Zusammenfassung
In Österreich lässt sich ein stetiges Wachstum der gemeinschaftlichen gesundheitsbezogenen Selbsthilfe beobachten. Selbsthilfeorganisationen stellen vermehrt Ansprüche, als Partner von Gesundheitseinrichtungen akzeptiert und in politische Entscheidungen eingebunden zu werden.
In der Praxis hat das „Selbsthilfefreundliche Krankenhaus“ weite Verbreitung gefunden. Forschungsergebnisse belegen aber, dass Selbsthilfeorganisationen ihre Interessenvertretungsaktivitäten als wenig erfolgreich einschätzen, obgleich einzelne Zugang zu gesundheitspolitischen Beratungs- und Entscheidungsgremien erlangt haben.
Insbesondere auf Bundesebene mangelt es bislang an einer systematischen öffentlichen Förderung für Selbsthilfeorganisationen und an günstigen Rahmenbedingungen für kollektive Patientenbeteiligung.
Diese Lücke wird durch eine aktuelle Initiative der Sozialversicherung in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Gesundheitsförderungsagentur adressiert. Gemeinsam mit Selbsthilfevertretern wurde ein systematischer Ansatz zur öffentlichen Förderung der Selbsthilfe – insbesondere von Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene – erarbeitet. Er sieht die finanzielle Förderung der Aktivitäten von Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen auf Landes- und Bundesebene und die Etablierung zweier neuer Organisationen vor: eines Zusammenschlusses bundesweiter Selbsthilfeorganisationen („Bundesverband Selbsthilfe Österreich“) sowie einer Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe (ÖKUSS) mit Fokus auf die Unterstützung von bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen.
Die Umsetzung des neuen Förderkonzepts bietet die Chance auf mehr Kooperation zwischen Fördergebern und Selbsthilfe, vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich und den Angeboten von ÖKUSS sollen neue Impulse für kollektive Patientenbeteiligung ausgehen.
Abstract
In Austria, health-related self-help groups and organisations have been growing continuously over the past decades. They are increasingly demanding to be accepted as partners of the professional health system and to be involved in health policy decisions.
Practice shows that “self-help friendly hospitals” are widespread in Austria. Although some self-help groups/organisations have gained access to health policy committees, research indicates that they find the system unresponsive to their interests. Public support for self-help organisations is particularly lacking at the national level as are conducive conditions for collective patient participation.
A recent initiative by the Social Health Insurance Funds, the Ministry of Health and the National Health Promotion Agency seeks to tackle these problems. A plan for public support of self-help groups/organisations, primarily those operating at the national level, has been developed in collaboration with representatives of self-help organisations. It provides financial support for the activities of indication-specific self-help organisations at regional and national levels aiming at strengthening their autonomy. In addition, two institutions were founded: an umbrella organisation of indication-specific self-help organisations and a professional national support agency. The implementation of the new concept offers opportunities for closer cooperation between system stakeholders and self-help groups/organisations, and a new stimulus for patient participation is expected from these two new institutions.
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Interessenkonflikt
R. Forster wurde vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger zur Beratung der Konzepterstellung zur öffentlichen Förderung der Selbsthilfe beigezogen. D. Rojatz ist Mitarbeiterin der Österreichischen Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe und unterstützte die Entwicklung des Konzepts zur öffentlichen Förderung der Selbsthilfe durch die Durchführung der Bestands- und Bedarfserhebung 2017 [10] und die Teilnahme am partizipativen Entwicklungsprozess.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Forster, R., Rojatz, D. Gemeinschaftliche Selbsthilfe und Patientenbeteiligung: aktuelle Entwicklungen in Österreich. Bundesgesundheitsbl 62, 56–63 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2852-6
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