Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ein 80-jähriger Patient (175 cm, 69 kg) wird von der Ehefrau in die zentrale Notaufnahme gebracht. Seit 2 Tagen bemerkt er ein eingeschränktes Allgemeinbefinden, trockenen Reizhusten und eine zunehmende Belastungsdyspnoe. Fieber habe er nicht gemessen, jedoch fühle er sich nicht so. Die Ehefrau hat eine zunehmende Verwirrtheit festgestellt, die über die bekannte Demenz hinausgeht.

An Vorerkrankungen bestehen eine beginnende Demenz, eine Sturzneigung mit Zustand nach Humerusschaftfraktur, eine Hypercholesterinämie und eine arterielle Hypertonie.

An Medikamenten nimmt der Patient ein: Bisoprolol 5 mg 1‑0‑0, Valsartan 80 mg 1‑0‑1, Torasemid 5 mg 1‑0‑0, Simvastatin 20 mg 0‑0‑1 und Acetylsalicylsäure 100 mg 1‑0‑0.

Bei Aufnahme beträgt die Körpertemperatur 37,3 °C, der Puls ist 112/min, der Blutdruck 160/95 mm Hg und die Atemfrequenz 32/min. Der Patient ist zum Ort und zur Zeit nicht orientiert. Die klinische Untersuchung ergibt feuchte Rasselgeräusche über dem rechten Unter- und Mittellappen. Die übrige körperliche Untersuchung ist unauffällig.

Prüfungsfragen

  • Welche weiterführende Diagnostik veranlassen Sie?

  • Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Welche Erreger sind dabei typischerweise zu erwarten?

  • Wie schätzen Sie den Schweregrad der Infektion ein?

  • Ambulante oder stationäre Behandlung? Normalstation oder Intensivstation?

  • Welche kalkulierte Therapie wählen Sie aus? Was müssen Sie dabei beachten?

  • Wie wählen Sie die Therapiedauer? Können Sie die Therapie auch oralisieren?

  • Wie kontrollieren Sie das Therapieansprechen?

Antworten

Welche weiterführende Diagnostik veranlassen Sie?

  • Abnahme eines Routinelabors einschließlich Entzündungsparameter (Blutbild und Differenzialblutbild, C‑reaktives Protein [CRP], wenn möglich Prokalcitonin [PCT]), Urinstatus

  • Blutgasanalyse

  • Abstrich auf „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2)

    Mit Beginn im Jahr 2020 verpflichtend notwendig. Einige Empfehlungen raten dazu, zunächst das Ergebnis des Tests abzuwarten und dann eine weitere Diagnostik (z. B. Legionellenantigen im Urin – s. unten) durchzuführen [6].

  • Röntgenuntersuchung des Thorax mit Frage nach Infiltrat

Bei mittelschwerer und schwerer Infektion:

  • Abnahme von mindestens 2 Sets Blutkulturen (BK)

    Bei Verdacht auf schwere bakterielle Infektionen ist die Kenntnis des auslösenden Erregers für die optimale Therapie essenziell. Pneumonien gehen häufig mit einer Bakteriämie einher. So findet man bei der Pneumokokkenpneumonie in ca. 40 % der Fälle eine Bakteriämie. BK sind deswegen ein wichtiges diagnostisches Mittel. Dabei besteht – entgegen früherer Annahmen – keine Korrelation zwischen Fieber bzw. Fieberanstieg und hoher Bakterienlast im Blut.

    Wichtig ist jedoch, mehr als ein Set BK abzunehmen. Die Sensitivität steigt hierbei von ca. 73 % (Abnahme 1 Set BK) auf 90 % (Abnahme 2 Sets BK).

    Auch muss kein zeitlicher Abstand eingehalten werden zwischen der Abnahme der BK-Sets. Wichtiger ist vielmehr, die BK an verschiedenen Punktionsstellen abzunehmen, damit evtl. Verunreinigungen besser erkannt werden können [2].

  • Legionellenantigen im Urin

  • Je nach Saison: Abstrich auf Influenza

  • Evtl. Sputum

    Sputum sollte eingeschickt werden, wenn es adäquat gewonnen werden kann und die mikrobiologische Bearbeitung innerhalb von 2 bis 4 h gegeben ist. Neben der Kultur muss auch eine Gram-Färbung durchgeführt werden. Damit kann die Sputumqualität bestimmt werden. Viele Labors teilen diese auf ihren Befunden mit [4].

Der Fall.

Die Laboranalyse ergibt: CRP 15,7 mg/dl (Normwert bis 0,5 mg/dl), Leukozyten 11,1 G/l (Normwert 3,9–9,8 G/l), neutrophile Granulozyten 9,2 G/l (83 %; Normwert 1,78–6,23 G/l), PCT 5,6 ng/ml (Normwert bis 0,1 ng/ml).

Röntgenuntersuchung des Thorax (Abb. 1): neu aufgetretene, auf das rechte Lungenmittel- bis -unterfeld projizierende, fleckige Verdichtungen, vereinbar mit Infiltrat. Geringe pulmonalvenöse Stauungszeichen mit bipulmonaler Gefäßzeichnungsvermehrung. Herzschatten und oberes Mediastinum verbreitert.

Abb. 1
figure 1

Röntgenaufnahme des Thorax (im Liegen) des Patienten in unserem Fallbeispiel. Die Aufnahme wurde in der Notaufnahme erstellt. (Mit freundl. Genehmigung, © LMU Klinikum München, alle Rechte vorbehalten)

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Welche Erreger sind dabei typischerweise zu erwarten?

  • Verdachtsdiagnose: ambulant erworbene Pneumonie (AEP)

    Differenzialdiagnostisch muss seit 2020 an die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) gedacht werden. Im Herbst und Winter kommt auch die Influenza differenzialdiagnostisch infrage. Zur Unterscheidung ist PCT hilfreich, das v. a. bei bakteriellen Infektionen ansteigt, meist weniger bei viralen Infektionen (meist auch nicht bei COVID-19).

  • Der häufigste Erreger der AEP ist Streptococcus pneumoniae. Außerdem wichtig sind Haemophilus influenzae und Mycoplasma pneumoniae (eher bei jüngeren Patienten). Seltener kommen Chlamydia pneumoniae, Legionella spec. oder Staphylococcus aureus vor. In 20–25 % der Fälle wird der auslösende Erreger nicht identifiziert [5].

Der Fall.

Das Röntgenbild des Thorax ergibt den Befund einer Lobärpneumonie – damit hat der Patient eine AEP. Die Abstriche für SARS-CoV‑2 und Influenza sind negativ – was auch zu dem erhöht gemessenen PCT passt.

Wie schätzen Sie den Schweregrad der Infektion ein?

  • CRB-65-Score (Tab. 1)

    Der CRB-65-Score ist ein einfacher Index, mit dem der Schweregrad der AEP bestimmt werden kann. Er ist so konzipiert, dass er auch im niedergelassenen Bereich ohne das Abwarten von Laborwerten direkt evaluiert werden kann. Für jeden der vier Parameter wird bei Vorhandensein 1 Punkt vergeben, die Maximalpunktzahl ist damit 4. 0 Punkte bedeuten ein sehr niedriges Risiko, ab 1 Punkt besteht bereits ein erhöhtes Risiko und ab 2 Punkten muss von einem hohen Risiko ausgegangen werden. Dementsprechend steigt die Mortalität mit zunehmender Punktzahl [3].

Tab. 1 CRB-65-Score zur Einschätzung des Schweregrads einer ambulant erworbenen Pneumonie [3]

Der Fall.

Der CRB-65-Score in unserem Fallbeispiel liegt bei 3 Punkten: Die Verwirrtheit geht über das hinaus, was die Ehefrau von ihm kennt. Die Atemfrequenz ist >30/min und er ist älter als 65 Jahre. Damit handelt es sich um eine schwere Pneumonie mit hohem Risiko.

Ambulante oder stationäre Behandlung? Normalstation oder Intensivstation?

  • Stationäre Therapie!

    Ein Patient mit AEP kann ambulant behandelt werden, wenn der CRB-65-Score 0 ist und eine ausreichende Oxygenierung vorliegt (arterielle Sauerstoffsättigung [SaO2] > 90 %), instabile Komorbiditäten fehlen und auch soziale Faktoren die stationäre Aufnahme nicht bedingen. Im Falle einer ambulanten Behandlung sollte nach 48(–72) h eine Reevaluation erfolgen [4].

  • Für die Entscheidung, ob der Patient auf einer Normalstation behandelt werden kann oder ob er eine Intensivtherapie benötigt, gibt es ebenfalls einen Score (Tab. 2).

    Bei Vorliegen von 1 Majorkriterium, 2 Minorkriterien, einem CRB-65-Score ≥2 oder nach klinischer Entscheidung sollte der Patient auf eine Intensivstation aufgenommen werden [4].

Tab. 2 Major- und Minorkriterien zur Entscheidung, wie intensiv der Patient überwacht und behandelt werden muss [4]

Der Fall.

Der Patient hat nach CRB-65-Score ein sehr hohes Risiko, dass diese Infektion tödlich verläuft. Deswegen muss er unbedingt intravenös mit Antibiotika behandelt werden. Zudem müssen die Vitalparameter engmaschig überwacht werden und er braucht eine Sauerstoffgabe.

In der Folge wird der Patient aus der Notaufnahme direkt auf die Intensivstation aufgenommen.

Welche kalkulierte Therapie wählen Sie aus? Was müssen Sie dabei beachten?

  • Die kalkulierte Therapie der AEP sollte nach S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur AEP durchgeführt werden. Hier wird eingeteilt nach: Patienten mit leichter Pneumonie ohne Komorbiditäten, Patienten mit leichter Pneumonie mit Komorbiditäten, Patienten mit mittelschwerer Pneumonie und Patienten mit schwerer Pneumonie (Tab. 3; [4]).

    Wird eine Kombinationstherapie mit Makrolid gewählt, sollte die Indikation hierfür auf jeden Fall nach 3 Tagen überprüft und die Gabe des Makrolids evtl. beendet werden.

    In der Influenzasaison sollte über die Gabe von Oseltamivir bei der mittelschweren und schweren Pneumonie nachgedacht werden.

    Bei positivem SARS-CoV-2-Abstrich: aktuelle Leitlinien beachten, z. B. Empfehlung des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger (STAKOB) am Robert Koch-Institut [6]

  • Bei der Kombinationstherapie mit Makroliden müssen Sie beachten:

    • Clarithromycin und Azithromycin: Verlängerung der QT-Zeit

    • Clarithromycin: Medikamenteninteraktionen

      Clarithromycin ist ein Cytochrom‑P450-3A4(CYP3A4)-Inhibitor und führt damit zu erhöhten Spiegeln von durch dieses Enzym verstoffwechselten Medikamenten.

      Unter anderem sind hier die Interaktionen mit Statinen, Antimykotika, Immunsuppressiva, Digoxin und Phenprocoumon zu nennen.

Tab. 3 Kalkulierte Initialtherapie der ambulant erworbenen Pneumonie [4]

Cave.

Mögliche QT-Verlängerung bei Gabe von Makroliden bedenken!

Der Fall.

Der Patient wird mit einer Kombinationstherapie bestehend aus Piperacillin/Tazobactam und Azithromycin behandelt. Azithromycin wird gewählt, um die Medikamenteninteraktion von Clarithromycin mit Simvastatin aus der Dauermedikation des Patienten zu vermeiden. Bei gleichzeitiger Gabe von Clarithromycin und Simvastatin kann es zu einer Rhabdomyolyse kommen.

Wie wählen Sie die Therapiedauer? Können Sie die Therapie auch oralisieren?

  • Die Therapiedauer wird kurz gewählt. Für die leichte und mittelschwere Pneumonie wird eine Therapiedauer von 5 bis 7 Tagen empfohlen [1]. Vor Therapieende soll für mindestens 2 Tage eine klinische Stabilisierung erfolgt sein. Auch bei der schweren Pneumonie wird nach Klinik behandelt. Vor Absetzen der Therapie sollte für mindestens 2 Tage eine deutliche Besserung zu verzeichnen sein. Aber auch in diesem Fall ist selten eine mehr als 7‑tägige Therapiedauer notwendig.

    Diese Verkürzung der Therapiedauer wurde durch entsprechende Studien der letzten Jahre erreicht und sollte mit Hinblick auf die bakterielle Resistenzentwicklung im Sinne der Antibiotic Stewardship (ABS) umgesetzt werden.

  • Ja, bei der AEP kann eine orale Sequenztherapie gewählt werden. Die leichte Pneumonie wird von vornherein mit einer oralen Therapie behandelt. Eine Oralisierung bei der mittelschweren Pneumonie kann nach klinischer Besserung durchgeführt werden. Dazu zählen Entfieberung, Besserung von Husten und Dyspnoe und Abfall der Entzündungsparameter im Blut. Die orale Resorption sollte gewährleitet sein. Dasselbe gilt für die schwere Pneumonie. Allerdings gibt es hier die Empfehlung, dass mindestens für 3 Tage eine intravenöse Therapie erfolgen sollte [4].

Wie kontrollieren Sie das Therapieansprechen?

  • Kontrolle von (u. a. der Stabilitätskriterien)

    • Bewusstseinszustand,

    • Vitalparametern,

    • Hypoxämie,

    • laborchemischen Entzündungsparametern (CRP, PCT, Leukozyten)

Bei der mittelschweren Pneumonie darf es 3 Tage dauern, bis eine klinische Besserung erreicht ist, bei der schweren Pneumonie sogar 5 Tage. Ist nach Ablauf dieser Zeit keine wesentliche Besserung erreicht, muss von einem Therapieversagen ausgegangen werden [3].

Cave.

Das Fortbestehen einer klinischen Instabilität weist auf ein Therapieversagen hin!