Im Allgemeinen werden mit dem Begriff „Frühkarzinom“ solche Malignome bezeichnet, die durch ihre lokal begrenzte Tumorausdehnung ein in seiner Radikalität angepasstes chirurgisches Verfahren ermöglichen und so, bei gleich guten Heilungschancen, mit einer geringeren Morbidität einhergehen. Der Begriff „früh“ sollte dabei jedoch nicht zwingend in einem chronologischen Sinn verstanden werden. Die Latenzzeit zwischen der Ausbildung des „Frühkarzinoms“ und der Diagnose kann nicht selten Jahre betragen. Auf der anderen Seite zeigen molekulare Analysen z. B. des Adenokarzinoms des Magens, dass treibende Mutationen (z. B. TP53, APC, PIK3CA, ARID1A und KRAS) bereits im Stadium des „Frühkarzinoms“ in gleicher Häufigkeit wie bei metastasierten Karzinomen gefunden werden können und somit die Transitionszeit nicht sicher abzuschätzen ist. Daher ist es nicht nur entscheidend, die therapeutischen Optionen zu definieren, sondern auch die Diagnostik dahingehend zu optimieren, dass die Diagnose im Stadium „Frühkarzinom“ erfolgen kann.

Tatsächlich ist bei verschiedenen nichtviszeralchirurgischen endokrinen Malignomen das Konzept eines Frühkarzinoms bereits etabliert. Bei der Brust handelt es sich um das duktale Carcinoma in situ (DCIS), das sich durch die Respektierung der Basalmembran des Milchgangs auszeichnet. Ab einer Größe von 2 cm treten bei dieser endokrinen Tumorentität gehäuft invasive Bereiche auf, sodass hier tatsächlich eine Korrelation zwischen Größe und Aggressivität zu sehen ist.

Die Tumorgröße ist sicher auch bei anderen Frühkarzinomen ein definierender Faktor. Das auf die Mukosa begrenzte Frühkarzinom des Magens erfüllt die Leitlinienkriterien für eine endoskopische Resektion. Am Beispiel des Frühkarzinoms des Magens zeigt sich jedoch exemplarisch, dass neben dem definierenden Merkmal (i. e. auf die Mukosa begrenzt) und der Tumorgröße noch weitere Faktoren wie z. B. Ulzerationen mitentscheiden, ob das Standardverfahren der Operation zugunsten eines weniger radikalen Verfahrens verlassen werden darf.

„Active surveillance“ kann Bestandteil der therapeutischen Optionen sein

Frau Professor Weber und Kollegen greifen diese Frage in der Arbeit „Chirurgie papillärer Mikrokarzinome der Schilddrüse“ (PTMC) auf (Weber, Peth, Hummel). Anschaulich werden die aktuellen Entwicklungen bei der Therapiekonzeption von Patienten mit PTMC dargestellt. In der Arbeit werden anhand der aktuellen Datenlage das „Frühkarzinom“ der Schilddrüse definiert, die Möglichkeiten der weniger radikalen Operation dargelegt und Risikofaktoren für einen aggressiveren Verlauf dieses sonst eher indolenten Tumors aufgezeigt. Darüber hinaus wird diskutiert, ob die operative Intervention per se erforderlich ist oder zugunsten einer aktiven Überwachung verlassen werden darf. Die Notwendigkeit der Operation wird auch bei anderen nichtviszeralchirurgischen endokrinen Frühkarzinomen hinterfragt. Der Prostate Cancer Intervention versus Observation Trial (PIVOT) hat eindrücklich gezeigt, dass im Stadium uT1-2NxM0 die aktive Überwachung einer sofortigen radikalen Prostatektomie bez. des Sterberisikos gleichwertig ist.

Während auch bei kleinen, hormonell aktiven neuroendokrinen Tumoren des Pankreas (Pan-NET) die Bandbreite der minimal-invasiven und offenen Techniken der Pankreasresektionen zum Tragen kommt, umfassen die Therapiealgorithmen der kleinen nichtaktiven Pan-NETs auch die aktive Überwachung. Es wird klar, dass für die Frühkarzinome der Schilddrüse und des Pan-NET im Spannungsfeld zwischen operativer Versorgung und „active survaillance“ besondere Anforderungen an die Struktur der aktiven Überwachung gestellt werden muss (Weber et al., Holzer).

Frau Professor Holzer stellt in ihrem Beitrag zu den kleinen Pan-NET die ganze Komplexität der Therapiealgorithmen in der Behandlung von „Frühkarzinomen“ dar (Holzer). Letztendlich zeigt sich, dass ähnlich wie bei anderen Frühkarzinomen, es nicht um die Frage für oder gegen eine Therapie geht, sondern um eine individualisierte Behandlungsstrategie, bei der Größe alleine nicht als einziges Kriterium gewertet werden darf.

Das „Frühkarzinom“ wird nicht zwingend durch die Tumorgröße bestimmt

Analog zu anderen Frühkarzinomen (z. B. das Adenokarzinom des Rektum) muss bei den Frühkarzinomen der endokrinen Organe auch die Notwendigkeit einer systematischen Lymphadenektomie und somit eines histopathologischen Stagings diskutiert werden. Während bei den Nebennierenrindenkarzinomen (ACC) aufgrund der anatomischen Lokalisation Lymphknotenmetastasen eher selten sind und so eine radikale systematische Lymphadenektomie keinen bewiesenen Nutzen bringt, zeigt das Beispiel des neuroendokrinen Tumors des Dünndarms (SI-NET), dass selbst bei kleinstem Primarius eine systematische Lymphadenektomie sinnvoll ist (Weber, Dralle).

Das ACC ist eine seltene und hochaggressive Tumorentität. Selbst nach vollständiger Tumorresektion liegt das mittlere Überleben bei etwa 4 Jahren (Rayes, Quinkler, Deneke). Frau Professor Rayes und Kollegen befassen sich mit der spannenden Frage, ob bei einem so hochmaligen Tumor das Konzept eines „Frühkarzinoms“ überhaupt gegeben sein kann. Die Besonderheit beim ACC liegt nicht zuletzt darin, dass eine präoperative Abgrenzung zu den gutartigen Nebennierentumoren und Inzidentalomen nicht sicher möglich ist. Neben dem Alter als Risikofaktor zeigen die in dieser Übersicht präsentierten Daten aus der EURINE-ACT-Studie, dass der Anteil des ACC bei <4 cm messenden Inzidentalomen unter 1 % liegt. Dargelegt wird auch der Stellenwert der minimal-invasiven Operationsverfahren, die nach aktueller Studienlage auch bei größeren Tumoren angewendet werden können, bei kleinen Tumoren und jungen Patienten aber sicherlich die Therapieoption der ersten Wahl darstellen.

Die Kollegen Ploenes und Aigner geben uns schließlich einen Einblick in die Behandlungsstrategien einer weiteren sehr seltenen endokrinen Tumorentität, den neuroendokrinen Tumoren der Lunge (Ploenes, Aigner). Es wird aufgezeigt, dass das „Frühkarzinom“ auch hier nicht zwingend durch die Tumorgröße bestimmt wird. Die histopathologische Einteilung in das typisches Karzinoid, atypisches Karzinoid sowie „large-cell neuroendocrine carcinoma“ und „small-cell neuroendcrine carcinoma“ impliziert ganz spezifische operative und therapeutische Konzepte. Bei den oft zentral sitzenden Karzinoiden ermöglicht die parenchymsparende Resektion, Lebensqualität zu erhalten.

Das aktuelle Themenheft befasst sich mit der spannenden Frage, inwieweit sich bei den verschiedenen endokrinen Malignomen das Konzept eines „Frühkarzinoms“ definieren lässt. Es zeigt sich, dass dies nicht zwingend durch die Tumorgröße allein erfolgt, sondern auch andere Faktoren wie Histopathologie oder Hormonaktivität, aber auch das Alter bei der Risikoeinstufung eine Rolle spielen. In ihrer Radikalität eingeschränkte Verfahren bis hin zur aktiven Überwachung spielen vor allem bei dem Frühkarzinom der Schilddrüse, aber auch den Pan-NET eine Rolle. Letztendlich zeigt sich jedoch, dass bei den insgesamt seltenen endokrinen Malignomen vor allem die Möglichkeiten der frühzeitigen Diagnose verbessert werden muss, um tatsächlich die Therapie im Stadium des Frühkarzinoms einleiten zu können.

figure a

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Henning Dralle

figure b

PD Dr. Frank Weber