nicht nur der auf konventionellen Bildern erkennbaren Tumorausdehnung, zum anderen hinsichtlich seiner Lokalisation zum Zeitpunkt der Bestrahlung. In anderen Worten geht es darum, Sicherheitssäume zu verschmälern, wie sie derzeit erforderlich sind, um eine Unterdosierung im Tumor zu vermeiden, zu dem Preis einer Belastung des Normalgewebes, die ihrerseits die Dosis begrenzt, die im Tumor erzielt werden kann. Ist es möglich, das CTV dem GTV anzunähern, indem auch eine graduelle Tumorinfiltration im Randbereich zuverlässig erkennbar wird? Werden wir das PTV dem GTV annähern und den Tumor mit der vollen Dosis treffen können, wo auch immer er sich aktuell aufhält, unter Schonung des Normalgewebes? Werden wir so höhere Dosen im Zielvolumen erreichen und die lokale Kontrollrate verbessern können? Werden wir sogar während der Applizierung der Einzeldosis im Tumor erfahren, was sich pathophysiologisch abspielt (nicht erst nach Abschluss der letzten Sitzung), und Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Therapie ziehen können? Was wir brauchen, ist Technologie vom Feinsten, sicherlich. Vor allem aber müssen unsere Disziplinen zusammenrücken: Radiologen und Nuklearmediziner müssen lernen, wie Radioonkologen zu denken und umgekehrt.

Ihre

Prof. Dr. Stefan Delorme

Prof. Dr. Ursula Nestle

Prof. Dr. Neil Burnet