Angriffe gegen Ärzte und Pflegekräfte scheinen hierzulande fast schon alltäglich zu sein. Erste Berechnungen des aktuellen Ärztemonitors der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des NAV-Virchow-Bunds weisen täglich 75 Attacken gegen niedergelassene Ärzte in deren Praxen aus.

Die Ärzteorganisationen haben aus diesen Entwicklungen eine klare Forderung abgeleitet: Beim 121. Deutsche Ärztetag wie auch bei der KBV-Vertreterversammlung plädierten die Teilnehmer dafür, Ärzte in den erweiterten gesetzlichen Gewaltschutz für Vollstreckungsbeamte einzubeziehen (§ 115 StGB).

Im Vorfeld haben bereits einzelne Ärztekammern Resolutionen zu diesem Thema verabschiedet. „Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, für die Wertschätzung der Personen, deren Beruf und Berufung die Hilfeleistung für Menschen ist, zu sorgen“, heißt es etwa in einer Resolution der Ärztekammer Brandenburg.

Ursachenforschung für Gewalt gegen Ärzte ist noch defizitär

All diesen Forderungen liegt die Annahme zugrunde, dass schärfere Strafen die Schwelle von der Gewaltbereitschaft zur Gewalttat erhöhen. Doch die Ursachen dafür, dass diese Schwelle anscheinend gesunken ist, sind noch keineswegs gut erforscht. Postuliert wird oft ein Werteverlust. „Mein Eindruck ist, dass bestimmte Verhaltensnormen, Regeln und das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft nicht für alle Menschen heute noch gleichermaßen von Bedeutung sind“, so Prof. Stefan Kropp, der selbst als Psychiater bereits Gewalt erlebt hat und das Thema im Vorstand der Ärztekammer Brandenburg betreut. „Die Sanktion problematischen, gefährlichen oder gar kriminellen Verhaltens findet oft nicht im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ereignis statt“, kritisiert Kropp.

Fest steht: Ärzte können sich ihre Patienten nicht aussuchen. Doch die Ursachen von Gewalttaten gegen Ärzte und anderes medizinisches Personal sind vielfältig. Am Asklepios-Klinikum Teupitz, wo Kropp Chefarzt ist, werden alle Mitarbeiter bereits seit Jahren regelmäßig in Deeskalations- und Eingriffstechniken geschult — „mit gutem Erfolg“, wie Kropp betont. Die Mitarbeiter lernen, kritische Situationen in ihrem Arbeitsumfeld früh zu erkennen und zu entschärfen, aber auch, wie sie eingreifen und eine Gefahrensituation auflösen können, wenn Kollegen bedroht oder angegriffen werden. Mitarbeiter, die in Angriffe verwickelt wurden, können eine Supervision in Anspruch nehmen. Die Klinik bietet ihren Angestellten zusätzlich Diensttelefone mit Notfallknopf und Ortungsfunktion an.

Kropp legt außerdem Wert darauf, dass aggressiven Patienten die Konsequenzen ihres Handelns sofort klar gemacht werden. Zudem empfiehlt der Psychiater eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei. Er appelliert auch, „keinerlei Toleranz bei gewalttätigem Verhalten walten zu lassen“.

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Gewaltbereite Patienten richtig in die Schranken zu weisen, kann man lernen.

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Wichtigste Voraussetzung zum Schutz vor Gewalttaten ist Kropp zufolge die mentale Vorbereitung auf solche Situationen. Zudem ist es aus seiner Sicht nötig, dass immer die Möglichkeit besteht, sofort Unterstützung herbeizuholen.

Deeskalationstraining und Supervisionen werden auch den Mitarbeitern im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) angeboten. In dem Krankenhaus mit einer sehr speziellen Patientenklientel — es versorgt psychisch und Suchtkranke, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der (verminderten) Schuldfähigkeit Straftaten begangen haben — ereigneten sich in den vergangenen vier Jahren knapp 120 körperliche Angriffe, wie aus der Antwort des Berliner Senats auf die Anfrage eines Abgeordneten hervorgeht. In der Statistik fällt auf, dass die Zahl der körperlichen Übergriffe seit Jahren etwa gleich bleibt, während die Zahl der verbalen Attacken und Bedrohungen massiv steigt: Wurden 2014 lediglich 20 Bedrohungen registriert, waren es 2016 bereits 74 und 2017 schon 116.

Hoffnungsvoll stimmt jedoch, dass die Zunahme verbaler Attacken nicht zwangsläufig dazu führt, dass auch die Zahl der körperlichen Gewalttaten steigt. Viel scheint davon abzuhängen, dass Ärzte und Klinikpersonal im Umgang mit aggressiven Patienten geschult sind.