Die Weltgesundheitsorganisation hat Adipositas als eigenständige chronische Erkrankung anerkannt und in der Internationalen statistischen Klassifikation von Krankheiten als Diagnose hinterlegt. Der Krankheitswert der Adipositas liegt in der assoziierten Morbidität, die je nach Schweregrad, Prävalenzdauer und individueller Veranlagung gehäuft auftritt.

Da konservative Therapieversuche in der Behandlung der morbiden Adipositas meist scheitern, ist für den individuellen Patienten die bariatrische Chirurgie derzeit oftmals die einzige Therapiemodalität, die nachgewiesen zu einem enormen Zugewinn an Lebensqualität, Funktionalität, Verbesserung der Begleitmorbidität und Verlängerung des Überlebens führt.

Mittlerweile stellt die metabolische/bariatrische Chirurgie aufgrund ihrer in prospektiv randomisierten klinischen Studien nachgewiesenen Wirksamkeit einen anerkannten Teil der etablierten und evidenzbasierten Hochleistungsmedizin in vielen Ländern da.

In Deutschland besteht ein deutliches Akzeptanzdefizit

In Deutschland besteht hingegen ein deutliches Akzeptanzdefizit. Dies ist zum einen durch die sozioökonomische Relevanz mit einer drohenden Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu erklären. Derzeit werden in Deutschland ca. 12.000 metabolische/bariatrische Operationen pro Jahr bei einer Prävalenz von aktuell bis zu 4 Mio. Patienten mit gegebener Operationsindikation durchgeführt. Aufgrund der hohen Prävalenz kann die metabolische/bariatrische Chirurgie das sozioökonomische Problem der pandemieartigen Adipositas nicht lösen. Hier sind die Implementierung weitreichender präventiver Konzepte einerseits und die Entwicklung wirksamer konservativer Therapien andererseits notwendig.

Zum anderen sind die Themen Adipositas und insbesondere die metabolische/bariatrische Chirurgie aufgrund unzureichender Kenntnis auch auf ärztlicher Seite negativ belegt und werden stigmatisiert. Dieses Spannungsfeld „Akzeptanz/Kenntnis vs. Stigma“ wird in diesem Themenheft von Jung et al. differenziert beleuchtet. So gilt die Entscheidung zur bariatrischen Operation oftmals als „Versagen“, „nicht selbst geschafft“ und „einfache Alternative“. Die Eingriffe werden oftmals noch als eine schwere, hochrisikoreiche und nicht rückgängig zu machende Intervention an gesunden Organen angesehen.

Ärzte sollten bariatrische Chirurgie selbstbewusst im Sinne ihrer Patienten vertreten

Im Zuge der Qualitätsoffensive der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) wird die metabolische/bariatrische Chirurgie mit der Zertifizierung geeigneter Zentren, einer kontinuierlichen und verpflichtenden Qualitätssicherung (durch Eingabe in das nationale Register [StuDoQ]) und Festlegung geeigneter Qualitätsindikatoren stetig evaluierend begleitet. So werden die Operationen heute standardisiert in vielen Zentren mit niedriger perioperativer Morbidität und Letalität in Schlüsselloch-Technik durchgeführt.

Nach heutigem Wissensstand sollten Chirurgen die derzeit oftmals alternativlose metabolische/bariatrische Chirurgie selbstbewusst im Sinne ihrer Patienten vertreten, jedoch die Ergebnisse und die Vor- und Nachteile der zur Verfügung stehenden Verfahren kennen und stets kritisch betrachten. In diesem Themenheft werden daher zwei der drei am häufigsten durchgeführten bariatrischen Verfahren, die Sleeve-Gastrektomie und der Omega-Loop-Bypass von Dietrich et al. respektive von Chiappetta et al. kritisch diskutiert.

Elementar scheint eine vom Body-Mass-Index unabhängige mehrdimensionale Betrachtung des Schweregrades der Adipositas zu sein. Entsprechend sind Patienten mit relevanten Begleiterkrankungen priorisiert zu therapieren und das möglichst bevor Endorganschäden vorliegen, die zum einen das perioperative Risiko erhöhen und zum anderen – zumindest teilweise – nicht mehr reversibel sind. Diese mehrdimensionale und nicht rein auf den Gewichtsverlust fokussierte Betrachtung sollte auch zur Definition eines ausreichenden Therapieerfolges herangezogen werden. Dieses Spannungsfeld „Evidenz und Erwartungshaltung“ wird von Hering et al. beleuchtet. Hohe unrealistische und primär auf das Gewicht bezogene Erwartungshaltungen sind nicht selten und können zu Enttäuschungen und einem schlechten Outcome führen. Redundanzen und eine stringente im Team gleichgerichtete empathische Kommunikation können hingegen die Therapieadhärenz, die Erwartungshaltung und so das Outcome verbessern.

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Prof. Dr. Christoph T. Germer

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PD Dr. Florian Seyfried