Hintergrund

Das Thema Patientensicherheit ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Es gibt inzwischen in vielen chirurgischen Abteilungen diesbezüglich verbindliche Handlungsanweisungen, z. B. als „Team-time-out-Checklisten“ direkt vor dem Hautschnitt im Operationssaal. Die Sicherheit der Ärzte war bislang deutlich seltener von Interesse. Die Arbeit als Chirurg in Deutschland ist jedoch auch heute noch mit einem relevanten Gesundheitsrisiko verbunden: Schlafstörungen und Burn-out-Symptome sind häufig, regelmäßige Mahlzeiten und sportliche Aktivitäten sind selten [1, 2]. Im Rahmen der COVID(„coronavirus disease“)-19-Pandemie ist sowohl medial als auch in der Bevölkerung das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen (hier in der Regel als Infektionsschutzmaßnahmen z. B. FFP-Masken) für pflegerisches und ärztliches Personal deutlich gestiegen.

Die Arbeitssicherheitsmaßnahmen von Chirurgen besteht einerseits aus konkreten Handlungen, z. B. Strahlenschutzschürzen, Schutzbrillen und Nutzung einer Rauchgasabsaugung. Andererseits tragen sog. „weiche Faktoren“ der Arbeitsbedingungen wie Dauer der Arbeitszeit, Arbeitsbelastung und Erholungspausen zur psychischen und physischen Sicherheit und dem Wohlbefinden von Chirurgen bei. Frühere Studien haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Dauer der Arbeitszeit und medizinischen Fehlern besteht und Chirurgen ein höheres Risiko für Depressionen und Burn-out haben als andere Berufsgruppen [1, 3, 4]. Von der jungen Ärztegeneration wird ein selbstgefährdendes Verhalten zunehmend negativ bewertet und die Chirurgie u. a. deshalb häufig als Fachgebiet abgelehnt. Ein gesundheitsfördernder Lebensstil mit hoher subjektiver Lebensqualität wird zunehmend angestrebt.

Es gibt kaum Veröffentlichungen, in denen bewertet wird, in welchem Ausmaß Chirurgen Arbeitssicherheitsmaßnahmen anwenden, um sich im Berufsalltag zu schützen.

Ziel der Arbeit

Ziel dieser Studie ist es, die Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen von Chirurgen in Deutschland zu erheben und die damit verbundenen individuellen Lebensumstände, Arbeitsbedingungen und die subjektive Gesundheitsgefährdung in Abhängigkeit von Ausbildungsniveau und Krankenhaustyp (Grund‑, Regel‑, Maximalversorgung) zu untersuchen. In Zeiten von Chirurgenmangel ist es sinnvoll, diese Zusammenhänge zu untersuchen, um zukunftsorientierte Anpassungen zur Steigerung der Attraktivität des Berufs „Chirurg“ vorzunehmen.

Material und Methoden

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) wurde am 21.10.2016 an alle 5011 DGAV-Mitglieder per E‑Mail ein Link zu einem Onlinefragebogen zugesandt. Am 05.12.2016 wurde eine 2. Aufforderung zur Beantwortung des Fragebogens versandt. Beantwortete Fragebögen, die bis zum 31.12.2016 eingingen, wurden in der Auswertung berücksichtigt. Die Fragebögen wurden anonym ohne Rückverfolgbarkeit beantwortet und ausgewertet.

Da unseres Wissens nach kein etablierter Fragebogen zur Erhebung der Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen, Arbeitsbedingungen, individuellen Lebensumständen sowie zur subjektiven Gesundheitsbelastung in der Chirurgie existiert, wurde ein Onlinefragebogen entworfen. Der Fragebogen wurde unter Verwendung der vorliegenden Literatur [2, 5,6,7,8] und der klinischen Erfahrung der chirurgisch tätigen Autoren entwickelt. Eine Testung der psychometrischen Eigenschaften (Reliabilität, Validität) erfolgte daher nicht.

Der Onlinefragebogen bestand aus drei Hauptfrageblöcken mit 28 Fragen und war untergliedert in die Blöcke Allgemeines, Lebensumstände/Arbeitsbedingungen und Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen:

  1. 1.

    Allgemeines

    1. a.

      Alter

    2. b.

      Ausbildungsstand

    3. c.

      Krankenhaustyp des Arbeitgebers (Uniklinik, Maximalversorgung – Schwerpunktversorgung – Grund‑/Regelversorgung [je nach im Bundesland geltender Definition])

  2. 2.

    Lebensumstände

    1. a.

      Familienstand

    2. b.

      Kinder

    3. c.

      Durchschnittliche Arbeitszeit/Tag

    4. d.

      Dauer Bereitschaftsdienst

    5. e.

      Durchschnittliche Schlafzeit/Tag

    6. f.

      Häufigkeit sportliche Betätigung/Woche

    7. g.

      Häufigkeit regelmäßiger Nahrungsaufnahme

    8. h.

      Menge Kaffeekonsum (Tassen/Tag)

    9. i.

      Menge Nikotinkonsum (Zigaretten/Tag)

    10. j.

      Häufigkeit Alkoholkonsum

    11. k.

      Vorhandensein chronischer Erkrankungen

    12. l.

      Selbsteinschätzung der Gesundheitsbelastung durch die Arbeit (sehr gesundheitsförderlich, gesundheitsförderlich, indifferent, gesundheitsbelastend, sehr gesundheitsbelastend)

  3. 3.

    Vorhandensein und Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen (im Operationssaal vorhanden, nicht vorhanden, nicht vorhanden, aber gewünscht, unbekannt, nutze ich immer, nutze ich gelegentlich, nutze ich nicht)

    1. a.

      Handschuhe

    2. b.

      Spezialkittel für Risikopatienten

    3. c.

      Verhalten bei Nadelstichverletzungen

    4. d.

      Tragen von Einmalsocken

    5. e.

      Tragen von Kompressionsstrümpfen

    6. f.

      Tragen von Schutzbrille

    7. g.

      Strahlenschutzmaßnahmen

    8. h.

      Routinemäßige präoperative Bestimmung von HIV/Hepatitis-B-/Hepatitis-C-Serologie des Patienten

    9. i.

      Rauchgasabsaugung bei Verwendung von Diathermie

    10. j.

      Anpassung der Operationstischhöhe an das größte Teammitglied

    11. k.

      Möglichkeiten zur Fortbildung

Die Antworten wurden mit SPSS, Version 25, IBM, analysiert. Alle statistischen Tests waren zweiseitig und p < 0,05 wurde als statistisch signifikant definiert. Die Signifikanztestung erfolgte bei kategorialen Daten mittels χ2-Test nach Pearson.

Ergebnisse

Rücklaufquote

Von den 5011 DGAV-Mitgliedern füllten 1065 Mitglieder den Fragebogen aus, die Rücklaufquote lag somit bei 21 %.

Teilnehmerbeschreibung

Die teilnehmenden Chirurgen sind zu ca. jeweils einem Drittel zwischen 30 und 39 Jahre (293/1065, 28 %), zwischen 40 und 49 Jahre (290/1065, 27 %) und zwischen 50 und 59 Jahre alt (302/1095, 28 %). Das Geschlecht der Teilnehmer wurde nicht erfasst.

Fast zwei Drittel der Teilnehmer sind verheiratet (724/1065, 68 %). Während 30 % (320/1065) der teilnehmenden Chirurgen keine Kinder haben, haben 45 % (483/1065) ein bis zwei und 21 % mehr als zwei Kinder (227/1065).

Ein hoher Prozentsatz der Teilnehmer ist berufserfahren, darunter 441/1065 (41 %) Oberärzte und 260/1065 (24 %) Chefärzte. Der Anteil der Fachärzte liegt bei 14 % (147/1065), 17 % (182/1065) sind Assistenzärzte.

Der überwiegende Anteil der teilnehmenden Chirurgen arbeitet in Krankenhäusern der Grundversorgung (391/1065, 37 %). In Häusern der Regelversorgung sind 25 % (266/1065) tätig. Jeweils 16 % (166/1065) und 17 % (189/1065) arbeiten in der Maximalversorgung bzw. an Universitätskliniken. 2 % (21/1065) der Teilnehmer sind in einer chirurgischen Praxis tätig.

Arbeitszeiten

Die Mehrheit der Teilnehmer arbeitet 8–10 h (529/1065; 50 %) oder mehr als 10 h (479/1065; 45 %) pro Tag. Mehr als 10 h pro Tag arbeiten Oberärzte (171/479, 36 %) und Chefärzte (179/479, 37 %) signifikant häufiger als Fachärzte (50/479, 10 %) oder Assistenzärzte (76/479, 16 %; p < 0,001). Chirurgen an Grundversorgungs- und Universitätskliniken arbeiten deutlich häufiger mehr als 10 h pro Tag (156/479, 33 % und 140/479, 29 %). Lediglich 14 % der Chirurgen in Krankenhäusern der Maximalversorgung arbeiten am Tag mehr als 10 h (66/479, p < 0,001).

Die Bereitschaftsdienstzeiten der Teilnehmer betragen bei 36 % (383/1065) 18–24 h und bei 27 % (284/1065) mehr als 24 h.

Lebensstil

Mehr als die Hälfte der Teilnehmer schläft durchschnittlich 6–8 h (705/1065, 66 %), 30 % (321/1065) schlafen weniger als 6 h.

Während 35 % (371/1065) der Chirurgen nicht regelmäßig Sport treiben, betätigen sich jeweils ca. ein Drittel einmal pro Woche (293/1065, 28 %) bzw. ein- bis dreimal pro Woche (294/1065, 28 %) sportlich.

Es geben 73 % (774/1065) der Teilnehmer an, keine regelmäßigen Mahlzeiten einzunehmen. 48 % (514/1065) trinken mehr als 3 Tassen Kaffee pro Tag, während nur 93/1065 (9 %) überhaupt keinen Kaffee trinken. Die überwiegende Mehrheit von 83 % (881/1065) ist Nichtraucher.

Alkohol wird von 26 % (273/1065) mehrmals pro Woche und von 41 % (435/1065) sporadisch und von 7 % (79/1065) nie konsumiert.

Vorerkrankungen der Teilnehmer

Schmerzen des Bewegungsapparates sind unter den Teilnehmern häufig: 23 % (241/1065) haben Zervikalgien, 28 % (300/1065) Ischialgien und 14 % (144/1065) Zephalgien.

Insgesamt 47 % (608/1046, 19 Antworten fehlen) der Teilnehmer tragen aufgrund einer Sehschwäche dauerhaft eine Brille. Über Schlafstörungen berichten 19 % (201/1065) und 6 % (65/1065) von venöser Insuffizienz. Chronische Infektionskrankheiten (Hepatitis B/C oder HIV [„human immunodeficiency virus“]) sind mit 0,5 % (5/1065) selten.

Subjektive Gesundheitsbelastung

Eine bemerkenswerte Mehrheit von 58 % der Teilnehmer bewertet die Kombination aus privatem Lebensstil und Arbeitssituation als gesundheitsbelastend (548/1065, 52 %) oder sehr gesundheitsbelastend (60/1065, 6 %, Tab. 1).

Tab. 1 Bewertung der Teilnehmer der subjektiven Gesundheitsbelastung durch Kombination aus privatem Lebensstil und Arbeitssituation

Insbesondere die Oberärzte scheinen die Kombination aus Arbeitsbedingungen und Lebensstil als kritisch einzuschätzen (250/548, 46 %), während nur 21 % (115/548) der Chefärzte und 18 % (98/548) der Assistenzärzte dies tun (p < 0,001; Abb. 1). Ein großer Teil der Chefärzte (40 %, 105/260) sieht ihren Lebensstil als indifferent und 12 % (30/260) sogar als gesundheitsförderlich an, bei den Oberärzten ist dies nur bei 31 % (135/441) und 7 % (29/441) der Fall (p < 0,0005; Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Subjektive Selbsteinschätzung des Lebensstils als „gesundheitsbelastend“ nach Ausbildungsstand (n = 548, fehlend n = 12)

Abb. 2
figure 2

Subjektive Gesundheitsbelastung in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand

Zu 35 % (194/548) stammen die Chirurgen mit einem als gesundheitsbelastend eingeschätzten Lebensstil aus Kliniken der Grund- und Regelversorgung und zu 27 % (146/548) aus der Schwerpunkt versorgung. Die teilnehmenden Chirurgen der Universitätskliniken und Maximalkliniken treffen diese Selbsteinschätzung nur zu 18 % (99/548) bzw. 17 % (91/548; p < 0,001; Abb. 3). Immerhin 11 % der Universitätschirurgen (21/189) sehen ihre Gesundheitsbelastung sogar als sehr hoch an, bei den Kollegen der Maximal‑, Schwerpunkt- und Grund‑/Regelversorgung liegt dieser Anteil lediglich bei 2 % (4/166), 4 % (10/266) bzw. 6 % (24/391; p < 0,0005; Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Subjektive Selbsteinschätzung des Lebensstils als „gesundheitsbelastend“ nach Krankenhaustyp (n = 548, fehlend n = 11)

Abb. 4
figure 4

Subjektive Gesundheitsbelastung in Abhängigkeit vom Krankenhaustyp

Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen

Das Problem einer potenziellen Infektion von Chirurgen im Operationssaal und perioperativen Bereich ist alltäglich: Fast alle Teilnehmer der Befragung haben in ihrem Berufsleben schon eine Nadelstichverletzung (1012/1065, 95 %) oder, weniger häufig, eine Augenkontamination (721/1065, 68 %) erlitten. Tab. 2 gibt einen detaillierten Überblick über die Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen.

Tab. 2 Anwendung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen

Handschuhe und Schutzkleidung

Zur präoperativen Positionierung von Patienten verwenden nur 69 % (731/1065) der teilnehmenden Chirurgen immer Handschuhe, 27 % (286/1065) tun dies gelegentlich und 3 % (29/1065) nie.

Doppelhandschuhe werden intraoperativ regelmäßig von nur 16 % (173/1065) der Befragten verwendet, 49 % (516/1065) verwenden sie gelegentlich, 21 % (221/1065) nie.

Ein feuchtigkeitsabweisender beschichteter Operationskittel wird routinemäßig von 52 % (550/1065) der Chirurgen getragen. Bei 18 % der Teilnehmer (192/1065) sind beschichtete Operationskittel in der Abteilung nicht verfügbar.

Nur 11 % der Teilnehmer (121/1065) verwenden regelmäßig Kompressionsstrümpfe.

Umgang mit Testung auf Infektionskrankheiten und Nadelstichverletzungen

Eine präoperative Routinetestung auf Hepatitis B/C und HIV ist flächendeckend nicht verbreitet, sie wird nur in 10 % der Krankenhäuser der Teilnehmer durchgeführt. Die Teilnehmer sehen jedoch auch keinen großen Bedarf, nur 13 % (143/1065) wünschen es sich.

Im Falle einer Nadelstichverletzung lassen nur 33 % (351/1065) der Chirurgen routinemäßig einen Arbeitsunfall dokumentieren, 41 % (431/1065) tun dies nur bei besonderen Fällen. 23 % (247/1065) gehen einer Nadelstichverletzung überhaupt nicht nach.

Rauchgasabsaugung

Bei 50 % (537/1065) der Teilnehmer ist keine Rauchgasabsaugung im Operationssaal verfügbar. Jedoch würden auch nur 14 % (150/1065) der Chirurgen diese anwenden, wenn sie vorhanden wäre. In Bezug auf die Krankenhäuser mit verfügbarer Rauchgasabsaugung verwenden nur 104/504 (21 %) der Chirurgen diese regelmäßig und 66 % (335/504) gelegentlich.

Augenschutz

Schutzbrillen stehen für 87 % (926/1065) der teilnehmenden Chirurgen im Operationssaal zur Verfügung. Diese werden routinemäßig von nur 5 % (55/1065) angewendet, bei Hochrisikopatienten immerhin von 39 % (414/1065).

Strahlenschutz

Bei Anwendung von Röntgenstrahlung wird von 92 % (979/1065) der Chirurgen ein Bleischutz getragen.

Ein Schilddrüsenschutz wird nur in 39 % (411/1065) routinemäßig verwendet.

Ein Dosimeter wird routinemäßig ebenfalls nur bei 40 % der Teilnehmer (427/1065) angewandt.

Eine regelmäßige Information über die individuelle Strahlenbelastung der Chirurgen erfolgt nur in 30 % (315/1065) der Fälle regelmäßig, in 14 % (149/1065) gelegentlich und in 48 % (507/1065) gar nicht.

Ergonomie

Die Höhe des Operationstisches wird routinemäßig in 52 % (553/1065) der Fälle und gelegentlich in 36 % (378/1065) an das höchste Mitglied des Operationsteams angepasst.

Fortbildung zu Schutzmaßnahmen

Insgesamt 39 % (415/1065) der teilnehmenden Chirurgen werden an ihrem Arbeitsplatz nicht regelmäßig in Bezug auf Schutzmaßnahmen geschult.

Diskussion

Das Thema Patientensicherheit steht seit einigen Jahren in der Chirurgie stark im Fokus, wohingegen über die Anwendung perioperativer Arbeitsschutzmaßnahmen von Chirurgen wenig bekannt ist. Gleichzeitig wird von der nachkommenden Ärztegeneration ein selbstgefährdendes Verhalten zunehmend negativ bewertet und die Chirurgie u. a. deshalb häufig als Fachgebiet abgelehnt. Um dieses Spannungsfeld näher zu untersuchen und Verbesserungspotenzial zu definieren wurde diese Studie aufgelegt. Die Teilnehmer dieser Studie sind hinsichtlich Alter, Ausbildungsstand und Krankenhausversorgungsstufe für die Chirurgen in Deutschland relativ repräsentativ. Lediglich die ambulant in der Praxis tätigen Chirurgen sind unterrepräsentiert.

Die Rücklaufquote liegt mit 21 % (1065 Teilnehmer) im überdurchschnittlichen Bereich für Onlinefragebögen. Die Datenerhebung erfolgte mit einem selbst entworfenen Onlinefragebogen inkl. subjektiver Selbsteinschätzung der Gesundheitsbelastung, um einen kurzen Zeitaufwand zum Ausfüllen zu ermöglichen und so eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erreichen. Letztlich wird die Aussagekraft der Studie durch diese Subjektivität der Selbsteinschätzung der Gesundheitsbelastung eingeschränkt. Retrospektiv betrachtet wäre eine skalierte objektivierbare Selbsteinschätzung belastbarer gewesen. Dennoch lassen sich aus der Studie zwei Kernaussagen ableiten:

  1. 1.

    Die subjektive Einschätzung der Gesundheitsbelastung durch den Lebensstil (private und berufliche Faktoren eingeschlossen) wird von vielen Teilnehmern (52 %) als erheblich eingeschätzt.

    Die Oberärzte und Chefärzte als operative Leistungsträger in der Krankenhaushierarchie sind durch lange Arbeitszeiten stärker belastet als Fachärzte und Assistenzärzte. Auch die Ärzte in Krankenhäusern der Grundversorgung und Universitätschirurgen arbeiten signifikant häufiger mehr als 10 h pro Tag als Chirurgen an Maximalversorgern. Immerhin 27 % der Teilnehmer geben an, regelmäßig Bereitschaftsdienstzeiten von > 24 h zu haben.

  2. 2.

    Die Anwendung perioperativer Arbeitsschutzmaßnahmen wird in deutschen Krankenhäusern heterogen und nicht stringent umgesetzt. Selbst einfache Arbeitssicherheitsmaßnahmen, wie das Tragen von Handschuhen bei der Patientenlagerung oder das Tragen von Schutzbrillen zur Protektion der Augenschleimhäute, werden nur von 69 % bzw. 39 % (selbst bei Hochrisikopatienten) der Teilnehmer angewandt.

Auch bei hoch gesundheitsrelevanten Arbeitssicherheitsmaßnahmen wie dem Strahlenschutz offenbaren sich in der vorliegenden Studie deutliche Mängel. Die rechtlichen Grundlagen hinsichtlich Strahlenschutz sind für Deutschland in der Strahlenschutzverordnung (StrSchV 2018) geregelt [9]. Schon durch die Erfahrungen mit den Atombombenexplosionen von Hiroshima und Nagasaki und dem GAU von Tschernobyl ist der Zusammenhang zwischen Strahlung und Krebsentwicklung hinlänglich bekannt [10]. Auch im medizinischen Bereich ist der Zusammenhang zwischen Krebsentwicklung und wiederholter Strahlenexposition für medizinisches Personal bewiesen:

Eine aktuelle Studie von El-Sayed et al. konnte eine akute DNA-Schädigung von Operateuren (biologischer Marker für Strahlenschäden) während und nach endovaskulären Aorteneingriffen nachweisen [11]. Rajaraman et al. konnten 2016 nachweisen, dass Radiologieassistenten mit regelmäßiger Exposition gegenüber niedrig dosierter Strahlung während Durchleuchtungsinterventionen ein erhöhtes Risiko für Gehirntumoren, Brustkrebs und Melanome aufweisen [12].

Dennoch tragen nur 92 % der Studienteilnehmer hier bei Strahlenexposition einen Bleischutz, 8 % tun dies nicht, und nur 39 % tragen einen Schilddrüsenschutz.

Die Pflicht zum Tragen eines Personendosimeters besteht in Bereichen, wo im Kalenderjahr eine effektive Dosis von 1 Millisievert, eine höhere Organäquivalentdosis als 15 Millisievert für die Augenlinse und eine lokale Hautdosis von 50 Millisievert erreicht werden (Strahlenschutzverordnung [StrlSchV] 2018; [9]). Dies trifft im gefäßchirurgischen Operationssaal mit hoher Frequenz an endovaskulären Eingriffen regelhaft zu. Dennoch verwenden hier nur 40 % der Operateure ein Dosimeter bei Strahlenexposition, obwohl es gesetzlich vorgeschrieben ist. Obwohl Görtz et al. zeigen konnten, dass bereits nach etwa 11 EVAR(„endovascular aortic repair“)-Prozeduren oder 28 Beckenangioplastien die maximale Linsendosis von 20 mSv/a erreicht wird und ein Katarakt droht [8], tragen hier nur 2 % der Teilnehmer regelmäßig eine Strahlenschutzbrille. Hier wurde jedoch nicht explizit nach der jeweiligen Operationsprozedur unterschieden. In 41 % der Häuser ist eine Strahlenschutzbrille gar nicht vorhanden. Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass eine regelmäßige Information über die individuelle Strahlenbelastung der Chirurgen nur in 30 % regelmäßig, in 14 % gelegentlich und in 48 % gar nicht erfolgt.

Dies spricht auch dafür, dass die bestellten Strahlenschutzbeauftragten der Kliniken ihre Funktion anscheinend nicht vollumfänglich wahrnehmen. Wünschenswert wäre, dass sie ihr Amt nicht „pro forma“ ausüben, sondern zur Information und Motivation der Mitarbeiter bezüglich des Strahlenschutzes nutzen sowie ihre Kontrollfunktion konstruktiv ausüben.

Die Adhärenz der teilnehmenden Chirurgen an Arbeitssicherheitsmaßnahmen scheint somit trotz relevanter, vielfach publizierter Gesundheitsrisiken im Gesundheitswesen gering. Gründe dafür könnten einerseits Unwissen oder auch Leichtfertigkeit der Arbeitnehmer sein. Andererseits kommen aber auch mangelhafte Bereitstellung von Schutzmaterialien durch den Arbeitgeber und mangelhafte Informations- und Fortbildungsangebote infrage.

Wirksamer als die Erhöhung der Kontrollfrequenzen sind hier vermutlich Schulungen und Motivationsprogramme [13,14,15,16]. Es gibt Bemühungen um einheitliche Empfehlungen wie z. B. die Aktion „Sicheres Krankenhaus“ der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften (www.sicheres-krankenhaus.de). Einzelne Aspekte wie Strahlenschutz sind auch gesetzlich reguliert (StrlSchV 2018; [9]). Dennoch fehlen in Deutschland aber weiterhin Leitlinien für konkrete Arbeitssicherheitsmaßnahmen im perioperativen Bereich. So liegt die Verantwortung für die Anwendung von Schutzmaßnahmen bei jedem einzelnen deutschen Chirurgen. Im Vergleich mit anderen Branchen scheint das Thema Arbeitssicherheitsmaßnahmen in der Chirurgie weiterhin unterentwickelt.

Auch in der Industrie zeigen sich zum Teil erstaunliche Defizite im Bereich Arbeitssicherheit. So zeigte eine DEKRA-Umfrage zum Arbeits- und Gesundheitsschutz durch forsa an 1000 Probanden (von 300 kleinen und mittelständischen Unternehmen aller Branchen), dass 41 % der befragten Beschäftigten in ihrem Betrieb Sicherheitsregeln und Vorschriften nicht oder nicht immer einhalten [17]. Jedoch sind Arbeitsschutzvorschriften in der Industrie in der Regel streng und werden auch regelmäßig kontrolliert. Je nach Branche differieren jedoch die Kontrollintervalle der Arbeitssicherheitsmaßnahmen nach Angaben der Bundesregierung teils erheblich mit im Durchschnitt 3,4 Jahren im Fahrzeugbau und 4,6 Jahren bei chemischen Betrieben bis hin zu 63,8 Jahren im Kredit- und Versicherungsgewerbe und mehr als 75 Jahren bei Datenverarbeitungs- und Fernmeldediensten [18].

Dennoch gibt es Vorreiterbranchen wie die Luftfahrt, die seit Jahrzehnten erfolgreich Arbeitssicherheit und deren Weiterentwicklung in den Fokus stellen. Auch die Industrieverbände und Versicherungsträger haben Handlungsbedarf erkannt und mit der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) schon 2007 eine auf Dauer angelegte konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern zur Stärkung von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ins Leben gerufen.

In Zusammenarbeit mit den Berufsgenossenschaften z. B. für Chemische Industrie und Rohstoffe werden zukunftsweisende und aktuelle Akzente gesetzt. So werden hier unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ Chancen und Risiken für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit durch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung in der Produktion, der Logistik sowie im Transport in einem Handlungspapier dargestellt und auch konkrete Handlungsvorschläge erarbeitet [19]. Zunehmende psychische Belastungen und Risiken durch die Digitalisierung werden hier ebenfalls explizit adressiert.

To-dos

Das Thema Arbeitssicherheit in der Chirurgie muss an die sich rapide verändernde Arbeitswelt mit zunehmender Digitalisierung und technischer Innovation angepasst werden [19]. Hierzu sind verbindliche Vorgaben durch konkrete Handlungsanweisungen in bestimmten Situationen (Verhalten bei Nadelstichverletzung, Schutzkleidung bei Operationen mit Strahlenbelastung …) klinikintern oder durch Fachgesellschaften wünschenswert. Die teils erhebliche physische und psychische Belastung durch die Digitalisierung [20] und Bildschirmarbeit [17] und damit verbundene Unsicherheiten sollten insbesondere im Gesundheitswesen in Studien untersucht werden.

Die Eigenverantwortung bei der Erlernung und Umsetzung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen ist zu fördern, jedoch kann dies kein Abschieben der Verantwortung für den Arbeitsschutz vom Arbeitgeber auf den einzelnen Mitarbeiter bedeuten [19, 21]. Eine breite Akzeptanz finden Handlungsanweisungen nur, wenn das Team diese sinnvoll mitgestalten kann, ein Bewusstsein für die eigene „individuelle Gesundheitskompetenz“ entwickelt und diese auch an andere Mitarbeiter weitergibt [21]. Die Akzeptanz und Umsetzung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen kann möglicherweise durch interaktive Schulungen und innovative Motivationsprogramme erhöht werden [13,14,15,16,17]. Einen konkreten, einfach umzusetzenden und zudem evidenzbasierten Beitrag zur individuellen Gesunderhaltung im intellektuell und körperlich anspruchsvollen Chirurgenalltag kann z. B die Integration von Mirkopausen und Mikrostretching während langer Operationen leisten [22,23,24,25]. Strengere Kontrollmechanismen können bei Handlungen mit hohem Schädigungspotential wie beim Strahlenschutz sinnvoll sein. Maßgeblich für die Umsetzung und Akzeptanz von Arbeitssicherheitsmaßnahmen wird jedoch sein, dass die Leitungsebene und anerkannte Mitarbeiter eine „individuelle Gesundheitskompetenz“ vorleben und so mit gutem Beispiel vorangehen.

Fazit für die Praxis

  • Die Anwendung perioperativer Arbeitssicherheitsmaßnahmen wird in deutschen Krankenhäusern nicht stringent umgesetzt, es besteht Verbesserungsbedarf.

  • Ein zunehmendes Bewusstsein für gesundheitsförderndes Verhalten könnte sich positiv auf die Sicherheit von Chirurgen und letztlich auch die Patienten auswirken.

  • So würden auch die Ärzte ihrer Vorbildfunktion für die gesundheitsbewusste Generation Z der jungen Ärzte gerecht, und das Berufsbild Chirurg könnte an Attraktivität gewinnen.