Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Erwerbsbevölkerung in Deutschland wird älter. In den letzten 5 Jahren stieg der Anteil der 45- bis 65-Jährigen in der Bevölkerung von 22 auf 24 Mio. Personen anFootnote 1, und auch die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter im Alter von 50 und mehr Lebensjahren nimmt inzwischen deutlich zu, von 2010 auf 2011 allein um 450.000 auf 7,9 Mio. Personen. Damit betrug ihr Anteil an allen sozialversichert Beschäftigten bereits ca. 30%Footnote 2. Bevölkerungsprojektionen lassen annehmen, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2020 noch weiter ansteigen wird.

Diese Entwicklung stellt die Arbeitsmarktakteure vor die unterschiedlichsten Herausforderungen. Unternehmen werden zunehmend investieren müssen, um die Arbeitsfähigkeit ihrer Beschäftigten zu erhalten, und Wirtschaft und Politik müssen dazu beitragen, ein nachhaltiges und qualifiziertes Arbeitskräfteangebot sicherzustellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die Gesundheitsförderung im betrieblichen und privaten Umfeld, denn die frühzeitige Sicherung der Gesundheit wird als wichtiger Schlüssel für die Erwerbsteilhabe im höheren Erwerbsalter angesehen.

Eine steigende Anzahl wissenschaftlicher Studien widmet sich diesem Thema, so auch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie „lidA – leben in der Arbeit“ (www.lida-studie.de), die in den folgenden Jahren den langfristigen Effekt von Arbeit auf die Gesundheit einer alternden Erwerbsbevölkerung in Deutschland untersuchen wird. Anders als üblich nimmt sie eine interdisziplinäre Perspektive an der Nahtstelle zwischen Gesundheitsforschung und Arbeitsmarktforschung ein. Die lidA-Studie war der Initiator für dieses Schwerpunktheft, in dem

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    ein Überblick gegeben wird über die altersabhängige Morbidität in der Erwerbsbevölkerung,

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    die Rollen von Gesundheit bzw. Krankheit für die Arbeit und Erwerbsteilhabe diskutiert werden.

Weder national noch international liegen systematische Bestandsaufnahmen zum Gesundheitszustand der Erwerbsbevölkerung vor, die explizit sowohl das Alter als auch die Art der Erwerbstätigkeit berücksichtigen. Die Herausgeber haben dieses Schwerpunktheft genutzt für eine solche Bestandsaufnahme aus verschiedenen Perspektiven: Unter Nutzung unterschiedlicher, umfassender und aktueller Datensätze wird die altersabhängige Verteilung einer Auswahl von Krankheitsbildern in der Erwerbsbevölkerung untersucht, basierend auf den jeweils gleichen Berufsklassifikationen und Altersgruppierungen. Wir möchten uns bei den Autoren für ihre Beiträge und Zusammenarbeit bedanken.

Dieses Schwerpunktheft wird eingeleitet mit einem Beitrag von Hasselhorn und Rauch, in dem die Erkenntnisse aller Beiträge in Bezug zueinander gesetzt werden. Unter anderem zeigen die Autoren dadurch auf, dass immer dieselben Erwerbsgruppen gesundheitlich besonders begünstigt oder besonders betroffen sind, dies zeigte sich unabhängig von Krankheitsbild und Datengrundlage. Eine zielgerichtete Diskussion über Arbeit und Erwerbsteilhabe muss demzufolge die ältere Erwerbsbevölkerung differenziert betrachten. Mit Blick auf zukünftige Entwicklungen von Arbeit und Gesundheit formulieren sie weiteren Forschungsbedarf.

Burr et al. untersuchen die selbst berichtete allgemeine Gesundheit. Sie kommen zu dem Schluss, dass große gesundheitliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Erwerbsgruppen bestehen, dass diese Unterschiede mit zunehmendem Alter steigen und dass besonders für gering qualifizierte und manuell tätige Erwerbsgruppen „Arbeit mit Krankheit“ in höherem Erwerbsalter heutzutage Realität ist.

Thielen und Kroll zeigen mit ihren Analysen, dass besser qualifizierte Erwerbsgruppen günstigere Mittelwerte für selbst berichtetes psychisches Wohlbefinden aufweisen. Hier fanden sich ausgeprägte Geschlechtsunterschiede; die Gruppe der Männer wies durchgehend günstigere Werte auf und zeigte ein klares Altersmuster über fast alle Berufsgruppen: Das psychische Wohlbefinden war am höchsten im höheren Erwerbsalter.

Auf der Grundlage von Arbeitsunfähigkeitsdaten erörtern Liebers et al. am Beispiel der beiden häufigen Muskel-Skelett-Diagnosen Rückenschmerz und Kniegelenksarthrosen Unterschiede der Arbeitsunfähigkeit zwischen Erwerbsgruppen in Bezug auf das Lebensalter. Bei Berufsgruppen der Produktion sowie im Dienstleistungsbereich lag für beide Diagnosen ein erhöhtes Arbeitsunfähigkeitsrisiko vor, das auch in höheren Altersgruppen noch zu finden war. Auf der Basis desselben Datensatzes zeigen Brendler et al. für die Herz-Kreislauf-Diagnosen essenzielle Hypertonie und akuter Myokardinfarkt den erwarteten berufs- und einen starken altersabhängigen Anstieg der diesbezüglichen Arbeitsunfähigkeit.

Mika analysiert das altersabhängige Risiko für eine krankheitsbedingte Frühberentung durch Nutzung von Rentenversicherungsdaten. Sie findet erhöhte Risiken für bestimmte Berufsgruppen; bei den Männern für die einfachen kaufmännischen Verwaltungsberufe und die einfachen Dienste, bei den Frauen für die Semiprofessionen.

Die weiteren Beiträge dieses Schwerpunktheftes deuten allerdings darauf hin, dass die Gesundheit nur ein Faktor neben anderen für die Erwerbsbeteiligung Älterer ist.

Fuchs stellt Prognosen zur künftigen Arbeitsmarktentwicklung vor. In den kommenden Jahrzehnten wird demnach das Erwerbspersonenpotenzial deutlich abnehmen und gleichzeitig wird der projizierte Gesamtbedarf an Arbeitskräften nahezu gleich bleiben. Um einem Mangel an qualifizierten Beschäftigten zu begegnen, müssen rechtzeitig Weichen gestellt werden wie Investitionen in die Bildung, die Förderung von Zuwanderung oder auch die frühzeitige Erschließung heimischer personeller Reserven.

Letzteres würde auch Personengruppen mit gesundheitlichen Einschränkungen betreffen. Varekamp et al. zeigen mit ihren Analysen, dass bei jeweils der Hälfte aller erwerbstätigen Männer und Frauen in Deutschland mindestens eine chronische Krankheit vorliegt, und diskutieren die Bedeutung von chronischer Krankheit für die Erwerbsbeteiligung für Betroffene, Unternehmen, die medizinische Versorgung und Wissenschaft.

Peter und Hasselhorn entwickeln ein Denkmodell zur Erklärung von Erwerbsteilhabe im höheren Erwerbsalter. Gesundheit wird hier nur als eine mittelbar den Erwerbsausstieg beeinflussende Größe verstanden, während die direkten Vorläufer für Erwerbsausstieg die Arbeitsfähigkeit und die Motivation zur Erwerbsteilhabe sind. Mit ihrem Modell möchten die Autoren Politik und Wissenschaft anregen, die Erwerbsteilhabe Älterer als ein komplexes prozessuales Geschehen mit den Komponenten Arbeit, Sozialstatus, Lebensstil, Gesundheit, Arbeitsmotivation und Arbeitsfähigkeit zu betrachten.

Schließlich weisen Schütte und Köper auf die Bedeutung psychischer Arbeitsbelastung und deren Folgen vor dem Hintergrund des Wandels der Arbeitswelt hin. Sie plädieren dabei für die zukünftige Implementation von Längsschnittuntersuchungen, um Kausalbeziehungen zwischen Belastungen, Beanspruchungsfolgen und längerfristigen gesundheitlichen Wirkungen identifizieren zu können.

Die Zielgruppen dieses Schwerpunktheftes sind Politik und Wissenschaft. Die entscheidungspolitischen Akteure benötigen relevante, verlässliche, aber auch interessensunabhängig ermittelte Daten und Ergebnisse für politische Handlungsperspektiven. Gegenwärtige Forschungsbeiträge haben aber oft nur ausgewählte Teilaspekte oder Personengruppen im Blick und basieren zumeist auf einer der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin zugrunde liegenden Sicht- und Herangehensweise. Der Blick über die eigene Disziplin hinaus und interdisziplinäre Vernetzung werden aber nötig sein, um Zusammenhänge und Entwicklungslinien von Erwerbsarbeit, Arbeitsbedingungen, Arbeitsfähigkeit, Gesundheit und Erwerbsbeteiligung aufzuzeigen.

Wir wünschen den Leserinnen und Lesern dieses Schwerpunkthefts eine spannende Lektüre und anregende Einblicke in das Themenfeld Alter, Arbeit, Gesundheit und Erwerbsteilhabe.

Ihre

Hans Martin Hasselhorn

Angela Rauch

Hermann Burr