Mit dem „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ wurden im März 2017 in Deutschland Cannabisarzneimittel grundsätzlich allen Patientinnen und Patienten für medizinische Zwecke zugänglich gemacht. Maßgeblich hierfür waren nicht neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur medizinischen Anwendung von Cannabis, sondern Entscheidungen von obersten Gerichten, wie dem einleitenden Artikel zur Vorgeschichte des Gesetzes zu entnehmen ist. Erstmals können nun Cannabisarzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschrieben werden, auch wenn diese arzneimittelrechtlich nicht als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ein Systembruch.

Eine reproduzierbare pharmazeutische Qualität ist die Voraussetzung für eine sichere Versorgung mit Cannabisarzneimitteln. Cannabisblüten müssen ebenso wie andere pflanzliche Drogen und Extrakte als pharmazeutische Ausgangsstoffe, die zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden, eine geeignete pharmazeutische Qualität aufweisen. Entsprechende Qualitätsnormen werden in den Einzelmonografien des Deutschen Arzneibuchs (DAB) beschrieben. In seinem Beitrag stellt D. Manns die Entwicklung der Cannabisblüten-Monografie für das DAB dar und berichtet über den Entwicklungstand von Monografien für das Europäische Arzneibuch.

Über die Monografien der Arzneibücher hinaus gibt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im Deutschen Arzneimittel-Codex/Neues Rezeptur-Formularium sowohl Monographien für die Qualität cannabinoidhaltiger Ausgangsstoffe als auch Rezepturvorschriften heraus, wie A. Kiefer in seinem Artikel darlegt. Darin werden die Herausforderungen für die Ärzteschaft bei der Ausstellung von Rezepten zu Cannabisextrakten und -blüten ebenso deutlich wie die Anforderungen an die Apotheke bei der Prüfung der pharmazeutischen Qualität von Ausgangsstoffen und der Herstellung standardisierter Rezepturarzneimittel, die für eine adäquate Patientenversorgung unerlässlich sind.

Im Jahr 1964 gelang erstmals die Isolierung von ∆‑9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, die insgesamt weit mehr als 500 Einzelstoffe enthält. Nach der Entdeckung des Endocannabinoidsystems Ende der 1980er Jahre weitete sich die Forschung aus. Den aktuellen Forschungsstand zu den Cannabinoidrezeptoren gibt der Beitrag von C. E. Müller wieder.

Auf den Systembruch in der medizinischen Versorgung mit Cannabisarzneimitteln haben wir bereits hingewiesen. Umso wichtiger ist es, wissenschaftliche Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit zusammenzutragen, wie es u. a. in dem Forschungsprojekt „Cannabis: Potenzial und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse“ (CaPRis) geschehen ist. In ihrem Beitrag stellt E. Hoch die Ergebnisse zur medizinischen Anwendung dar. Dabei stehen die Anwendungsgebiete Schmerz, Spastik bei Multipler Sklerose, Übelkeit und Appetitlosigkeit im Vordergrund, wobei die Effekte oft nur klein waren.

Da sich chronische Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Gewichtsabnahme häufig bei Tumorpatienten finden, liegt hier die Anwendung von Cannabisarzneimitteln nahe. Allerdings lässt sich aus der bisher verfügbaren Literatur keine klare Empfehlung hierzu ableiten. So kommt auch T. Rasche in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass ein Therapieversuch mit Cannabinoiden bei Tumorschmerzen und zur Gewichtssteigerung nur erwogen werden sollte, wenn andere Therapien nicht ausreichend wirksam sind.

Die Therapie von Schmerzen steht bei der Anwendung von Cannabisarzneimitteln im Vordergrund. Dies war schon bei den Patientinnen und Patienten der Fall, die bis Anfang 2017 im Besitz einer Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie waren. Nach der Gesetzesänderung werden mehr als zwei Drittel der Verschreibungen von Cannabisarzneimitteln für Schmerzpatienten ausgestellt. Was fehlt, sind randomisierte und kontrollierte Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit. Den aktuellen Stand und die Schwierigkeiten bei der Interpretation von Studienergebnissen stellt W. Häuser in seinem Artikel dar.

Mit der bis zum 31.03.2022 laufenden Begleiterhebung sammelt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun erstmals systematisch Daten zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln. Erste Zwischenergebnisse enthält der Beitrag von G. Schmidt-Wolf. Eine solche Erhebung kann klinische Studien nicht ersetzen, und doch liefert sie Hinweise, worauf bei der Verwendung von Cannabisarzneimitteln besonders zu achten ist und in welchen Therapiegebieten am ehesten mit positiven Effekten zu rechnen ist. Die sehr häufig auftretenden Nebenwirkungen dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Da viele der unerwünschten Effekte die Vigilanz betreffen, müssen Patientinnen und Patienten unbedingt auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen werden.

Weltweit zeigt sich eine sehr dynamische Entwicklung hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen zu Cannabisarzneimitteln zur medizinischen Verwendung. Das wird im abschließenden Artikel dieses Themenheftes deutlich, der insbesondere auf die Situation in den Niederlanden eingeht.

Diese Dynamik hat nicht nur die Anwendung von Cannabis in der Medizin erfasst. Auch die Verwendung als Genussmittel findet statt. Kanada beispielsweise hat Ende 2018 Cannabis als Genussmittel legalisiert. Eine Entwicklung, die wir mit Sorge betrachten. Und das nicht nur, weil die Legalisierung gegen das weltweit anerkannte Einheits-Übereinkommen zu Betäubungsmitteln verstößt. Doch hierzu würde es eines weiteren Themenheftes zu Cannabis als Genussmittel bedürfen.

Zunächst gilt es, die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen, die derzeit auf Cannabisarzneimittel angewiesen sind. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die im BfArM angesiedelte Cannabisagentur. In den Tagen der Entstehung dieses Editorials konnte das BfArM die noch ausstehenden Aufträge für den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland erteilen. Ein Meilenstein zur sicheren Patientenversorgung und zur Reduzierung der Abhängigkeit von Cannabisimporten.

Bei allen Anstrengungen, die nach Inkrafttreten des o. g. Gesetzes unternommen wurden, um Cannabisarzneimittel verfügbar zu machen, sollte aus der fachlichen Sicht ein Ziel nicht aus den Augen verloren werden: Die Versorgung von Patientinnen und Patienten muss mittelfristig mit geprüften und arzneimittelrechtlich zugelassenen Fertigarzneimitteln erfolgen.

Wir freuen uns, wenn das vorliegende Themenheft dazu beiträgt, sachgerechte Information zu verbreiten und die fachliche Diskussion zu Cannabis als Medizin anzuregen.

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Dr. Peter Cremer-Schaeffer

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Prof. Dr. Werner Knöss