Es mag trivial erscheinen: Im Studium haben wir die Anatomie erlernt, da die Morphologie die Grundlage bzw. Voraussetzung für die Funktion eines Organs schafft. Die Funktion eines Organs und sein Zusammenspiel mit anderen Organen haben wir in der Physiologie gelernt; die Funktion auf zellulärer Ebene in der Biochemie. Bei der Pathogenese vieler Erkrankungen in der Inneren Medizin führen pathologische Prozesse in der Epigenetik, Genetik und im zellulären Stoffwechsel zur gestörten Funktion der einzelnen Zelle, des gesamten Organs und auch des gesamten Organismus. Einer gestörten Funktion liegt oft auch eine pathologische Morphologie zugrunde.

Die Innere Medizin ist diagnostisch sehr „morphologisch“ ausgerichtet

Wenn letztlich die Funktionsfähigkeit der Zelle, des Organs, des Organismus für das Leben entscheidend ist, überrascht es, dass wir bezüglich der Diagnostik in der Inneren Medizin doch sehr „morphologisch“ ausgerichtet sind: Bildgebung (Sonographie, Endoskopie, konventionelle Röntgendiagnostik, Computertomographie, Magnetresonanztomographie, Nuklearmedizin etc.), Histologie, Makropathologie. Im Gegensatz zu früher bieten aber viele der bildgebenden Verfahren auch die Möglichkeit, zusätzlich die Funktion zu untersuchen. Mehr noch: Bildgebung entwickelt sich immer häufiger zur quantitativ erfassten Funktionsdiagnostik. Als Beispiele seien die Messung der Durchblutung mit der Duplexsonographie und die Bestimmung der Herzmuskelfunktion mit der Stressechokardiographie genannt. Letztlich misst auch die Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie eine Funktion, die Glukoseaufnahme der Tumorzelle. Wir glauben daher, dass eine Bestandsaufnahme des Stellenwerts der Funktionsdiagnostik in der Inneren Medizin 2018 gerechtfertigt ist. Leider konnten dabei aus Platzgründen nicht alle acht Schwerpunkte der Inneren Medizin berücksichtigt werden. Diese Ausgabe beschränkt sich auf die Funktionsdiagnostik in der Kardiologie, Pneumologie, Gastroenterologie, Endokrinologie und Nephrologie.

Herrmann, Kraus und Frantz aus Würzburg zeigen am Beispiel der Magnetresonanztomographie und der Echokardiographie, wie in der Kardiologie bildgebende Verfahren für die Funktionsdiagnostik des Herzens relevant sind. Das Elektrokardiogramm (EKG) gehört sicher zu den in der Inneren Medizin am längsten eingesetzten Verfahren zur Messung einer Funktion. Es ist erstaunlich, dass das Ruhe-EKG und die Blutdruckmessung nach Scipione Riva-Rocci über die Jahrzehnte nicht an Bedeutung verloren haben.

Gerade in der Pneumologie ist die Funktionsdiagnostik unverzichtbar

In der Pneumologie mag die Trennung zwischen Bildgebung (z. B. Bronchoskopie) und Funktionsuntersuchungen schärfer sein. Held, Baron und Jany aus Würzburg stellen überzeugend dar, dass gerade in der Pneumologie die Funktionsdiagnostik, etwa in Form der Ganzkörperplethysmographie, unverzichtbar ist. So ist die Funktionsdiagnostik auch essenziell, um kardiale Ursachen einer eingeschränkten Lungenfunktion von rein pulmonalen zu differenzieren. Natürlich ist auch in der Pneumologie die Funktionsdiagnostik von entscheidender Bedeutung, wenn das Therapieansprechen beurteilt werden soll. Das Schlaflabor zur Beurteilung schlafbezogener obstruktiver Ventilationsstörungen ist in der Pneumologie unverzichtbar. So erfährt der Leser, wann eine Polygraphie und wann eine Polysomnographie durchzuführen ist.

Das Spektrum der Funktionsuntersuchungen in der Gastroenterologie ist breit gefächert. Während die Untersuchung der exokrinen Pankreasfunktion in der Diagnostik und bei der Therapieentscheidung an Bedeutung verloren hat, ist gerade vor einer Leberresektion oder palliativen Tumortherapie wie der selektiven internen Radiotherapie eine Abschätzung der Funktionsfähigkeit des verbleibenden Parenchyms entscheidend. Die Leberfunktionsdiagnostik konnte in dieser Übersicht leider aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden. Hollenbach, Hoffmeister, Rosendahl und der Mitherausgeber Mössner aus Leipzig und Halle (Saale) geben einen Überblick über Routineverfahren, beispielsweise über die H2-Atemtests zur Beurteilung der Fragen Laktasemangel, bakterielle Fehlbesiedlung und Dünndarmpassagezeit oder den 13C-Harnstoff-Atemtest zum Nachweis einer Helicobacter-pylori-Infektion. Vorgestellt werden auch die Verfahren zur Beurteilung der Ösophagus‑, Magen- oder Dünndarmmotilität oder im Rahmen der häufigen Refluxerkrankung die Langzeit-pH-Metrie und die Impedanzmessung. Auch in der Gastroenterologie ist die Sonographie unverzichtbar für die Untersuchung von Funktionen wie Motilität oder Durchblutung.

Eine endokrinologische Diagnostik wäre ohne Beurteilung der Funktion undenkbar. Auch in der Endokrinologie ist das Spektrum weit: Nimmt ein Knoten der Schilddrüse Jodid auf? Auf welcher Ebene ist der Regelkreis aus Hypothalamus, Hypophyse und Nebenniere gestört? Auernhammer und der Mitherausgeber Reincke aus München stellen die Stimulationstests zur Abklärung einer vermuteten Unterfunktion und die Suppressionstests zur Sicherung einer möglichen Überfunktion vor. Präanalytische „caveats“ und Assay-abhängige Normwerte in der Diagnostik sind hierbei sorgfältig zu beachten. Die Beantwortung der Frage, ob eine „critical illness-related corticosteroid insufficiency“ (CIRCI) vorliegt, ist lebensentscheidend, wie auch die Funktionsdiagnostik bei der Frage, ob bei einem hypertensiven Patienten ein Phäochromozytom vorliegt.

In ihrem Beitrag zur Nierenfunktionsdiagnostik machen Huynh-Do, Fiedler und Vogt aus Bern den Leser sicher schon im Titel neugierig: „Kreatinin ist nicht alles“. Tests zur Beurteilung der glomerulären Funktion sind sicher nicht „alles“. Wir wollen in der Einführung die Neugier aufrechterhalten und wünschen eine gute Lektüre.

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J. Mössner

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M. Reincke