Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • können Sie wichtige importierte neurologische Erkrankungen benennen,

  • ziehen Sie korrekte Schlüsse aus der klinischen Präsentation importierter Erkrankungen des Zentralnervensystem (ZNS), wie z. B. Neurozystizerkose,

  • erkennen Sie lebensbedrohliche importierte ZNS-Infektionen wie zerebrale Malaria,

  • verwenden Sie antiplasmodiale und anthelminthische Therapeutika sicher.

Hintergrund

Im Jahr 2018 unternahmen 1.350.000.000 Menschen eine Reise über eine Grenze hinweg („international tourist arrivals“), die Zahlen steigen um 6–7 % pro Jahr [1, 2].

Weltweit ist die Zahl der MigrantInnen laut UNO in den letzten 10 Jahren um ein Viertel gestiegen, von 221 Mio. auf 272 Mio., es sind somit heute 51 Mio. mehr als 2010 (Mitteilung auf der Homepage des für Bevölkerungsfragen zuständigen UNO-Büros für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten [3] am 17.09.2019). Die meisten dieser MigrantInnen leben in Europa (81 Mio.) und in Nordamerika (59 Mio.), je 49 Mio. in Nordafrika und Westasien. Die Hälfte dieser 272 Mio. Menschen lebt dem Bericht zufolge in gerade einmal 10 Ländern. Die USA liegen mit 51 Mio. an der Spitze. Mit großem Abstand folgen Deutschland und Saudi-Arabien mit jeweils 13 Mio., Russland mit 12 Mio., Großbritannien mit 10 Mio. und die Vereinigten Arabischen Emirate mit 9 Mio. In Frankreich, Kanada und Australien leben jeweils 8 Mio. und in Italien 6 Mio. Einwanderer.

Bei den Herkunftsländern der Migranten liegt Indien mit 18 Mio. Auswanderern an der Spitze, gefolgt von Mexiko mit 12 Mio., China mit 11 Mio., Russland mit 10 Mio. und Syrien mit 8 Mio. MigrantInnen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge publizierte im März 2019 folgende Zahlen bez. Flüchtlinge, Asylsuchende/-bewerberInnen in Deutschland: Im 65-Jahres-Zeitraum 1953 bis 2018 wurden ca. 5,8Mio. Asylanträge registriert, davon 4,9 Mio. (84 %) im Zeitraum 1990 bis 2018. Die Dynamik der Zahlen der Asylanträge spiegelt die regionale, aber auch weltweite politische und wirtschaftliche Situation wider:

  • 1992: 438.191,

  • 1995: 166.951,

  • 2005: 42.908,

  • 2015: 476.849,

  • 2016: 745.541,

  • 2017: 222.693,

  • 2018: 185.853.

Reisende in bzw. MigrantInnen/Flüchtlinge aus tropischen und/oder subtropischen Regionen können sich – im Krankheitsfall – mit einer Vielzahl lokaler und regionaler Besonderheiten präsentieren; diese zu erkennen und richtig einzuordnen setzt detailliertes klinisches und epidemiologisches Wissen voraus. Neben „exotischen“ Infektionskrankheiten muss bei neurologischen Symptomen auch an Malnutrition, Wasser- und Elektrolytmangel gedacht werden und besonders während der Migration oder in Flüchtlingslagern Nordafrikas oder des Vorderen Orients an physische und psychische Gewalt [4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14]. Eine detaillierte Anamnese bez. der Exposition gegenüber Vektoren, Arthropoden (Insekten oder Zecken), Ratten, Mäuse etc., ist meist sehr schwierig, aber in Notfallsituationen unerlässlich [15, 16, 17, 18, 19]. Die behandelnden NeurologInnen sind gefordert, wesentliche epidemiologische Grundkenntnisse über die geographische Verbreitung humanpathogener Erreger, Übertragungswege (Arthropoden, Tierbiss oder direkt von Mensch zu Mensch), Anamnese in Bezug auf Infektionserreger, aber auch Impfstatus oder Resistenzsituationen (z. B. Mycobacterium tuberculosis) zu kennen und sich raschest möglich zu informieren [18, 19, 20, 21, 22, 23, 24]. Die häufig bestehende Sprachbarriere ist oft zusätzlich kompliziert durch kulturelle Kommunikationsbarrieren [25].

Merke

Die Zahl der Fernreisenden ist ein Vielfaches größer als die Zahl der Flüchtlinge.

Merke

Auch an „Nichtinfektions“-Krankheiten sollte gedacht werden.

ZNS-Infektionen, Fernreise und Migration

Brinckmann et al. berichten anhand einer konsekutiven Kohorte neurologischer Notfälle in der Notaufnahme der Charité Berlin mehrere Besonderheiten, wenn sie Menschen ohne Migrationshintergrund (NonmigrantInnen, N), MigrantInnen (M) und Flüchtlinge (F) vergleichen [4]. Sie fanden folgende statistisch signifikante Unterschiede:

  • M hatten seltener eine medizinische Vorgeschichte als N.

  • F bekamen seltener eine Magnetresonanztomographie (MRT) als N.

  • Die Zeit bis zur Diagnose war bei F signifikant länger als bei M oder N.

  • Eine Notfallmedikation wurde bei F signifikant seltener als bei N verabreicht.

  • Eine stationäre Aufnahme wurde bei F signifikant seltener als bei N für notwendig erachtet.

  • Folgende Notfallbeschwerden/-symptome wurden berichtet:

    • definitive Kopfschmerzen bei M signifikant häufiger als bei N,

    • nicht näher eingrenzbarer Kopfschmerz bei F signifikant häufiger als bei N,

    • Verdacht auf epileptischen Anfall bei F signifikant häufiger als bei M oder N,

    • möglicher oder definitiver epileptischer Anfall bei F signifikant häufiger als bei M und N.

Alle anderen Diagnosen und Beschwerden, insbesondere auch lebensbedrohliche Diagnosen, wie Schlaganfall oder symptomatische/sekundäre Kopfschmerzen, zeigten keinen Unterschied [4].

Diese Auflistung berücksichtigt nicht die überaus große Population der Tropenreisenden, Touristen, Geschäftsreisenden etc., die sich naturgemäß mit einem völlig unterschiedlichen Spektrum an neurologischen Notfällen präsentieren. Neben Einzelfällen von langstreckenflug- und/oder exsikkationsassoziierten Sinusthrombosen [26] oder tiefen Beinvenenthrombosen mit paradoxen Embolien sind es vor allem akute oder perakute Infektionskrankheiten des Zentralnervensystems (ZNS), wie zerebrale Malaria, virale Meningoenzephalitis, Helmintheninfestationen des ZNS, aber auch akute bakterielle Meningitis oder Hirnabszess [12, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 30].

Demgegenüber präsentieren sich MigrantInnen, AsylwerberInnen oder Flüchtlinge häufig spät und mit chronifizierten Beschwerden [5, 9, 15, 16, 17, 18]. Allerdings kann natürlich jede/r MigrantIn akut an einer lokal erworbenen Infektion des ZNS (z. B. Frühsommer-Meningoenzephalitis oder Neuroborreliose) erkranken oder unabhängig vom Migrantenstatus an einer sonstigen neurologischen Erkrankung leiden. MigrantInnen können auch (gesunde) „Carrier“ eines Erregers sein, selbst erkranken oder andere Menschen „infizieren“; auch Zugvögel und andere Tiere sind als Carrier von Infektionserregern identifiziert worden (z. B. West-Nil-Virus), auch Vektoren migrieren (Arthropoden – Stechmücken oder Zecken), mit steigender Zahl von MigrantInnen gibt es auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, genetisch bedingte „europaatypische“ Erkrankungen zu sehen, z. B. Schlaganfall bei Sichelzellanämie, und letztlich sind auch soziale, kulturelle, religiöse, wirtschaftlich prekäre Faktoren bei Anamneseerhebung sowie diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu berücksichtigen [10, 15, 29, 31]. Gerade bei chronischen Infektionen des ZNS, z. B. ZNS-Tuberkulose, ist die Resistenzsituation der Erreger im Herkunftsland genauestens zu eruieren [16, 17, 18, 19, 27].

Merke

Die genaue Anamnese ist trotz vielfältiger Barrieren in der Kommunikation unverzichtbar. Die Häufigkeit bestimmter Erkrankungen in den Herkunfts- bzw. Zielländern erlaubt schon frühzeitige, wichtige differenzialdiagnostische Überlegungen: Weltweit, vor allem in Südost- und Südasien sind Tollwutviren die häufigsten Auslöser einer tödlichen viralen Enzephalitis. Dabei darf „Doktor Google“ befragt werden: d. h. nachschauen, nachlesen!

Ursachenorientierte Gliederung importierter neurologischer Erkrankungen

Die wesentlichen Ursachen neurologischer Erkrankungen bei dieser rasch größer werdenden Gruppe von PatientInnen sind [25, 29]:

  • Infektionen und Infestationen,

  • Malnutrition,

  • klima- und temperaturbedingte Erkrankungen,

  • giftige Tiere und tierische Gifte,

  • umweltbedingte Erkrankungen,

  • genetisch bedingte Erkrankungen,

  • reduzierter medizinischer Standard.

Viele Infektionserreger (d. h. eine enorme Zahl von Viren, Bakterien, aber auch Pilzen, Protozoen, Helminthen oder Arthropoden) können oft nur mit ausreichendem Wissen über die Herkunft des/r Patienten/In – auch kurze Reisezwischenaufenthalte sind zu berücksichtigen –, die Transitroute, das epidemiologische „Setting“, inklusive Inkubationszeiten, epidemischem Auftreten auch nichtneurologischer Manifestationen, die gesamte Akut- und Langzeitanamnese und die klinische Präsentation eruiert und entsprechend präzise diagnostiziert und gezielt therapiert werden. Solche Schwierigkeiten werden in der Kasuistik dargestellt.

Kasuistik

Eine 23-jährige Medizinstudentin kehrt von einem 3‑monatigen Thailandaufenthalt zurück. Sie hatte sich im Vorfeld der empfohlenen Reise Impfungen (Japanische Enzephalitis, Tollwut, Typhus – bei sonst vollständigem Impfstatus) unterzogen. Nach einem 4‑wöchigen Aufenthalt in Bangkok (Famulatur) reiste sie mit lokalen Verkehrsmitteln durch das ganze Land. Außer einer 2‑maligen, jeweils 3 Tage dauernden und selbst-limitierten Episode einer nichtblutigen Diarrhö war sie nie wirklich krank. Etwa 2 Wochen nach ihrer Rückkehr entwickelte sie eine Pollakisurie und wenige Tage später auch eine Sensibilitätsstörung in Nabelhöhe. Der Hausarzt überwies sie an einen Neurologen mit der Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose.

Im neurologischen Status fand sich eine deutliche Reflexsteigerung an den unteren Extremitäten (Patellarsehnenreflex [PSR] rechts, Achillessehnenreflex [ASR] beidseits), allerdings war der PSR links auffällig abgeschwächt und die Patientin gab geringe, radikuläre Schmerzen, am ehesten einem radikulären Syndrom L (Lendenwirbel) 3/4 entsprechend an sowie einen positiven Babinski-Reflex beidseits; ab Th (Thoraxwirbel) 10 fand sich eine diskrete Hypästhesie. Im Bereich der oberen Extremitäten und der Hirnnerven sowie der höheren und höchsten kortikalen Funktionen fanden sich keinerlei Auffälligkeiten, allerdings zeigte die Patientin, bei milden Kopfschmerzen, einen geringgradigen Meningismus.

Um die bei dieser Konstellation eher unwahrscheinliche Zuweisungsdiagnose Multiple Sklerose „auszuschließen“ wurde eine spinale und zerebrale MRT durchgeführt. In Höhe des unteren Thorakalmarkes zeigte das T2-gewichtete MRT eine Hyperintensität, die als transverse Myelitis interpretiert wurde. Eine Wurzel- oder Myelonkompression war auszuschließen. In der nun durchgeführten Lumbalpunktion zeigte sich eine eosinophile Pleozytose (210 Zellen/ul, 33 % Eosinophile). Im Nativpräparat konnten einzelne „Larvae migrantes“ visualisiert werden, die parasitologisch als Gnathostoma spinigerum identifiziert wurden.

Eine ZNS-Gnathostomiasis ist die häufigste Ursache einer eosinophilen Radikulomyelitis in Südostasien, vor allem Thailand. Die infektiösen Larven werden durch die Ingestion unzureichend gekochter Muscheln, Schalentiere oder Fische aufgenommen. Die Patientin wurde mit Albendazol und Steroiden erfolgreich therapiert.

Neurologische Infektionskrankheiten präsentieren sich häufig als Notfall mit einer sich rasch verschlechternden Prognose bei Diagnose- und Therapieverzögerung. Ausreichende Kenntnisse in der Epidemiologie erleichtern gezieltes Fragenstellen nach einer krankheitsweisenden Exposition (Malaria, Tollwut, Arboviren etc.), aber auch Inkubationszeiten und ein eventuell charakteristischer (monophasisch vs. biphasisch) Verlauf geben Hinweise.

Als Orientierungshilfe sind – syndromorientiert – die wesentlichen Infektionskrankheiten in Infobox 1 [29] aufgelistet; sie werden im Folgenden schlagwortartig besprochen.

Infobox 1. Ausgewählte, hauptsächlich durch Infektionen ausgelöste neurologische Syndrome in der Tropenmedizin. (Mod. nach [29])

  • (Akute) Bewusstseinsstörung mit Fieber

  • Epilepsie/epileptische Anfälle

  • Akuter Kopfschmerz

  • Akute(r) Nackensteifigkeit/Meningismus

  • Syndrom der chronischen Meningitis/Enzephalitis

  • Hirnnervenneuritis

  • Akute Querschnittssymptomatik

  • Chronisch progrediente Querschnittssymptomatik

  • Extrapyramidal motorische Symptomatik

  • Polyneuritis, -neuropathie; Radikulitis

  • Myositis

Akute Bewusstseinsstörung/Koma mit Fieber

Zerebrale Malaria, eitrige Meningitis, virale Meningoenzephalitis und hitzeassoziierte/-bedingte Erkrankungen (Hitzschlag/Hyperprexie): Folgendes „notfallneurologische“ Vorgehen wird empfohlen.

Erster Schritt:Fundoskopie mit folgenden Fragen:

  • Liegt eine Malaria-Retinopathie [33] vor? → eine zerebrale Malaria abklären.

  • Liegt ein Papillenödem vor? → bei erhöhtem Hirndruck diffuses Hirnödem, Enzephalitis, bakterielle Meningitis, Pyozephalus, Hydrozephalus, Zerebritis, Abszess abklären.

  • Liegen retinale Tuberkulome vor? → eine ZNS-Tuberkulose abklären.

Zweiter Schritt:Zerebrale Bildgebung (kraniale Computertomographie [cCT] und/oder kraniale MRT) mit folgenden Fragen durchführen:

  • Liegt ein diffuses Hirnödem vor? → an Enzephalitis, Meningitis, zerebrale Malaria denken.

  • MRT-verdächtig auf posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES)? → an zerebrale Malaria denken.

  • Liegt eine meningeale Anreicherung nach i.v. Kontrastmittel vor? → an bakterielle Meningitis denken.

  • Liegt ein akuter Hydrozephalus vor? → ZNS-Tuberkulose, ZNS-Mykose abklären.

  • Liegt ein Pyozephalus vor? → eine bakterielle Meningitis abklären.

  • Liegen multiple Hirnabszesse/Zerebritis, septische Herdenzephalitis vor? → an eine Endokarditis denken.

Dritter Schritt: Wenn die Gerinnungsparameter, vor allem die Thrombozytenzahl, massiv erniedrigt sind, sollte an virales hämorrhagisches Fieber mit ZNS-Beteiligung, z. B. Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber oder Hantavirus-Infektion, gedacht werden.

  • Sind alle drei „Untersuchungsschritte“ unauffällig – Lumbalpunktion durchführen.

Vierter Schritt: Abklärung mittels Liquor cerebrospinalis inklusive mikrobiologischer, serologischer und molekularbiologischer gezielter Untersuchung des Serums und Liquors; Details sind der einschlägigen Standardliteratur zu entnehmen (z. B. [29, 32]). Aus infektionsepidemiologischen Gründen ist es sehr wichtig, durch präzise Anamnese einen Tollwutverdacht zu erhärten oder, soweit es geht, auszuschließen, da der Speichel und andere Körperflüssigkeiten (hoch) infektiös sein können. Rabies-Viren verursachen weltweit die höchste Zahl an tödlichen viralen Enzephalitiden.

  • Liegt eine polymorphkernige Pleozytose vor, ist die Liquorglukose erniedrigt, das Laktat erhöht? → Gram-Färbung auf bakterielle Meningitis durchführen, vor allem bei Exposition im Meningitisgürtel Subsahara-Afrikas auf Meningokokken der Serogruppen A und W135 prüfen, beide sind im tetravalenten Meningokokkenimpfstoff enthalten.

  • Liegt eine lymphozytäre Pleozytose vor, ist die Glukose ± normal? → virale PCR („polymerase chain reaction“), Tuschepräparat, Ziehl-Neelsen-Färbung, auf Mykobakterien untersuchen, Immunglobuline im Liquor untersuchen.

  • Liegt eine eosinophile Pleozytose vor? → Larva migrans visceralis durch Angiostrongylus spp., Gnathostoma spp., Trichinella spp. abklären.

  • Liquor normal → an zerebrale Malaria denken und mittels Blutausstrich abklären (typische Plasmodium falciparum [intraerythrozytäre] Ringformen im Blutausstrich – Abb. 1)

Abb. 1
figure 1

Blutausstrich bei zerebraler Malaria mit Multiorganversagen und Hyperparasitämie, ca. 50 % der Erythrozyten sind mit Trophozoiten („Ringformen“) parasitiert

Subakute Bewusstseinsstörung (quantitative und/oder qualitative) ohne Fieber

Metabolische Erkrankungen (Diabetes mellitus, hepatische, urämische Enzephalopathie, etc.); endokrine Erkrankungen (Hyperthyreose, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus, etc.); Intoxikation; Malnutrition (Endstadium eines Kwashiorkor, Vitamindefizienzen – insbesondere Vitamin B1, Nikotinamid); granulomatöse, zystische, maligne intrakranielle Raumforderungen; Hydrozephalus; nichtkonvulsiver Status epilepticus.

Merke

Beim bewusstseinsgestörten Patienten mit Fieber: erster Schritt: Fundoskopie – Malaria-Retinopathie? Eine frühest mögliche Diagnose und Therapieeinleitung mit Artesunat intravenös ist der wichtigste Prognosefaktor bei zerebraler Malaria.

Akute Kopfschmerzen

Migräne; spontane Subarachnoidalblutung; Meningitis; Sinus-/innere Hirnvenenthrombose; hitzeassoziierte Kopfschmerzen; Hydrocephalus occlusus. Das Risiko einer Sinus-/inneren Hirnvenenthrombose wird – nach einer zur Exsikkose führenden Reisediarrhö – durch einen Langstreckenflug aggraviert.

Nackensteifigkeit/Meningismus ohne Fieber

Tetanus; spontane Subarachnoidalblutung; Dissektion der hirnzuführenden Gefäße: Gerade ältere/alte Menschen – mehr als 3 % der Fernreisenden sind älter als 70 Jahre – verlieren den Impfschutz, auch und besonders gegen Tetanustoxin. Clostridium tetani kommt weltweit vor.

Merke

Tetanus nicht vergessen!

Epileptische Anfälle mit Fieber

Zerebrale Malaria; virale oder parasitäre Meningoenzephalitis; hitzeassoziierte Erkrankungen.

Epileptische Anfälle ohne (mit wenig) Fieber

Neurozystizerkose; Sinus-/innere Hirnvenenthrombose; granulomatöse/zystische/neoplastische/maligne Raumforderung; Residualepilepsie: Die Neurozystizerkose ist die häufigste Ursache einer sekundären Epilepsie, in Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wird die Zahl der NeurozystizerkosepatientInnen auf bis zu 50 Mio. geschätzt. Eine rezente prospektive randomisierte, doppelblinde Studie konnte klar zeigen, dass mit der Kombinationstherapie Albendazol plus Praziquantel die Zahl der Zysten und vor allem die Zahl der epileptischen Anfälle hochsignifikant gesenkt werden kann.

Merke

Epilepsien und epileptische Anfälle sind häufig in vielen Herkunftsländern von MigrantInnen: Neurozystizerkose ist eine wichtige Differenzialdiagnose und ursächlich behandelbar (Kombinationstherapie mit Albendazol und Praziquantel).

Plötzlich auftretende Herdsymptomatik

Ischämischer, hämorrhagischer Schlaganfall; Todd-Parese; evtl. Hirnabszess.

Syndrom der chronischen Meningitis oder Enzephalitis

Bei Meningitis: subfebrile Temperaturen, Kopfschmerzen mit oder ohne Hirnnervenausfälle; bei Enzephalitis: üblicherweise plus diffuse oder fokale neurologische Funktionsstörung (z. B. Trypanosoma-bedingte Schlafkrankheit in Subsahara-Afrika).

ZNS-Tuberkulose; Kryptokokkose; Meningeosis neoplastica; Neurobrucellose; Afrikanische Trypanosomiasis (Infektion mit Trypanosoma brucei gambiense oder rhodesiense – westafrikanische bzw. ostafrikanische Schlafkrankheit); Larva migrans visceralis (Eosinophilie).

Die häufigste chronische Meningitis bei MigrantInnen und Flüchtlingen – mit und ohne HIV (humanes Immundefizienzvirus) -Infektion – ist die ZNS-Tuberkulose. Aus Südafrika, Russland sowie den Nachfolgestaaten der früheren UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) werden die höchsten Inzidenzen an MDR („multidrug resistant“) und XDR („extended drug resistant“) -Mykobakterien berichtet.

Merke

ZNS-Tuberkulose bei MigrantInnen: an MDR und XDR denken!

Hirnnervenaffektionen

Basale Meningitis (siehe chronische Meningitis); Hirnnervenneuritis.

Trauma/Zustand nach Trauma, Neurotoxine (z. B. Schlangenbiss), Botulismus, Wernicke-Enzephalopathie, Hirnstammaffektionen (entzündlich, ischämisch, hämorrhagisch, Raumforderung).

Extrapyramidale (primär neurodegenerative und sekundäre) Symptomatik

Idiopathisches Parkinson-Syndrom ist in den Tropen selten; symptomatisches Parkinson-Syndrom kann bedingt sein durch eine chronische Intoxikation z. B. im westlichen Indien mit Mangan oder auf der pazifischen Insel Guam durch BOAA (β-Oxalylaminoalanin; „Guam disease“ [Parkinson-Syndrom plus Demenz plus amyotrophe Lateralsklerose]), wird gesehen nach arboviraler Enzephalitis: postenzephalitisches Parkinson-Syndrom (überwiegend nach durch Arboviren bedingter Enzephalitis, postinfektiös) und auch bei/nach durch Autoimmunantikörper mediierter Enzephalitis.

Akute spinale Symptomatik

Trauma, akute Querschnittsmyelitis post-, parainfektiös, postvakzinal; Poliomyelitis und andere enterovirale (Polio‑)Myelitiden, z. B. Enterovirus 68 (69, 70, 71) -Infektion; eosinophile Myelitis (Gnathostomiasis); Spondylitis verschiedener Ursachen mit vaskulär ischämischer Myelonschädigung bzw. Fortschreiten des entzündlichen Prozesses in den Spinalkanal. Die Problematik der akuten Myelitis/Radikulomyelitis bei einer Reiserückkehrerin wird in der Kasuistik diskutiert.

Merke

Liquoreosinophilie: Larva migrans visceralis bei Meningitis, Hirnnervenneuritis und vor allem Radikulomyelitis; gut behandelbar, wenn rechtzeitig diagnostiziert (Albendazol).

Subakute, chronische Querschittssymptomatik

Spinale Raumforderungen (extra- und intramedullär); tropische Myeloneuropathien (nutritiv bedingt: Konzo, Lathyrismus); tropische spastische Paraparese (HTLV I [humanes T‑lymphotropes Virus] -assoziierte Myelopathie – HAM); Fluorose/Vertebrostenose; funikuläre Myelose (Vitamin-B-12-/Folsäuremangel); amyotrophe Lateralsklerose.

Symptomatische Myopathie/Myositis

Fokale Myositis (Larva migrans Infektionen, Trichinose); Neurozystizerkose; Rhabdomyolyse nach Schlangenbissen.

Polyneuropathie

Metabolisch/toxisch bedingt (Diabetes mellitus, alkoholassoziiert); inflammatorische Polyradikuloneuropathie (Guillain-Barré-Syndrom), in Westafrika häufig HIV-assoziiert; Hypovitaminosen (insbesondere Vitamin B-Gruppe); infektiöse Ursachen (Borrelien, Enteroviren, Retroviren, Lepra, Rabies); tropische/ataktische Neuropathie (Vitamin-B-Gruppe); hereditär bedingte periphere Neuropathien.

Radikuläre Symptomatik, periphere Nervenläsion

Infektiöse Radikulitis (Borrelien spp., Herpes-Zoster-Viren); Radikulopathie bei Gnathostoma-spinigerum-Infestation; Plexusneuritis (z. B. Schistosomiasis); Lepra; raumfordernde, intra- und extradurale Prozesse (Granulome, Diskusprolaps etc.).

Fazit für die Praxis

  • Fernreisende, MigrantInnen und Flüchtlinge zeigen unterschiedliche „importierte“ Krankheitsmuster.

  • Akute Infektionen des Zentralnervensystems (ZNS), wie virale Enzephalitis und zerebrale Malaria, werden bei Fernreiserückkehrern und subakute/chronische Erkrankungen bei MigrantInnen häufiger gesehen.

  • Bei lebensbedrohlicher akuter ZNS-Infektion sollte als erster Schritt eine Fundoskopie die sofortige weiterführende Diagnostik und Therapie (Plasmodium-falciparum-Malaria – i.v. Artesunat) erlauben.

  • Bei MigrantInnen aus weiten Teilen Afrikas und Lateinamerikas sowie Süd- und Südostasiens ist die Neurozystizerkose die häufigste Epilepsieursache. Mittels Bildgebung kann sie schnell diagnostiziert werden; sie ist gut mit einer Kombination von Albendazol und Praziquantel therapierbar.

  • Bei älteren Menschen ist im Einzelfall auch heute noch Tetanus eine wichtige Differenzialdiagnose.