Nachdem in den letzten Jahrzehnten der Fokus der Gesundheitsforschung (und der Vergabe der Forschungsmittel) v. a. auf molekularbiologischer Grundlagenforschung und krankheitsorientierter (tierexperimenteller) Forschung im Labor lag und weiterliegt, rücken die klinische Forschung und die Versorgungsforschung zunehmend in den Mittelpunkt.

Hierbei stehen klinische Forschung (randomisierte kontrollierte Studien) sowie Versorgungsforschung komplementär zueinander.

Während in klinischen Studien die Wirksamkeit neuer Behandlungen bei ausgewählten Patienten geprüft wird und die Forschung damit auf das Verständnis kausaler Mechanismen und auf die Wirksamkeit von neuen Therapien unter idealen Studienbedingungen abzielt, bleibt letztendlich unklar, ob neue Therapieverfahren den Patienten flächendeckend im Alltag tatsächlich nützen.

Zwar können wissenschaftlich fundierte Behandlungsempfehlungen und Leitlinien bei der Umsetzung helfen, doch hängt eine erfolgreiche Implementierung von vielen anderen Faktoren ab. Diese sind beispielsweise die Therapietreue des Patienten, die jeweilige Lebenswelt des Patienten, Kosten der jeweiligen Produkte oder Medikamente, Fort- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegekräften, die Art und Intensität der intersektoralen Kooperation u. v. a.

Die Versorgungsforschung untersucht nun genau diese „Wirklichkeit“. Die Versorgungsforschung prüft Hypothesen zur Wirksamkeit von gesundheitsrelevanten Ansätzen unter Alltagsbedingungen und im Hinblick auf deren Effizienz in der realen Welt. Dabei kann die klinische Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen jedoch stärker oder schwächer ausfallen. Neben den Analysen zu Über‑, Unter- und Fehlversorgung werden zudem die individuelle Patientenperspektive sowie die Gesundheitsökonomie berücksichtigt.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass die Versorgungsforschung aktuell viel Aufwind und einen Höhenflug erlebt. Forschungsgelder von mehreren Hundert Millionen Euro für Hunderte Projekte wurden in den vergangenen Jahren ausgeschrieben, u. a. von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) [1], dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) [2], der Bundesärztekammer (BÄK), dem Innovationsfond [3], den Bundesländern [4], Krankenkassen, Stiftungen etc.

Der aktuelle Beitrag von Blecha et al. gibt am Beispiel des akuten Lungenversagens einen Überblick über den aktuellen Stand der intensivmedizinischen Versorgungsforschung in Deutschland.

Im Fachgebiet AINS werden inzwischen allein durch den Innovationsfond zahlreiche Projekte in Millionenhöhe gefördert, z. B.

  • Teleintensivmedizin Nordrhein-Westfalen (Telnet@NRW),

  • Enhanced Recovery after Intensive Care (ERIC),

  • Schmerz: Patientenorientiert. Abgestuft. Interdisziplinär. Netzwerk (PAIN 2020),

  • Prähabilitation von älteren Patienten mit Gebrechlichkeitssyndrom vor elektiven Operationen (PRÄP-GO),

  • Validierung und Optimierung der Nutzbarkeit von Routinedaten zur Qualitätsverbesserung des Sepsis-Managements im Krankenhaus (OPTIMISE),

  • Patientensicherheit, Wirtschaftlichkeit und Lebensqualität: Reduktion von Delirrisiko und postoperativer kognitiver Dysfunktion (POCD) nach Elektivoperationen im Alter (PAWEL),

  • Optimierung der perioperativen Versorgung älterer Patienten (PeriAge),

  • Folgeschäden nach prolongierter Intensivbehandlung: Entwicklung und Pilotierung einer Intensiv-Nachsorgeambulanz (PINA) [3].

An dieser Stelle darf den in diesem hochkompetitiven Bereich erfolgreichen Projektleitern und Antragstellern gratuliert werden.

In Anbetracht der zahlreichen spannenden wissenschaftlichen Fragestellungen zum Thema Versorgungsalltag AINS möchte ich zugleich aber auch alle Leser ermutigen, die Herausforderung anzunehmen und das Thema Versorgungsforschung in AINS zu stärken.