Einleitung

Öffentlich stillende Mütter standen in den letzten Jahren verstärkt im Fokus kontroverser gesellschaftlicher Diskussionen und medialer Berichterstattung [1,2,3]. So wurde in den Medien mehrfach darüber berichtet, dass stillende Mütter in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stießen und ihnen das Stillen beispielsweise in Cafés oder Restaurants untersagt wurde. Auch international sorgten Politikerinnen durch das Stillen im Parlament für Schlagzeilen, wie zum Beispiel in Island 2016 oder Australien 2017 [4, 5]. Die mediale Aufmerksamkeit, die solche Begebenheiten auch heute noch auf sich ziehen, zeigt, dass öffentliches Stillen im Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint.

Angesichts der unstrittigen gesundheitlichen Vorteile des Stillens für Mutter und Kind [6] setzen sich Gesundheitsorganisationen und Gremien wie die Nationale Stillkommission dafür ein, dass Stillen in der öffentlichen Wahrnehmung stärker als Normalität verankert wird. Hierdurch könnten Hemmnisse für stillende Mütter beseitigt und das Stillen insgesamt gefördert werden [7,8,9]. Weltweit initiierten verschiedene Institutionen in diesem Bestreben Kampagnen zur Akzeptanzerhöhung und Stillförderung. Beispielsweise startete die Australian Breastfeeding Association (ABA) das groß angelegte Programm „Breastfeeding Welcome Here“ [10, 11]. Dort konnten verschiedene Einrichtungen wie Cafés, Friseurläden oder Bibliotheken einen Aufkleber mit der Aufschrift „Breastfeeding Welcome Here“ erhalten, um öffentlich anzuzeigen, dass sie das Stillen in ihren Räumlichkeiten begrüßen [11]. In anderen Ländern, wie Großbritannien, Irland, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika gab es ähnliche Kampagnen und Initiativen zur Akzeptanzerhöhung [12,13,14]. Auch in den sozialen Medien wird zunehmend um mehr Akzeptanz im Hinblick auf öffentliches Stillen geworben. Bekannt wurde das Hashtag „#brelfie“ (ein Wortspiel aus „Breastfeeding“ und „Selfie“). Mütter veröffentlichen hier Fotos von sich während des Stillens, um Solidarität mit anderen stillenden Müttern zu zeigen und ein gesellschaftliches Umdenken im Hinblick auf öffentliches Stillen voranzutreiben [15].

Gesellschaftlich definierte Normen und Wahrnehmungsmuster beeinflussen nicht nur die Reaktionen der Allgemeinbevölkerung auf öffentliches Stillen, sondern können auch Einstellungen junger Frauen zum Stillen prägen [16]. Eine vergleichende Studie in vier europäischen Ländern kam zu dem Schluss, dass wahrgenommene soziale Normen sich signifikant auf die Stillraten und die Stilldauer auswirken [17]. Die Wahrnehmung, dass öffentliches Stillen gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, könnte demnach die Stilldauer negativ beeinflussen. Neben grundsätzlichen Einstellungen der Frauen zum Stillen spielt auch die Akzeptanz innerhalb der näheren Verwandtschaft eine entscheidende Rolle [18]. Ein häufig kontrovers diskutiertes Thema rund um das Stillen in der Öffentlichkeit ist die damit einhergehende Entblößung der weiblichen Brust. Die Zwiespältigkeit liegt unter anderem darin begründet, dass die Brust der Frau in unserer Gesellschaft vornehmlich als sexueller Reiz dargestellt und wahrgenommen wird, wodurch ihre Funktion als Nahrungsquelle für Säuglinge in den Hintergrund tritt [16, 19, 20].

Da bislang für Deutschland keine wissenschaftlichen Daten zu diesem Thema vorliegen, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Studie untersucht, welche grundsätzlichen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Stillen in der Öffentlichkeit vorherrschen und in welchem Umfang Mütter negative Erfahrungen beim Stillen in der Öffentlichkeit machen. Hierbei umfasst das Stillen in der Öffentlichkeit jegliches Stillen, das in öffentlichen Räumen stattfindet, d. h. einerseits das Stillen vor anderen Menschen in öffentlichen Räumen, aber andererseits auch das Stillen in dafür vorgesehenen oder geschützten Räumen in der Öffentlichkeit.

Zu den zentralen Fragestellungen des Themas zählen, inwiefern die eingangs beschriebene Medienberichterstattung von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zur Kenntnis genommen wird, welche Stillorte einerseits von der Öffentlichkeit und andererseits den stillenden Müttern als angemessen oder unangebracht angesehen werden und ob Wissen über die Vorteile des Stillens mit einer größeren Akzeptanz von öffentlichem Stillen einhergeht. Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Studie war es hierbei, nicht nur die öffentliche Wahrnehmung zu skizzieren, sondern diese auch mit den Einstellungen und Erfahrungen der betroffenen Bevölkerungsgruppe (Mütter von Kindern bis zwei Jahre) zu vergleichen. Durch diese Studie werden aktuelle Daten zur Wahrnehmung und Akzeptanz von öffentlichem Stillen in Deutschland vorgelegt und der differenzierte Bedarf an Maßnahmen zur Beseitigung möglicher Stillhemmnisse infolge fehlender Akzeptanz ermittelt.

Methode

Stichprobe und Durchführung

Um festzustellen, wie öffentliches Stillen in Deutschland wahrgenommen wird, wurden 1309 Personen mittels computergestützter Onlineinterviews (kurz CAWI-Methode, nach der englischen Bezeichnung „computer-assisted web interviewing“; [21]) von einem Marktforschungsinstitut im Auftrag des BfR zum Thema Stillen in der Öffentlichkeit befragt. Die Stichprobe gliederte sich in zwei Gruppen, zum einen deutschsprachige Personen ab einem Alter von 14 Jahren (die sogenannte Bevölkerungsstichprobe mit 1003 Befragten) und zum anderen deutschsprachige Mütter, deren jüngstes Kind nicht älter als zwei Jahre ist (306 Befragte). Die zweite Gruppe umfasste somit Frauen, die aufgrund des Alters ihres jüngsten Kindes stillen oder bis vor Kurzem gestillt haben könnten. Aufgrund des gewählten Stichprobenumfangs lag die statistische Fehlertoleranz der Ergebnisse in der Bevölkerungsstichprobe bei maximal ±3 Prozentpunkten und in der Stichprobe der Mütter mit Kindern bis zwei Jahre bei maximal ±6 Prozentpunkten. Die Angaben zur statistischen Fehlertoleranz beziehen sich auf eine Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 % bei einem ermittelten Anteilswert von 50 % in der Stichprobe.

Die Onlinebefragung war panelbasiert [22] und wurde im Zeitraum vom 09.–18.09.2016 durchgeführt. Die durchschnittliche Dauer der Befragung betrug etwa 20 min. Aufgrund des Bestrebens, einen ausreichenden Anteil älterer Personen (>60 Jahre) für die Befragung zu rekrutieren, wurde keine obere Altersgrenze festgelegt. Die Onlinestichprobe beschränkte sich auf Internetnutzer.

Fragebogen

Die Befragung richtete sich auf Einstellungen, Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit der Thematik Stillen in der Öffentlichkeit. Die an die Mütter mit Kindern bis zwei Jahre gerichteten Fragen sind in Tab. 1 aufgeführt, die an die Bevölkerungsstichprobe gerichteten Fragen in Tab. 2. Beide Gruppen wurden zu ihren Einstellungen und der Akzeptanz von öffentlichem Stillen (Fragen M3.1–M3.2 und B3.1–B3.4), zum Wissen über die Vorteile des Stillens (Fragen M4.1 und B4.1) und zur Wahrnehmung von kontroversen Medienberichten (Fragen M5.1 und B5.1) befragt. Die Gruppe der Mütter erhielt zudem weiterführende Fragen zu Stillpraktiken, Erfahrungen beim öffentlichen Stillen und spezifischem Vermeidungsverhalten (Fragen M1.1–M1.4 und M2.1–M2.2). In der Bevölkerungsstichprobe wurde zusätzlich gefragt, wie häufig und an welchen Orten in den letzten 12 Monaten Stillende in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden (Fragen B1.1–B1.2) und welche Orte als angemessene oder unangebrachte Stillorte empfunden werden (Fragen B2.1–B2.2).

Tab. 1 Übersicht der Fragen und Antwortkategorien in der Stichprobe der Mütter mit Kindern bis zwei Jahre
Tab. 2 Übersicht der Fragen und Antwortkategorien in der Bevölkerungsstichprobe

Demografische Informationen

Um Gruppenunterschiede anhand von demografischen Charakteristiken zu berücksichtigen, wurden zudem Informationen zu Alter, Geschlecht, Bildungsstand sowie Anzahl und Alter von Kindern erhoben. Darüber hinaus wurden regionale Angaben erfasst, wie die Einwohnerzahl des Wohnortes der Befragten (unter 5000, 5000 bis unter 20.000, 20.000 bis unter 50.000, ab 50.000) und das Bundesland, in dem die Befragten wohnen.

Allgemeine Hinweise zur Auswertung

Die Datenaufbereitung und Analyse wurde mit der Statistiksoftware SPSS (Version 21, IBM, Armonk, NY, USA) durchgeführt und umfasste gängige Konsistenz- und Plausibilitätskontrollen. Für kategorische Variablen wurden statistische Unterschiede anhand von χ2-Tests ermittelt. Bei korrelativen Auswertungen wurde je nach Voraussetzung Spearmans Rho oder Pearsons r als Korrelationskoeffizient herangezogen. Als Signifikanzniveau diente jeweils ein p-Wert von 0,05.

Überwiegend bestand die Befragung aus geschlossenen Fragen. Bei offenen Fragen wurden die wörtlichen Antworten anhand übereinstimmender Merkmale in übergeordnete Antwortkategorien codiert. Wörtliche Antworten der Befragten sind jeweils beispielhaft aufgeführt.

Ergebnisse

Die Charakteristika der beiden Stichproben anhand demografischer Faktoren sind in Tab. 3 aufgeführt.

Tab. 3 Demografische Angaben zu den beiden Befragtengruppen

Stillpraktiken und Erfahrungen von Müttern mit Kindern bis zwei Jahre

Die überwiegende Mehrheit (87 %) der 306 befragten Mütter mit Kindern bis zwei Jahre gab an, dass das Kind aktuell gestillt wird oder in der Vergangenheit gestillt wurde. Von diesen Müttern stillen oder stillten 65 % ihr Kind auch unterwegs an öffentlichen Orten, also in Gegenwart ihnen unbekannter Menschen (32 % häufig und 33 % gelegentlich). 32 % der stillenden Frauen gaben an, nie öffentlich zu stillen. Frauen mit einem höheren Bildungsstand und aus bevölkerungsreichen Regionen (ab 50.000 Einwohner) gaben im Vergleich zu Frauen mit niedrigem bis mittlerem Bildungsstand oder aus Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte (unter 5000 Einwohner) häufiger an, dass sie zumindest gelegentlich öffentlich stillen (p < 0,05; Bildungsstand und Bevölkerungsdichte waren positiv korreliert mit r = 0,16, p < 0,05). Frauen, die öffentlich stillen oder gestillt haben, gaben mehrheitlich an, dass sie dabei zumeist (52 %) oder manchmal (19 %) Stilltücher, Schals oder ähnliche Kleidungsstücke nutzten, um sich und ihr Kind während des Stillens an öffentlichen Orten zu bedecken.

50 % der öffentlich stillenden Frauen gaben an, beim Stillen in der Öffentlichkeit eher oder sehr positive Erfahrungen gemacht zu haben. 37 % berichteten von gemischten Erfahrungen und 6 % von eher oder sehr negativen Erfahrungen. 7 % machten keine Angaben zu ihren Erfahrungen beim Stillen in der Öffentlichkeit. Von den Studienteilnehmerinnen, die gestillt und bereits abgestillt hatten (n = 174), nannten bei der Frage nach Gründen für das Abstillen 10 %: „Es war mir unangenehm unterwegs, vor fremden Menschen stillen zu müssen.“

Vermeidungsverhalten stillender Mütter

Von den Frauen, die ihre Kinder zumindest gelegentlich öffentlich stillen (n = 174), gaben 46 % an, dass sie öffentliches Stillen häufig (22 %) oder gelegentlich (24 %) versucht haben zu vermeiden. 52 % der Frauen vermeiden öffentliches Stillen nicht (2 % keine Angabe).

Orte, an denen das Stillen möglichst vermieden wird, sind an erster Stelle öffentliche Toiletten (Nennung durch 72 % der befragten Frauen, Mehrfachnennungen möglich), gefolgt von öffentlichen Nahverkehrsmitteln (65 %). Der Arbeitsplatz und Geschäfte werden von jeweils 63 % gemieden. Parks und Spielplätze sind die beiden Orte, die zum Stillen am seltensten gemieden werden (18 bzw. 19 %). Restaurants und Cafés werden mehrheitlich nicht gemieden (54 % keine Vermeidung, 46 % Vermeidung).

Wahrnehmungshäufigkeit von öffentlichem Stillen seitens der Bevölkerung

Rund die Hälfte der 1003 Befragten in der Bevölkerungsstichprobe gab an, in den letzten 12 Monaten keine einzige stillende Frau in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu haben. Die andere Hälfte der Befragten hatte in den letzten 12 Monaten im Schnitt vier in der Öffentlichkeit stillende Mütter wahrgenommen (Minimum 1 bis Maximum 100; Median = 2). Personen aus bevölkerungsreichen Regionen (ab 50.000 Einwohner), weibliche Befragte und Personen mit höherem Bildungsstand nahmen Stillende signifikant häufiger wahr als Personen aus Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte (unter 5000 Einwohner), männliche Befragte und Personen mit vergleichsweise niedrigerem Bildungsstand (für alle Vergleiche jeweils p < 0,05). Mit knapp 60 % gaben Befragte zwischen 21 und 40 Jahren häufiger als Befragte der anderen Altersgruppen (durchschnittlich 46 %) an, öffentlich stillende Mütter wahrgenommen zu haben (p < 0,001).

Stillorte: Wahrnehmung und Akzeptanz seitens der Bevölkerung

Orte, an denen öffentlich stillende Frauen am häufigsten wahrgenommen wurden, sind Parks (Nennung durch 52 % der Befragten, die in den vergangenen 12 Monaten stillende Mütter in der Öffentlichkeit wahrgenommen haben, Mehrfachnennungen möglich), Restaurants und Cafés (49 %) sowie Spielplätze (39 %). Von den abgefragten Orten (Tab. 2) wurde der Arbeitsplatz mit 3 % am seltensten genannt.

Parks und Spielplätze sind auch die Orte, an denen öffentliches Stillen auf die größte Akzeptanz vonseiten der Bevölkerung stößt. Rund 70 % der 1003 Befragten gaben an, dass Frauen an diesen Orten durchaus stillen sollten. Stillen in Freizeiteinrichtungen und im öffentlichen Fernverkehr wird ebenfalls mehrheitlich befürwortet (58 % bzw. 57 % Zustimmung). Knapp 50 % der Befragten befürworten, dass Frauen ihre Kinder in Restaurants oder Cafés stillen. Öffentliche Toiletten und Geschäfte werden von weniger als einem Drittel der Befragten als angemessene Stillorte angesehen. Die Akzeptanzraten für verschiedene Stillorte sind in Abb. 1 zusammen mit den Vermeidungsraten der gleichen Orte seitens der Mütter dargestellt. Die Gegenläufigkeit der Linien illustriert, dass Stillorte, die in der Bevölkerung wenig Akzeptanz erfahren, von Müttern meist auch stärker gemieden werden. Hingegen bergen Orte, an denen häufiger gestillt wird und die vergleichsweise wenig Akzeptanz erfahren, ein Konfliktpotenzial (z. B. Restaurants/Cafés).

Abb. 1
figure 1

Vermeidung von öffentlichen Orten zum Stillen (in % der befragten Mütter, die das Stillen in der Öffentlichkeit vermeiden, n = 79) und Akzeptanz von öffentlichen Orten zum Stillen (in % der Bevölkerungsstichprobe, n = 1003), geordnet nach Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Gegenläufigkeit der Linien illustriert, dass Stillorte, die in der Bevölkerung wenig Akzeptanz erfahren, von Müttern stärker gemieden werden. Konfliktpotenzial bergen solche Orte, die vergleichsweise wenig Akzeptanz erfahren, an denen aber dennoch häufiger gestillt wird (z. B. Restaurants/Cafés)

Akzeptanz und Einstellungen zum öffentlichen Stillen

Befragte, die in den vergangenen 12 Monaten öffentliches Stillen wahrgenommen hatten, bewerteten dies mehrheitlich als neutral (48 %) oder eher gut (41 %), 11 % fanden es eher schlecht (6 % der Gesamtstichprobe; Tab. 2, Frage B3.1). Die konkreten Gründe für die positiven oder negativen Bewertungen wurden in einer offenen Nachfrage genauer erfasst. Für das öffentliche Stillen spricht demnach, dass es als etwas Normales und Natürliches angesehen wird („Stillen ist das Natürlichste auf der Welt“; „Es entspricht der Natur und ist ganz normal“). Knapp 80 % der offenen Nennungen bezogen sich auf diesen Themenbereich. Für eine negative Bewertung gab es drei vorherrschende Begründungen. Jeweils knapp ein Drittel der Befragten führte ungewollte Intimität („Ich mag so intimen Momenten fremder Menschen nicht beiwohnen“), die fehlende Beschränkung auf das private Umfeld („Das sollte im privaten Rahmen gemacht werden“) und die Erzeugung negativer Gefühle („Das ist ekelhaft“; „Ich finde es persönlich unappetitlich“) als Gründe für eine ablehnende Haltung an.

Bei der Bewertung von öffentlichem Stillen als neutral, eher gut oder eher schlecht waren keine signifikanten Gruppenunterschiede anhand demografischer Faktoren (Alter, Elternschaft, Geschlecht, Bildungsstand, Einwohnerzahl des Ortes und Region) innerhalb der Bevölkerungsstichprobe zu beobachten. Einzig der Umstand, ob die Befragten selbst Eltern sind oder nicht, hing mit der Bewertung von öffentlichem Stillen zusammen. So ist zwar der Anteil derer mit einer ablehnenden Haltung in beiden Gruppen etwa gleich groß, Personen mit Kindern befürworten das Stillen in der Öffentlichkeit jedoch häufiger (47 %) als Kinderlose (33 %), während Kinderlose dem Stillen in der Öffentlichkeit häufiger neutral gegenüberstehen (55 %) als Personen mit Kindern (43 %; p < 0,05).

Mütter mit Kindern bis zwei Jahre gaben bei einer äquivalenten Frage (Tab. 1, Frage M3.1) ebenfalls an, wie sie es im Allgemeinen finden, wenn andere Mütter ihre Kinder in der Öffentlichkeit stillen. Rund 52 % bewerteten dies als eher gut, 39 % als neutral und 9 % als eher schlecht. Im Vergleich zur Bevölkerungsstichprobe war die Akzeptanz von öffentlichem Stillen in der Gruppe der Mütter signifikant ausgeprägter (p < 0,05). Demografische Unterschiede innerhalb der Gruppe der Mütter hinsichtlich der Bewertung von öffentlichem Stillen lagen nicht vor.

Inwieweit die Befragten beider Gruppen grundsätzlichen Aussagen für oder gegen öffentliches Stillen zustimmten, ist in Tab. 4 dargestellt. 66 % der Befragten aus der Bevölkerungsstichprobe stimmten der Aussage: „Mütter sollten ihre Babys immer und überall stillen dürfen“, zu, davon rund 46 % voll und ganz. Zum Vergleich, Mütter mit Kindern bis zwei Jahre stimmten dieser Aussage zu 80 % zu (62 % voll und ganz). Von den drei ablehnend formulierten Sätzen zum Stillen in der Öffentlichkeit erhielt die Aussage: „Stillen im Restaurant gehört sich nicht, denn dort wird gegessen“, innerhalb der Bevölkerungsstichprobe mit 27 % die meiste Zustimmung (Mütter: 17 % Zustimmung). Der Aussage: „Stillen hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen“, stimmten rund 12 % der Bevölkerungsstichprobe und 9 % der Mütter zu. Insgesamt waren die Einstellungen zum öffentlichen Stillen in beiden Gruppen eher befürwortend, in der Gruppe der Mütter jedoch signifikant positiver als in der Bevölkerungsstichprobe. Lediglich bei der Aussage: „Frauen sollten ihre Brüste Fremden gegenüber nicht entblößen, auch nicht zum Stillen“, zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (rund 21 % bzw. 18 % Zustimmung in der Bevölkerungsstichprobe bzw. unter den Müttern; Tab. 4).

Tab. 4 Zustimmung mit Aussagen zum öffentlichen Stillen (n = 1003 in der Bevölkerungsstichprobe bzw. n = 306 in der Stichprobe der Mütter mit Kindern bis zwei Jahre)

Wissen über gesundheitliche Vorteile des Stillens

Die zwei mit deutlichem Abstand bekanntesten gesundheitlichen Vorteile des Stillens sind: „Das Kind erhält eine optimale Nährstoffversorgung“ (82 % Bekanntheit in der Bevölkerungsstichprobe) und „Das Kind ist weniger anfällig für Krankheiten“ (77 % Bekanntheit in der Bevölkerungsstichprobe). Wie aus Abb. 2 hervorgeht, ist das verringerte Brustkrebsrisiko der Mutter der am seltensten bekannte Vorteil (27 % Bekanntheit in der Bevölkerungsstichprobe). Alle abgefragten Vorteile von Stillen mit Muttermilch sind Müttern mit Kindern bis zwei Jahre signifikant häufiger bekannt als der Bevölkerungsstichprobe (alle p < 0,05).

Abb. 2
figure 2

Anteil der Befragten, dem der jeweilige gesundheitliche Vorteil des Stillens bekannt ist (in % der 1003 Befragten in der Bevölkerungsstichprobe bzw. in % der 306 Befragten in der Stichprobe der Mütter mit Kindern bis zwei Jahre; Mehrfachnennungen möglich. Alle abgefragten Vorteile von Stillen mit Muttermilch sind Müttern mit Kindern bis zwei Jahre signifikant häufiger bekannt als den Befragten der Bevölkerungsstichprobe, alle p < 0,05)

Zusammenhang zwischen Wissen über gesundheitliche Vorteile des Stillens und emotionale Reaktionen auf öffentliches Stillen

Korrelationsanalysen innerhalb der Bevölkerungsstichprobe zeigten signifikante Zusammenhänge zwischen der Anzahl bekannter Vorteile des Stillens und der Anzahl positiver bzw. negativer Empfindungen in Reaktion auf öffentliches Stillen (laut Frage B3.4). Je mehr Vorteile des Stillens bekannt sind, desto mehr positive (r = 0,37, p < 0,05) und desto weniger negative Empfindungen (r = −0,22, p < 0,05) werden mit öffentlichem Stillen verbunden.

Wahrnehmung von Medienberichterstattung

Medienberichte im Zusammenhang mit Müttern, die wegen des Stillens aufgefordert wurden, Cafés zu verlassen, waren der Mehrheit der Bevölkerungsstichprobe nicht bekannt. Lediglich 36 % der Befragten hatten eine solche Meldung bereits gehört oder gelesen, 58 % konnten sich an eine Meldung dieser Art nicht erinnern. Weitere 6 % waren sich nicht sicher oder machten keine Angabe.

Mit knapp 70 % erinnerten sich Mütter mit Kindern bis zwei Jahre signifikant häufiger an Meldungen dieser Art als die Befragten der Bevölkerungsstichprobe (p < 0,001). Lediglich 28 % der Mütter hatten eine solche Meldung noch nicht gehört oder gelesen, 3 % machten dazu keine Angabe.

Diskussion

Vereinzelte Umfragen deuten darauf hin, dass das Stillen in der Öffentlichkeit zwar von einem Großteil der Bevölkerung positiv oder neutral gesehen wird, sich jedoch ein durchaus relevanter Teil am Stillen in der Öffentlichkeit stört [23,24,25]. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass öffentliches Stillen in Deutschland eher selten auf ausdrückliche Ablehnung stößt (11 % derer, die im vergangenen Jahr öffentliches Stillen wahrgenommen haben) und von einem Großteil der Bevölkerung neutral bewertet (48 %) oder befürwortet wird (41 %). Gleichzeitig machen die Unterschiede zwischen den Antwortmustern der beiden Befragtengruppen jedoch deutlich, dass die Grundhaltung zum öffentlichen Stillen in der breiten Öffentlichkeit etwas weniger positiv ausfällt als innerhalb der betroffenen Personengruppe – Mütter mit Kindern im Stillalter. Frauen, die ihre Kinder öffentlich stillen, tun dies folglich regelmäßig auch in Gegenwart von Personen, deren Einstellungen weniger positiv sind als ihre eigenen.

Etwa die Hälfte der Befragten in der Bevölkerungsstichprobe hat in den vergangenen 12 Monaten keine einzige öffentlich stillende Frau wahrgenommen. Erwartungsgemäß nahmen Personen aus bevölkerungsreichen Regionen Stillende häufiger wahr als Personen aus Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte. Da aber auch weibliche Befragte, Personen mit höherem Bildungsstand und diejenigen in der Alterskategorie 21 bis 40 Jahre stillende Frauen in der Öffentlichkeit vergleichsweise häufiger wahrnahmen, muss auch davon ausgegangen werden, dass ein relevanter Anteil der Bevölkerung aufgrund von fehlender persönlicher Relevanz und damit verbundenem Desinteresse trotz grundsätzlich positiver Einstellung keinen Zugang zum Thema hat.

Personen mit einer ablehnenden Haltung zum Stillen in der Öffentlichkeit zeigten keine übereinstimmenden demografischen Merkmale. Somit ließ sich auch keine bevölkerungsspezifische Zielgruppe identifizieren, für die spezielle Strategien zur Verbesserung der Akzeptanz des Stillens zu erarbeiten wären. Als Gründe für eine ablehnende Haltung zum Stillen in der Öffentlichkeit lassen sich drei wesentliche Motive unterscheiden, die ungewollte Intimität, die fehlende Beschränkung auf das private Umfeld und die Erzeugung negativer Gefühle. Im Hinblick auf die ungewollte Intimität spielte auch die Sichtbarkeit der Brust eine entscheidende Rolle, einhergehend mit dem Wunsch nach mehr Diskretion („Man sollte aber wenigstens ein Tuch zum Abdecken nehmen“). Die Sichtbarkeit der Brust war gleichzeitig der einzige Aspekt des öffentlichen Stillens, bei dem die Einstellung der Mütter sich nicht deutlich von der der Bevölkerungsstichprobe unterschied. In beiden Befragtengruppen stimmten rund 20 % der Aussage zu, dass Frauen Fremden gegenüber ihre Brüste auch zum Stillen nicht entblößen sollten.

Im Hinblick auf Orte und Situationen, in denen gestillt wird, ergibt sich folgendes Bild: Es gibt Orte, die vonseiten der Öffentlichkeit mehrheitlich als unangemessen zum Stillen von Kindern angesehen werden, wie beispielsweise öffentliche Toiletten, der Arbeitsplatz und Geschäfte. Diese werden von Müttern mit Kindern im Stillalter in der Regel auch zum Stillen gemieden. Ob dies aus Rücksichtnahme, aufgrund übereinstimmender sozialer Normen, fehlender Infrastruktur, wie z. B. Stillräumen, oder einer Kombination dieser Faktoren geschieht, lässt sich anhand der vorliegenden Befragungsdaten nicht beantworten. Deutlich wird aber, dass Restaurants und Cafés im Vergleich zu anderen potenziellen Stillorten ein erhöhtes Konfliktpotenzial bergen. Aus Sicht der Bevölkerungsstichprobe ist das Stillen dort nur bedingt angemessen (Akzeptanz seitens 49 % der Befragten), Frauen können und wollen es aber nur bedingt vermeiden, ihre Kinder in Restaurants und Cafés zu stillen (54 % vermeiden es nicht). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie stimmen mit denen einer Studie in Nordrhein-Westfalen überein [26]. In der Befragung aus dem Jahre 2008 sprachen sich unter den ca. 2000 Teilnehmern ebenfalls nur 51,2 % für das Stillen im Restaurant aus. Mehr Befürwortung (75 %) erfährt das Stillen im Restaurant beispielsweise in Kanada [27], während eine Studie aus den USA [28] eine generell kritischere Grundhaltung der Bevölkerung zum öffentlichen Stillen aufzeigt (50 % Ablehnung).

Die Tatsache, dass öffentliches Stillen in Restaurants und Cafés häufiger beobachtet wurde als an fast allen anderen abgefragten Orten, kann zu der ablehnenden Haltung beitragen. Andererseits kann die häufige Wahrnehmung von Stillenden in Restaurants und Cafés aber auch ein Symptom der ablehnenden Haltung sein. Anders ausgedrückt, wenn es eine Person besonders stört, Stillende in Cafés und Restaurants zu sehen, dann erinnert sie sich im Nachhinein vermutlich häufiger an diese Begebenheiten [29]. Basierend auf diesem Ergebnis wäre die Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Akzeptanz des Stillens in Restaurants und Cafés ein konkreter Ansatzpunkt. International gibt es in diesem Kontext einige positive Beispiele, die zeigten, dass die freiwillige Kennzeichnung von stillfreundlichen Restaurants, Cafés, aber auch Geschäften und anderen Einrichtungen – möglichst auf der Basis standardisierter Kriterien und eingebettet in eine Kampagne – die Stillfreundlichkeit in der Öffentlichkeit erhöhen können [10,11,12].

Zu den bedeutsamen Situationen und Orten, an denen Mütter das Stillen vermeiden, zählen auch der Arbeitsplatz, das Einkaufen und öffentliche Nahverkehrsmittel. Die Vielfalt dieser und weiterer Situationen eröffnet auch weitere Möglichkeiten, im Rahmen eines Gesamtkonzepts unterschiedliche öffentliche und unternehmerische Akteure einzubinden. Hier wären nicht nur der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband e. V. (Restaurants, Cafés), sondern auch Einzelhandelsverbände und Verkehrsverbünde ebenso gefragt wie Bund, Länder und Kommunen in ihren Institutionen sowie selbstverständlich die jeweiligen Arbeitgeber. Übergreifende kommunale Konzepte können Synergien schaffen, die sicherstellen, dass in angemessenen Entfernungen leicht zugängliche Stillmöglichkeiten bestehen.

Aus der vorliegenden Befragung geht auch hervor, dass das Wissen über die gesundheitlichen Vorteile des Stillens mit der emotionalen Beurteilung des öffentlichen Stillens zusammenhängt. Je mehr Vorteile bekannt sind, desto mehr positive und desto weniger negative Empfindungen werden mit öffentlichem Stillen verbunden. Diese Zusammenhänge zeigen ebenfalls Wege zur Akzeptanzerhöhung auf, beispielsweise durch gezielte Wissensvermittlung und Aufklärung über die Vorteile des Stillens. Insbesondere gesundheitliche Vorteile für die Mutter, wie das verringerte Brustkrebsrisiko [30], waren einem Großteil der Befragten nicht geläufig.

An Medienberichte im Zusammenhang mit Müttern, denen das Stillen in Cafés oder Restaurants untersagt wurde [1,2,3], konnten sich Mütter signifikant häufiger erinnern als die Befragten der Bevölkerungsstichprobe. Die gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Befragtengruppen lassen sich teils dadurch erklären, dass Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozesse von situativen und individuellen Faktoren, wie beispielsweise einem deutlichen Selbstbezug, beeinflusst werden [31]. Bei der betroffenen Personengruppe kann so der Eindruck entstehen, dass öffentliches Stillen gesellschaftlich wenig Akzeptanz erfährt, obwohl negative Vorfälle dieser Art – im Gegensatz zu dem durch die Medienberichterstattung vermittelten Eindruck – eher selten vorkommen und nicht die Erfahrungen der Mehrheit der öffentlich stillenden Mütter widerspiegeln.

Um die Aussagekraft der vorliegenden Studie einzuordnen, sind einige methodische Aspekte zu beachten. Zur Datenerhebung wurde für diese Studie ein Panel mittels computergestützter Onlineinterviews befragt [22]. Die Verteilung wesentlicher demografischer Merkmale wie Geschlecht und Bildung wurde in der vorliegenden Befragung berücksichtigt. Es handelt sich allerdings bei den Befragten nicht um eine repräsentative Stichprobe, beispielsweise sind ältere Personen (>60 Jahre) trotz fehlender oberer Altersbeschränkung unterrepräsentiert. Die Ergebnisse liefern aber Anknüpfungspunkte für die Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Akzeptanz des Stillens in der Öffentlichkeit. Darüber hinaus weisen sie auf die Notwendigkeit weiterer Studien hin, die für bestimmte Situationen und Stillorte spezifische Ansatzpunkte für die Stillförderung genauer erfassen. So könnten z. B. für das Stillen am Arbeitsplatz andere Maßnahmen erforderlich (und möglich) sein (z. B. Stillräume, aber auch eindeutige Befürwortung durch Führungspersonal) als für die Förderung des Stillens in Geschäften oder im öffentlichen Nahverkehr.

Die Ergebnisse dieser Befragung legen nahe, dass positive Erfahrungen beim Stillen in der Öffentlichkeit überwiegen und eine Minderheit der Bevölkerung dem Stillen in der Öffentlichkeit grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, ohne dass sich hier jedoch eine eindeutige Gruppe von Personen identifizieren lässt. Insgesamt scheint das Wissen über die gesundheitlichen Vorteile des Stillens mit einer größeren Akzeptanz von öffentlichem Stillen einherzugehen. Restaurants und Cafés wurden als Orte mit größtem Konfliktpotenzial identifiziert. Gezielte Maßnahmen zur Akzeptanzerhöhung könnten sich daher insbesondere auf diese Orte richten, sollten aber in übergreifende Konzepte eingebunden werden.