Hintergrund

Autoimmune Enzephalitiden sind in den letzten Jahren aufgrund ihrer relativen Häufigkeit, vielgestaltigen Symptomatik, Therapierbarkeit und zugleich einer deutlich verbesserten Diagnostik zu einer wichtigen Differenzialdiagnose bei vielen neuropsychiatrischen Erkrankungen geworden. Vertreter dieser Gruppe sind autoimmune Enzephalitiden durch Antikörper gegen synaptische Proteine, wie N‑Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR), metabotrope Glutamatrezeptoren, Aminomethylphosphonsäure(AMPA)-, γ‑Aminobuttersäure(GABA)-Rezeptoren, „leucine-rich glioma-inactivated 1“ (LGI1) oder Contactin-assoziiertes Protein 2 (Caspr2). Dabei können die Patienten eine komplexe Symptomatik aufweisen, welche die behandelnden Ärzte in der Differenzialdiagnostik vor schwierige Entscheidungen stellen kann. Neben einem primär neurologischen Symptombild mit epileptischen Anfällen, Bewegungsstörungen oder Bewusstseinsstörungen zeigen sich häufig auch Symptombilder, welche zunächst auf einen „rein psychiatrischen Fall“ hinweisen [21, 23]. Die pathogenen Antikörper führen beispielsweise in vielen Fällen zu einer organischen Psychose, welche insbesondere zu Beginn der Erkrankung häufig nur schwer von Erkrankungen aus dem schizophreniformen Formenkreis abzugrenzen ist. In einer eigenen Arbeit zeigten 60 % der Patienten mit einer Autoimmunenzephalitis als Vorstellungsgrund psychiatrische Symptome [10]. Typisch waren dabei Wesensänderungen, Halluzinationen sowie wahnhafte und katatone Symptome.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass das genannte Symptombild häufig zu einer eingeschränkten Entscheidungsfähigkeit führt und nicht selten mit einer Ablehnung von Diagnostik und Therapie assoziiert ist. In der täglichen Praxis stellt sich in vielen dieser Fälle die Frage, inwieweit der geäußerte Wille des Patienten dann die Behandlungsschritte vorgeben sollte oder ob eine Entscheidung gegen den Willen des Patienten medizinisch sinnvoll, ethisch vertretbar oder sogar geboten und rechtlich zulässig ist. Besonders relevant sind dabei die folgenden Fragen:

  • Unter welchen Umständen ist davon auszugehen, dass der vom Patienten geäußerte Wille nicht dem freien Willen des Patienten entspricht?

  • Wie kann die Autonomie des Patienten, dessen Wille krankheitsbedingt verändert sein kann, respektiert werden?

  • Wie sind der Respekt vor dem geäußerten Willen des Patienten und der Respekt vor seinem freien Willen zu vereinbaren?

  • Sollte versucht werden, die Autonomiefähigkeit des Patienten wiederherzustellen, selbst wenn dazu eine vorübergehende Behandlung gegen dessen natürlichen Willen notwendig ist?

  • Wie schnell sollte bei einer akuten Erkrankung, die durch eine Autoimmunenzephalitis verursacht sein könnte, diagnostische Sicherheit auch gegen den Willen des Patienten erreicht werden?

  • Wie ist ethisch und rechtlich abzuwägen, wenn eine potenziell tödlich verlaufende bzw. schwere langfristige Schäden verursachende Erkrankung eine (ggf. auch invasive) Therapie gegen den natürlichen Willen des Patienten erfordert?

Am Beispiel eines komplexen Falles einer durch Neurologen und Psychiater behandelten Patientin mit im Verlauf gesicherter NMDAR-Enzephalitis erläutern wir, welche ethisch-juristischen Abwägungen von der initialen invasiven Diagnostik bis zur Unterbringung und Zwangsbehandlung und in der Interaktion mit dem Gericht eine Rolle spielen. Aus didaktischen Gründen wird die ärztliche Entscheidung für eine diagnostisch-therapeutische Maßnahme im Entscheidungsbaum (Abb. 1) jeweils durch eine eher zurückhaltende Position (grün) sowie eine die Diagnostik und Therapie forciert herbeiführende Position (blau) gegenübergestellt. Dabei soll weder der eine noch der andere Standpunkt eine primär psychiatrische oder neurologische Position darstellen. Vielmehr stehen beide für mögliche neuropsychiatrische Behandlungsperspektiven, die aus realen Epikrisen, Konsilen und Gutachten entnommen wurden. Für die Entscheidungsfindung wird zusätzlich die aktuelle rechtliche Situation dargestellt.

Abb. 1
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Typische medizinische und juristische Abwägungen, dargestellt durch 4 Protagonisten, am Beispiel einer spät diagnostizierten Autoimmunenzephalitis: grün (Dr. Rück) zurückhaltender Arzt, stellt die Gefahr von Nebenwirkungen in den Vordergrund, ist sehr bemüht, Zwang in der Psychiatrie absolut zu vermeiden; blau (Dr. Haus) Diagnostik und Therapie stark favorisierender Arzt; türkis (A.C.) Patientin mit im Verlauf gesicherter N‑Methyl-D-Aspartat-Rezeptor(NMDAR)-Enzephalitis; lila (Dr. jur. Enzmann) Betreuungsrichter. ①–⑥: ethisch-juristische Einschätzung zu den jeweiligen Entscheidungsmöglichkeiten (Details s. Text). EEG Elektroenzephalographie, MRT Magnetresonanztomographie

Der Fall der Annette C., 38 Jahre

Die Patientin leidet seit 3 bis 4 Jahren an rezidivierenden depressiven Episoden, zum Teil mit psychotischen Symptomen. Die bisherige Behandlung erfolgte mit verschiedenen Antidepressiva sowie zuletzt in einer Kombination mit Fluanxol bei wahnhafter Symptomatik. Vor 6 Monaten wurde ein Adenokarzinom des Uterus diagnostiziert, worauf eine Hysterektomie erfolgte. In der Folge kam es psychopathologisch subakut zu erneut reduziertem Antrieb und Appetit, verlangsamtem Denken, Hoffnungslosigkeit, Störung von Konzentration, Auffassung und Merkfähigkeit sowie ängstlich-gedrückter Stimmung. Im weiteren Verlauf über mehrere Wochen imponierte eine zunehmende Wesensänderung, Ablehnung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen sowie ein zunehmender Mutismus und temporärer Stupor. Es erfolgt eine freiwillige stationär-psychiatrische Aufnahme.

Diskussion 1: Sollen wir organische Diagnostik durchführen oder abwarten?

Dr. Rück.

Ich vermute ein Rezidiv der depressiven Erkrankung mit einer aktuell schweren Episode mit psychotischen Symptomen und damit verbundenen kognitiven Störungen. Ich würde wie bei den früheren psychiatrischen Aufenthalten der Patientin zunächst mit einer Behandlung mit niedrigdosiertem Fluanxol sowie Lorazepam beginnen.

Dr. Haus.

Das klinische Bild ist prinzipiell mit einer psychiatrisch führenden Autoimmunenzephalitis vereinbar. Ich empfehle eine Lumbalpunktion und Bestimmung antineuronaler Autoantikörper, das Risiko der (invasiven) Diagnostik ist vernachlässigbar.

Kommentar ①: ethisch-juristische Einschätzung – Hinweise für „Autoimmunpsychose“.

Mehrere aktuelle Publikationen haben klinische Kriterien beschrieben („red flags“), bei deren Nachweis eine psychiatrische Symptomatik (z. B. ein schizophreniformes Syndrom) mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Folge einer Autoimmunenzephalitis ist [10, 20, 21, 23]. Dazu gehören: Katatonie, rasche Progression der Psychose, Mutismus, autonome Störungen, Kopfschmerzen, fokal-neurologische Zeichen sowie Auffälligkeiten in der Elektroenzephalographie (EEG), in der Magnetresonanztomographie (MRT) und im Liquor. In diesen Fällen sollte immer eine Testung auf antineuronale Autoantikörper in Liquor und Serum erfolgen. Besonders relevante Antikörper sind gegen NMDA-Rezeptoren, LGI1, Caspr2, metabotrope Glutamatrezeptoren, GABAa‑, GABAb- und AMPA-Rezeptoren gerichtet. Da diese „red flags“ fehlen können, ist nach unserer Auffassung bei jedem Patienten mit einer neu aufgetretenen psychotischen Symptomatik eine Lumbalpunktion zu empfehlen, zumal relevante Komplikationen der Liquorentnahme eine Ausnahme darstellen. (Abb. 1)

Dr. Haus erreicht, dass die Patientin einer Lumbalpunktion zustimmt, sodass diese durchgeführt wird. Dabei zeigen sich eine normale Zellzahl und eine leichte Eiweißerhöhung. Es werden antineuronale Antikörper gegen NMDA-, GABA-, AMPA-Rezeptoren, LGI1 und Caspr2 bestimmt. Das nach zwei Wochen vorliegende Ergebnis lautet: NMDAR-Antikörper im Serum von 1:32 und im Liquor von 1:1. Außerdem fällt eine Hashimoto-Thyreoiditis mit Schilddrüsen(TPO [Thyreoperoxidase])-Antikörpern, TSH(thyreoideastimulierendes Hormon)-Erhöhung und typischen Ultraschallveränderungen auf. Kurz vor der Visite wird Frau C. am Boden liegend aufgefunden, sie hat sich am Kopf verletzt und kommt langsam wieder zu sich, das Stationsteam vermutet eine Synkope.

Diskussion 2: Sprechen die Befunde für eine autoimmune Enzephalitis?

Dr. Rück.

Die NMDAR-Antikörper sind sehr niedrig und können auch bei Gesunden im Blut vorkommen, daher halte ich eine limbische Enzephalitis für nicht sehr wahrscheinlich. Außerdem fand sich im Liquor keine Zellzahlerhöhung. In der Vorgeschichte hatte Frau C. schon ähnliche Episoden. Ich würde die Behandlung nunmehr mit Sertralin fortführen und den Verlauf abwarten.

Dr. Haus.

Selbst niedrige NMDAR-Antikörper-Spiegel im Liquor beweisen die Enzephalitis, wenn das klinische Bild passt. Das ist hier der Fall. Außerdem bestehen weitere „red flags“ für eine Autoimmunenzephalitis (AIE), z. B. Mutismus, Stupor und andere Autoimmunerkrankungen (Hashiomoto-Schilddrüsenentzündung). Vielleicht war die unbeobachtete Synkope in Wirklichkeit auch ein epileptischer Anfall als Folge der Enzephalitis? Ich empfehle den Beginn einer Immuntherapie.

Kommentar ②: ethisch-juristische Einschätzung – Diagnosekriterien.

Eine Konsensusgruppe internationaler Experten hat 2016 Kriterien zur Diagnostik autoimmuner Enzephalitiden erarbeitet [8]. Durch den subakuten Beginn von Wesensänderungen und Gedächtnisstörungen sowie psychiatrischen Auffälligkeiten (und erst recht im Falle eines epileptischen Anfalls) im Zusammenhang mit im Serum und Liquor nachgewiesenen NMDAR-Autoantikörpern kann die Diagnose einer gesicherten NMDAR-Enzephalitis gestellt werden.

Hierbei ist die Aussagekraft des Liquors besonders hoch, da schon niedrige Antikörperspiegel (1:1) als beweisend für die Enzephalitis gelten. Für Unsicherheit sorgen immer wieder Antikörpertiter isoliert nur im Serum, da diese auch bei Blutspendern gefunden werden [4]. In solchen Fällen wird ein Bestätigungstest auf Hirnschnitten oder lebenden Neuronen empfohlen [8, 25].

Der Befund der „limbischen Enzephalitis“ wird zunehmend verlassen (zugunsten der „Autoimmunenzephalitis“, AIE), da er sich auf anatomische Regionen statt auf Pathomechanismen stützt. Im klinischen Alltag ist damit in der Regel eine im MRT sichtbare Veränderung der Temporallappen (T2-/FLAIR-Hyperintensitäten) gemeint, die zusammen mit dem klinischen Bild bereits ohne den Nachweis von Autoantikörpern die Diagnose einer Enzephalitis ergibt. (Abb. 1)

In Zusammenschau der Befunde wird die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis gestellt. Dr. Haus verordnet Frau C. eine Steroidtherapie mit Methylprednisolon, 1000 mg pro Tag über 5 Tage. Darunter lässt sich keine eindeutige Stabilisierung feststellen, weiterhin bestehen deutliche Störungen der Orientierung, Auffassung und Mnestik. Unter der Annahme einer weiterhin bestehenden depressiven Symptomatik wird durch Dr. Rück Sertralin aufdosiert. In der Folge äußert die Patientin den Wunsch, „wegen der vielen Infusionen und Tabletten“ das Krankenhaus verlassen zu wollen.

Diskussion 3: Entlassung aus dem Krankenhaus gegen ärztlichen Rat?

Dr. Rück.

Die Patientin ist ausreichend steuerungsfähig, außerdem stand- und gangsicher. Nach meiner Einschätzung liegt keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung vor und insofern auch keine Unterbringungsgründe nach PsychKG (Psychisch-Kranken-Gesetz). Aus meiner Sicht ist die Patientin einwilligungsfähig. Sie sollte daher diese Entscheidung selbst treffen.

Dr. Haus.

Aufgrund der AIE besteht die kontinuierliche Gefahr einer Verschlechterung mit bleibenden Schäden. Die Einwilligungsfähigkeit ist derzeit nicht gegeben. Die Entlassung zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde eine kausale Therapieoption verhindern. Für Frau C. sollte eine Eilbetreuung beantragt und anschließend eine betreuungsrechtliche Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung initiiert werden, um eine kausale Behandlung notfalls auch gegen ihren Willen zu erreichen, um schwerwiegende Gesundheitsschäden abzuwenden.

Kommentar ③: ethisch-juristische Einschätzung – rechtliche Situation.

Zunächst muss die Einwilligungsfähigkeit der Patientin in der Situation geprüft werden. Folgende Voraussetzungen für die Einwilligungsfähigkeit müssen gegeben sein:

  • Informationsverständnis: Sie muss durch verständliche und ausreichende Aufklärung ein eigenes Verständnis davon entwickeln, worüber sie zu entscheiden hat und worin die Risiken und der potenzielle Nutzen der Entscheidung bestehen.

  • Urteilsvermögen: Sie muss die erhaltenen Informationen mit ihrer Lebenssituation, mit ihren persönlichen Werthaltungen und Interessen in Verbindung bringen sowie diese gewichten und bewerten können. Die Folgen und Alternativen der Entscheidung müssen im Zusammenhang mit der eigenen Lebenssituation beurteilt werden können.

  • Einsichtsfähigkeit: Sie muss erkennen können, dass ihre physische oder psychische Gesundheit eingeschränkt ist und dass Möglichkeiten zur Behandlung oder Linderung ihrer gesundheitlichen Problematik bestehen und ihr angeboten werden (sog. Krankheits- und Behandlungseinsicht).

  • Ausdrucksfähigkeit der Entscheidung: Sie muss die Fähigkeit besitzen, im Lichte der bestehenden Alternativen eine Entscheidung zu treffen und diese verbal oder nonverbal zum Ausdruck zu bringen [6].

Im konkreten Fall ist davon auszugehen, dass die zugrunde liegende Erkrankung des Gehirns die Einwilligungsfähigkeit der Patientin ausschaltet. Da ein erheblicher gesundheitlicher Schaden durch die Erkrankung droht, sind eine Unterbringung und Zwangsbehandlungen nach Betreuungsrecht genehmigungsfähig (Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] § 1906 und § 1906a; [22]). Prinzipiell kann die Patientin in dieser Situation auch über § 34 Strafgesetzbuch (StGb) Rechtfertigender Notstand gegen den geäußerten Willen zurückgehalten werden, unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens. Zugleich erfordert eine fortlaufende Behandlungsindikation die Beantragung einer Eilbetreuung, sowohl hinsichtlich einer weiteren Unterbringung als auch Behandlung.

Begründung: Das novellierte Betreuungsrecht folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Zwangsbehandlungen unter strengen Voraussetzungen für zulässig erklärt hat. Danach können Zwangsbehandlungen grundsätzlich nur bei selbstbestimmungsunfähigen und somit einwilligungsunfähigen Patienten genehmigt werden, die also aktuell keinen „freien Willen“ haben. Dann kann ein Betreuungsgericht ggf. eine Zwangsbehandlung gegen den „natürlichen Willen“ genehmigen (also gegen den Willen, der bei fehlendem „freien Willen“ sich verbal oder nonverbal äußern kann), um den (in einer Patientenverfügung) verfügten oder den mutmaßlichen Willen umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2011 festgestellt, dass die „Freiheit zur Krankheit“ nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten einer freien Willensentschließung betrachtet werden könne, die krankheitsbedingt eingeschränkt sein können (2 BvR 882/09, 23.03.2011).

Das Bundesverfassungsgericht hat 2016 aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine staatliche Schutzpflicht abgeleitet. Die allgemeine Schutzpflicht verdichte sich zu einer konkreten Schutzpflicht bei Betreuten, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können. Wörtlich heißt es: „Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen.“ Demnach müssten ärztliche Untersuchungs- und Heilmaßnahmen als Ultima Ratio auch unter Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens vorgenommen werden dürfen (1 BvL 8/15, 88, 26.07.2016). Des Weiteren kommt – wie im Fall unserer Patientin – bei fehlender Einwilligungsfähigkeit nach dem Betreuungsgericht eine Behandlung gegen den Willen der Patientin auch zur Wiederherstellung der Einwilligungsfähigkeit in Betracht. (Abb. 1)

Bei unterschiedlichen Auffassungen der behandelnden Ärzte wird die Patientin gemäß Dr. Rücks Empfehlung gegen ärztlichen Rat entlassen. Sie zeigt eine weitere Symptomverschlechterung mit mehrfachem Weglaufen, Orientierungsstörungen und intermittierendem Mutismus. Auf Betreiben des Ehemannes wird die Patientin zunächst nach PsychKG auf einer psychiatrischen Station untergebracht, kann sich aber im weiteren Verlauf für eine freiwillige Weiterbehandlung über insgesamt 3 Wochen entscheiden. Die medikamentöse Therapie umfasst Lorazepam, es erfolgt keine Immuntherapie.

Eine Eilbetreuung wird beantragt und der Ehemann vom Gericht als rechtlicher Betreuer in allen Angelegenheiten eingesetzt. Frau C. wird zunächst nach § 1906 Abs. 1 BGB untergebracht und verbleibt dann freiwillig für 4 Monate auf der Station. Weiterhin ist sie wesensverändert, ratlos, misstrauisch, desorientiert, das Denken ist stark verlangsamt und es bestehen mittelgradige kognitive Defizite. Um die Diagnose der AIE zu untermauern, erfolgt mit dem Einverständnis der Patientin eine Kontrolle der NMDAR-Antikörper, die einen Spiegel von 1:100 im Serum und 1:1 im Liquor ergibt. In einer Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) des Gehirns zeigt sich eine Stoffwechselminderung links mesiotemporal, parietotemporal und im Thalamus. Die Patientin lehnt eine Immuntherapie mittels therapeutischer Apherese ab. Hierbei ist sie nicht einwilligungsfähig.

Diskussion 4: Sollte eine Immuntherapie durchgeführt werden? Welche?

Dr. Rück.

Ich sehe derzeit keine akute vitale Gefährdung der Patientin. Daher sollte zunächst keine Immuntherapie gegen den Patientenwunsch erfolgen, da bei fehlender Krankheitseinsicht und mangelnder Kooperation eine Fixierung und Zwangsmedikation erforderlich wäre. Außerdem würden die Risiken der Behandlung den Nutzen übersteigen. Aus meiner Sicht treffen daher die Kriterien für eine Zwangsbehandlung nach BGB nicht zu. Wir sollten zunächst den natürlichen Krankheitsverlauf beurteilen. Eine ITS(Intensivtherapiestation)-Behandlung ist zudem viel zu riskant, da das Risiko von Infektionen, Thrombembolien oder einer langfristigen Beatmung mit Trachealkanüle besteht. Wenn überhaupt, dann könnte man Immunglobuline (IVIG) geben.

Dr. Haus.

Die erneut positiven Antikörper und die PET-Auffälligkeiten passen gut zur NMDAR-Enzephalitis. Wir dürfen keine Zeit verlieren: „Time is brain!“ Ich empfehle eine Blutwäsche und die Gabe von Rituximab, ggf. muss das auf der Intensivstation erfolgen, wenn es sich auf der Normalstation nicht umsetzen lässt. Die gesundheitlichen Probleme von Frau C. ergeben sich primär aus der behandelbaren Grundkrankheit. Im Vergleich dazu sind die seltenen Komplikationen der Behandlung den Risiken einer Nichtbehandlung als deutlich untergeordnet einzuschätzen. Zwar lehnt die aufgrund der akuten Krankheit nicht einwilligungsfähige Patientin aus Angst die notwendigen Behandlungen ab, aber sie würde mutmaßlich zustimmen, wenn sie einwilligungsfähig wäre. Der mutmaßliche Wille der Patientin muss beachtet werden.

Kommentar ④: ethisch-juristische Einschätzung – Analogie zu anderen Hirnerkrankungen.

Eine schwere und progrediente Erkrankung des Gehirns sollte so früh wie möglich behandelt werden, um irreversible Hirnschädigungen zu verhindern. Der Verlust an Gehirngewebe schreitet während des Abwartens voran. Es wäre unverantwortlich, erst dann einzugreifen, wenn die Lebensgefahr offensichtlich ist, zumal dann die Behandlung weniger wirksam ist und schwere irreversible Hirnschädigungen bereits aufgetreten sind. Vielmehr sollte so schnell wie möglich ermittelt werden, was die Ursache der Erkrankung ist. Dabei ist es nebensächlich, ob es sich um eine Intoxikation, Parasitenbefall (z. B. mit der tropischen Wurmerkrankung Filariasis bancrofti; [9]), Vitamin-B12-Mangel [14], Zöliakie [5, 11], Herpes-Enzephalitis, bakterielle Meningitis/Enzephalitis oder eine Autoimmunenzephalitis handelt. Sobald die Ursache feststeht, sollte eine kausale Therapie eingeleitet werden. (Abb. 1)

Die Sorge, durch einen (potenziell) nebenwirkungsreichen Therapieversuch mehr zu schaden als zu nutzen, ist nur dann berechtigt, wenn der Therapieversuch ohne gesicherte oder zumindest wahrscheinliche Diagnose erfolgt. Wenn also beispielsweise auf bloßen Verdacht Antibiotika oder Kortison gegeben wird, besteht das Risiko, dass man Nebenwirkungen ohne jeden Nutzen produziert. Hat man aber beispielsweise eine bakterielle Enzephalitis nachgewiesen und gibt dann geeignete Antibiotika, überwiegt der Nutzen die Nebenwirkungen bei weitem.

Neben den somatischen Nebenwirkungen sind auch mögliche psychische Folgeschäden durch die Erfahrung von Zwang zu berücksichtigen. Mehrere wissenschaftliche Arbeiten haben die Auswirkungen von Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Bereich untersucht: So stellen Unterbringung, Zwangsmedikation und Fixierung für psychiatrische Patienten häufig eine starke Belastung dar. Die Zwangsmaßnahme selbst verursacht dabei zusätzlich negative Emotionen, welche auch im Verlauf noch anhalten können [3, 12, 13]. Bei einer gesicherten Autoimmunenzephalitis ist jedoch die Zwangsbehandlung zur Therapie unter Berücksichtigung der genannten Faktoren aus unserer Sicht nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich.

Kommentar ⑤: ethisch-juristische Einschätzung – Immuntherapie.

Als Therapien der ersten Wahl kommen Steroide, intravenöse Immunglobuline oder die therapeutische Apherese (Plasmapherese oder Immunadsorption) frage. Der frühe Beginn einer Immuntherapie ist mit einem besseren Outcome assoziiert, weshalb etliche Autoren bereits nach 10 bis 14 Tagen eine Eskalation der Immuntherapie empfehlen [24, 25]. Bei der NMDAR-Enzephalitis und den meisten anderen neuen antikörpervermittelten Enzephalitiden wird Rituximab empfohlen (2 × 1000 mg im Abstand von 14 Tagen, ggf. Wiederholung alle 6 Monate). Aufgrund der guten Verträglichkeit und einfachen Handhabbarkeit wird Rituximab in vielen Zentren bereits als Mittel der 1. Wahl angesehen [16]. Therapierefraktäre Fälle sind bereits erfolgreich mit Cyclophosphamid, Methotrexat, Azathioprin oder Mycophenolatmofetil behandelt worden, allerdings fehlen vergleichende Therapiestudien. Wir haben gute Erfahrungen mit dem Proteasomhemmer Bortezomib gemacht [19], was bei schweren Verläufen als Option gesehen werden sollte.

In der Tat haben Patienten, die eine ITS-Behandlung benötigen, eine schlechtere Prognose, in ca. 5 % der Fälle verläuft die Erkrankung sogar tödlich. Oft sind nicht die Hypoventilation oder vegetativen Störungen der Aufnahmegrund für die ITS, sondern schwerste Fehlhandlungen, Agitation und psychomotorische Unruhe [24]. Die gesundheitlichen Risiken einer schweren NMDAR-Enzephalitis übersteigen also bei weitem die vergleichsweise geringen Komplikationsraten von Fixierung, Intubation oder Analgosedierung. Wahrscheinlich hat die frühe Immuntherapie sogar in vielen Fällen eine Zunahme der Symptomatik mit Notwendigkeit einer ITS-Behandlung überflüssig gemacht.

Außerhalb üblicher Therapiestudien gibt es noch einen zwar naheliegenden, aber möglicherweise deutlich unterschätzten Faktor in der klinischen Praxis, nämlich individuelle ärztliche Erfahrungen im Umgang mit selten angewandten Verfahren und Therapien. Viele erfolgreiche Behandlungen ohne Nebenwirkungen führen genauso wie eine einmalige, aber folgenreiche Nebenwirkung zu einer individuellen Unter- oder Überschätzung der tatsächlichen Risiken mit direkten Konsequenzen für weitere Therapieentscheidungen. Auch die divergierenden Empfehlungen von Dr. Rück und Dr. Haus werden dadurch beeinflusst gewesen sein. (Abb. 1)

Die Patientin wird nach Hause entlassen. Der Ehemann wünscht als gesetzlicher Betreuer eine Erweiterung der Behandlung mittels therapeutischer Apherese und Rituximab, wenn nötig auch unter intensivmedizinischen Bedingungen. Er stellt – inzwischen 7 Monate nach Beginn der Krankheitsphase – beim Betreuungsgericht einen Antrag auf Unterbringung und Zwangsbehandlung. Der Richter holt eine gutachterliche Einschätzung ein. Darin wird die alleinige Rituximab-Gabe befürwortet, diese könne auch unter Fixierung erfolgen. Der Richter genehmigt die Unterbringung sowie die Rituximab-Behandlung, die Plasmapherese lehnt er hingegen ab.

Diskussion 5: Welche Entscheidung trifft der Richter?

Ehemann der Patientin.

Meine Frau leidet schon seit fast einem Jahr an den Symptomen der Enzephalitis. Was muss noch passieren, damit endlich eine wirksame Behandlung beginnt? Wenn die Antikörper schuld an der Hirnentzündung sind, dann müssen diese doch aus dem Körper entfernt werden. Ich bitte darum, dass alles für meine Frau getan wird, was ihr helfen kann, natürlich auch eine Behandlung auf der Intensivstation.

Richter Enzmann.

Bei einer Plasmapherese kann sich die Patientin den Katheter ziehen und stark bluten, außerdem dauert die Prozedur jeden 2. Tag mehrere Stunden. Daher stimme ich dieser Maßnahme nicht zu. Eine kurze Infusionsbehandlung mit dem Medikament Rituximab scheint mir hingegen vertretbar zu sein. Die mir vorliegenden Gutachten und Arztbriefe geben zudem ein unterschiedliches Bild ab [2]. Danach soll es auch Fälle einer Autoimmunenzephalitis geben, bei der die Patienten von selbst wieder weitgehend gesund werden.

Kommentar ⑥: ethisch-juristische Einschätzung – Argumentation gegenüber dem Richter.

Der Betreuer kann eine Unterbringung mit dem Zweck der Behandlung beim Betreuungsgericht beantragen. Wenn die begründete Gefahr besteht, dass die Betreute aufgrund der geplanten ärztlichen Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, muss eine Genehmigung für die Behandlungsentscheidung beim Betreuungsgericht beantragt werden. Eine Genehmigung ist allerdings nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Einwilligung in die ärztliche Maßnahme dem vorausverfügten oder mutmaßlichen Willen der einwilligungsunfähigen Betreuten entspricht (BGB § 1904). Des Weiteren ist eine Genehmigung des Gerichts erforderlich, wenn die Behandlung nur gegen den natürlichen Willen der Patientin durchgeführt werden kann (BGB § 1906a).

Für Betreuungsrichter ist eine fachliche Beurteilung der notwendigen Diagnostik- und Therapiemaßnahmen bei vermuteter, wahrscheinlicher und gesicherter AIE selbstverständlich nicht zu leisten. Sie sind auf Gutachten von Experten für AIE angewiesen. Da diese nicht so leicht zu finden sind, wäre es sinnvoll, den Richtern einige Adressen von AIE-Experten zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren sollten Ärzte den Richtern die wichtigsten Leitlinien, Konsenspapiere und Übersichtsarbeiten zur Verfügung stellen [7, 8, 16, 17, 21, 25].

Damit Richter eine angemessene Entscheidung treffen können, sollte erläutert werden, dass eine Autoimmunenzephalitis eine rasch progrediente Erkrankung mit potenziell letalem Ausgang ist und bei fehlender Behandlung zu schweren irreversiblen Schäden führen kann. Dadurch ist sie vergleichbar mit einer durch Viren oder Bakterien verursachten Enzephalitis, bei der ebenfalls ein sehr enges Zeitfenster für eine Behandlung besteht. Der Vergleich mit viraler oder bakterieller Enzephalitis ist wichtig, um deutlich zu machen, dass die AIE sich in der Manifestation, im Verlauf und auch in der Behandlung deutlich von anderen psychiatrischen Erkrankungen unterscheidet, da sie eine schwere, potenziell tödliche Gehirnerkrankung darstellt, die in keiner Weise durch nichtpharmakologische Therapiestrategien geheilt werden kann (z. B. durch Psychotherapie). Sie hat auch nichts mit den Lebenserfahrungen und -entscheidungen des Patienten zu tun, sondern ist genauso persönlichkeitsfremd und ungewollt wie eine virale oder bakterielle Enzephalitis. Von „Freiheit zur Krankheit“ zu sprechen, wirkt in solchen Fällen zynisch [15]. Von Zwangsbehandlungen ausgenommen sind natürlich die (eher theoretischen) Fälle, bei denen trotz einer schweren Enzephalitis Einwilligungsfähigkeit besteht.

Bei der Beantragung einer Zwangsbehandlung sollte dargelegt werden, wie ein typischer Verlauf von AIE mit und ohne angemessene Therapie aussieht. Insbesondere sollten die Mortalität und Morbidität mit und ohne angemessene Therapie zahlenmäßig dargelegt werden. Es sollte erklärt werden, dass die zu späte oder nicht erfolgte kausale Behandlung zum irreversiblen Verlust von Gehirngewebe mit allen Konsequenzen führt, insbesondere zu Demenz, ggf. sogar zum Tod. Diese Informationen benötigt der Richter, um zu beurteilen, ob ein schwerwiegender gesundheitlicher Schaden durch die Krankheit zu erwarten ist. Dies ist eine der Voraussetzungen für eine betreuungsrechtliche Unterbringung und Zwangsbehandlung (akute Selbst- oder Fremdgefährdung ist dafür nicht erforderlich).

Außerdem benötigt der Richter Informationen darüber, was mit der Therapie erreicht werden kann (Heilung, Symptomkontrolle, Verhinderung von Folgeschäden, Leidenslinderung, Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit), da er beurteilen muss, ob der Nutzen der Zwangsmaßnahme die dadurch zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

Des Weiteren ist darzulegen, inwiefern die AIE die Selbstbestimmungsfähigkeit einschränkt oder aufhebt und ob und inwieweit die beantragte Therapie diese wiederherstellen kann. Diese Information ist wichtig, da Zwangsbehandlungen nach dem Betreuungsrecht sowie nach vielen PsychKGs auch genehmigt werden können, wenn diese geeignet sind, um die Selbstbestimmungsfähigkeit wiederherzustellen.

Richter werden Zwangsbehandlungen eher genehmigen, wenn diese erstens eine kausale statt nur eine symptomatische Therapie bieten, zweitens das Nutzen-Risiko-Profil der Behandlung vorteilhaft ist und drittens die Behandlung keine nachteiligen Persönlichkeits- oder Wesensveränderungen verursacht [18]. Diese Kriterien sind anders als bei den vom Bundesverfassungsgericht sehr kritisch beurteilten Antipsychotika bei den Therapien gegen Autoimmunenzephalitis erfüllt. (Abb. 1)

Frau C. erhält im Abstand von einem Monat jeweils 1000 mg Rituximab, dazwischen ist sie zu Hause. Die Beschwerden nehmen weiter zu. Eine Kontrolle der NMDAR-Antikörper zeigt einen angestiegenen Serumtiter von 1:10.000. Es kommt zu einer weiteren Sprachverarmung, Zwangsverhalten und stark reduzierter Nahrungsaufnahme. Sie ist weitgehend mutistisch, wirkt ratlos und zunehmend ungepflegt. Aufgrund dieser Zuspitzung stellt der Ehemann die Patientin in der psychiatrischen Rettungsstelle vor. Es wird „kein akut-psychiatrischer Handlungsbedarf sowie fehlende Eigen- oder Fremdgefährdung“ festgestellt und die Patientin entlassen.

Im 12. Monat nach Beginn der Erkrankung wird die Patientin aufgrund einer schmerzhaften Sinusitis stationär HNO-ärztlich vorgestellt, lehnt aber die antibiotische Therapie ab. Sowohl der konsiliarisch tätige Psychiater als auch der Neurologe empfehlen eine Unterbringung nach BGB und Zwangsbehandlung bei organischer Wesensänderung, um die zugrunde liegende NMDAR-Enzephalitis zu behandeln. Das Argument, dass therapeutische Schritte erforderlich sind, um einen bleibenden und wachsenden Hirnschaden abzuwenden, wird jetzt vom Richter als schlüssig bewertet und eine Blutwäschebehandlung gegen den Willen der Patientin genehmigt, die Rituximab-Therapie wird ebenfalls fortgesetzt. Bei einer klinischen Verlaufskontrolle weitere 6 Monate später zeigt sich eine deutliche klinische Besserung der Patientin, insbesondere des Antriebs, der Spontansprache, des formalen und inhaltlichen Denkens, der Orientierung und des Gedächtnisses.

Schlussbetrachtung

Zusammenfassend zeigt der hier dargestellte Fall einer akuten AIE das Spannungsfeld zwischen einer eher zurückhaltenden, auf Therapienebenwirkungen fokussierenden, Zwang grundsätzlich vermeidenden Haltung, welche Behandlungen gegen den Willen des Patienten zu minimieren versucht (Dr. Rück) versus einer auf kausale Therapien abzielenden Haltung, die die Autonomiefähigkeit und Gesundheit des Patienten wiederherstellen will, selbst wenn dazu kurzfristig gegen den natürlichen Willen des Patienten behandelt werden muss (Dr. Haus). Die AIE macht dieses Spannungsfeld offensichtlich, da innerhalb kurzer Zeit relativ weitreichende Entscheidungen bezüglich Diagnostik und Therapie getroffen werden sollten, um irreversible Schäden (inkl. Demenz und Tod) abzuwenden. Anders als beispielsweise bei einer viralen Enzephalitis spielt bei der AIE die Verschleppung einer kausalen Therapie als Grund für eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die behandelnden Ärzte in der Praxis noch keine Rolle. Diese zunehmend diskutierte Frage macht aber die Kontroversen zur Anwendung oder Ablehnung von Zwangsmaßnahmen deutlich. Insbesondere wird klar, dass Respekt vor der Patientenautonomie nicht bedeutet, Zwangsmaßnahmen grundsätzlich zu vermeiden, sondern in bestimmten Fällen impliziert, Zwangsmaßnahmen kurzfristig durchzuführen, um die Autonomie des Patienten wiederherzustellen.

Insofern stellt die AIE gerade aus psychiatrischer Perspektive ein neues Erkrankungsbild dar, welches Diagnostik- und Therapiemaßnahmen (unter Umständen auch unter Zwang) erfordert, die klassischerweise in der psychiatrischen Behandlung so bisher nicht vorgekommen sind. Auch wenn bisher randomisierte kontrollierte Untersuchungen (RCTs) zu dieser Fragestellung fehlen, stützen die teils fulminanten Verläufe einer AIE bei zugleich erheblichen therapeutischen Effekten durch eine Immuntherapie unsere Schlussfolgerungen hinsichtlich einer forcierten Diagnostik und Therapie. Hier steht die Medizin vor neuen ethischen Herausforderungen, für deren kritische Diskussion dieser Artikel einen Anstoß bieten soll. Umso bedeutsamer ist daher das Erkennen der „red flags“ in der Symptomatik. Wenn diese vorliegen, sind alle notwendigen Maßnahmen umgehend zu ergreifen (Prüfung der Einwilligungsfähigkeit, Einrichtung einer Eilbetreuung, Unterbringung zur weiteren Diagnostik und Heilbehandlung, ggf. Beantragung von Behandlungen gegen den Patientenwillen). Zwangsbehandlungen sollten in einem gestuften Konzept bis zur therapeutischen Apherese oder intensiven immunmodulatorischen Behandlung durchgeführt werden.

An dieser Stelle wird deutlich, dass ein schwacher Paternalismus [1] notwendig ist, der im Fall krankheitsbedingter Einwilligungsunfähigkeit darauf abzielt, die Autonomie des Patienten wiederherzustellen, auch wenn dazu vorübergehend Maßnahmen gegen den krankheitsbedingt veränderten natürlichen Willen des Patienten ergriffen werden müssen. Diese Maßnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie dem mutmaßlichen oder vorausverfügten Willen des Patienten entsprechen. Diese Position entspricht der Position des Bundesverfassungsgerichts und den novellierten Gesetzen (BGB und PsychKGs).

Fazit für die Praxis

  • Bei Verdacht auf eine Autoimmunenzephalitis (AIE) sollte zügig eine entsprechende Diagnostik und Therapie erfolgen, bei der oft fehlenden Einwilligungsfähigkeit notfalls als Zwangsbehandlung, analog zu einer viralen Enzephalitis oder anderen schweren Hirnerkrankung.

  • Als Argumentationshilfe für den Betreuungsrichter dienen Konsensuspapiere, Übersichtsarbeiten, Hinweise auf den oft schweren, teils irreversiblen und potenziell letalen Verlauf, die Möglichkeit einer kausalen (Immun‑)Therapie und der Einfluss der AIE auf die Selbstbestimmungsfähigkeit.

  • Zur Basisdiagnostik bei nicht einwilligungsfähigen Patienten mit schwerer psychischer Störung unter dem Bild einer möglichen AIE sollten ein cMRT, ein EEG, eine Lumbalpunktion und die Bestimmung antineuronaler Autoantikörper gehören.

  • „Red flags“ helfen dabei, eine AIE bei führend psychotischer Symptomatik zu identifizieren, dazu gehören: rasche Progression, Mutismus, autonome Störungen, Kopfschmerzen, Katatonie, epileptische Anfälle, andere Autoimmunerkrankungen und Liquor‑, MRT- oder EEG-Veränderungen.