FormalPara Hintergrund

Die direkt postoperative (adjuvante) Radiotherapie der Prostataloge bei postoperativem PSA (prostataspezifisches Antigen) im Nullbereich, aber vorhandenen Risikofaktoren wie R1 und/oder T3 ist zur Verbesserung der biochemischen Kontrolle eine evidenzgesicherte Behandlungsoption beim lokalisierten Prostatakarzinom nach radikaler Prostatektomie [1,2,3]. Allerdings bekommt nicht jeder Patient mit Risikofaktoren ohne adjuvante Radiotherapie ein PSA-Rezidiv, sodass die adjuvante Radiotherapie zumindest in manchen Fällen eine Übertherapie darstellt. An vielen Zentren wird heutzutage daher die frühe Salvage-Radiotherapie der Prostataloge bei Patienten mit PSA-Rezidiv favorisiert [4].

Die adjuvante Radiotherapie scheint aufgrund des kürzeren Intervalls zwischen Prostatektomie und Radiotherapie mit einer höheren Rate an Nebenwirkungen einherzugehen als die Salvage-Radiotherapie [5], wobei retrospektive Vergleiche der beiden Therapieansätze suggeriert haben, dass die adjuvante Radiotherapie im Vergleich zur frühen Salvage-Radiotherapie mit besseren Tumorkontrolldaten assoziiert ist [5, 6].

Auf dem Jahreskongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2019 in Barcelona wurden erstmals prospektive, randomisierte Daten zum Vergleich von adjuvanter bzw. früher Salvage-Radiotherapie nach radikaler Prostatektomie vorgestellt: Die RADICALS-Studie ist eine randomisierte Phase-III-Studie, die eine direkte adjuvante Radiotherapie mit einer Überwachung und frühen Salvage-Radiotherapie im Falle eines PSA-Rezidivs nach radikaler Prostatektomie vergleicht. Die ARTISTIC-Metaanalyse analysiert neben den RADICALS-Daten noch die Daten der vergleichbaren Studien RAVES und GETUG-AFU 17.

FormalPara Patientengut und Methoden

RADICALS-RT (NCT00541047) ist eine randomisierte Phase-III-Studie, die 1396 Patienten mit postoperativem PSA ≤0,2 ng/ml und mindestens einem Risikofaktor (pT3/4, Gleason-Score 7–10, positive Resektionsränder oder präoperatives PSA ≥10 ng/ml nach radikaler Prostatektomie) einschloss. Männer wurden nach dem Zufallsprinzip der adjuvanten Radiotherapie der Prostataloge oder einer Überwachung mit einer frühen Salvage-Radiotherapie der Prostataloge im Falle eines PSA-Rezidivs (PSA ≥0,1 ng/ml oder 3 aufeinanderfolgende Anstiege) zugeteilt (Überwachungsarm). Der primäre Endpunkt war Fernmetastasenfreiheit, wobei die Studie so angelegt war, eine Überlegenheit der adjuvanten Radiotherapie von 90 auf 95 % nach 10 Jahren festzustellen. Das biochemische progressionsfreie Überleben, die Abwesenheit einer antihormonellen Salvage-Therapie und die Behandlungstoxizitäten sind sekundäre Endpunkte, welche die Autoren kürzlich auf der ESMO-2019-Konferenz präsentierten. In der Studie wurde nach Gleason-Score, Resektionsstatus, RT-Schema (52,5 Gy/20 f, 66 Gy/33 f) und Zentrum stratifiziert und die Patienten zwischen Oktober 2007 und Dezember 2016 in Großbritannien, Dänemark, Kanada und Irland rekrutiert.

Die ARTISTIC-Collaboration-Metaanalyse umfasste drei randomisierte Studien, welche jeweils eine adjuvante Radiotherapie der Prostataloge mit einer Überwachungsstrategie und einer frühen Salvage-Radiotherapie der Prostataloge im Falle eines PSA-Rezidivs bei Männern nach radikaler Prostatektomie verglichen: RADICALS (ISRCTN40814031), GETUG-AFU 17 (NCT00667069) und RAVES (NCT00860652). Die Metaanalyse wurde vorab geplant, bevor die Ergebnisse der einzelnen Studien bekannt wurden, um durch eine höhere Patientenzahl die statistische Aussagekraft zu erhöhen. Primärer Endpunkt war das ereignisfreie Überleben, wobei für die RAVES-Studie nur die biochemische Kontrolle als Endpunkt vorlag.

FormalPara Ergebnisse

In der RADICALS-Studie erhielten 93 % (649/697) der Männer in der adjuvanten Behandlungsgruppe ihre Radiotherapie innerhalb von 5 Monaten. 33 % der Männer (228/699) im Überwachungsarm erhielten innerhalb von 8 Jahren eine Salvage-Radiotherapie. 66 % Prozent (166/649) der Männer in der adjuvanten Behandlungsgruppe und 31 % (71/228) der Männer im Überwachungsarm erhielten eine zusätzliche antihormonelle Therapie.

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren betrug das biochemische progressionsfreie Überleben in der adjuvanten Bestrahlungsgruppe 85 % und 88 % im Überwachungsarm (Hazard Ratio [HR] 1,10; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,81–1,49; p = 0,56). Das biochemische progressionsfreie Überleben nach 5 Jahren in der adjuvanten Bestrahlungsgruppe betrug 85 % im Vergleich zu 88 % im Überwachungsarm (HR 1,10; 95 %-KI 0,81–1,49; p = 0,56). Die Rate an Abwesenheit einer antihormonellen Salvage-Therapie nach 5 Jahren betrug 92 % nach adjuvanter. Radiotherapie und 94 % im Überwachungsarm (HR 1,24; 95 %-KI 0,76–2,01; p = 0,39).

Die von den Patienten selbstberichtete („patient-reported outcomes“) Harninkontinenz war nach einem Jahr mit 5,3 % der Patienten nach adjuvanter Radiotherapie ausgeprägter als mit 2,7 % im Überwachungsarm (p = 0,008). Bei 8 % der adjuvant bestrahlten Patienten und bei 5 % der Patienten im Überwachungsarm (p = 0,03) wurde eine Harnröhrenstriktur (Grad 3/4) nach RTOG-Kriterien festgestellt, wobei der gesamte Nachbeobachtungszeitraum berücksichtigt wurde. Für die Beurteilung des Gesamtüberlebens und des primären Studienendpunkts Freiheit von Fernmetastasen ist eine längere Nachuntersuchung erforderlich, sodass diese Daten noch ausstehen.

Die Ergebnisse der ARTISTIC-Metaanalyse basieren auf allen 2151 Männern, die in den drei Studien eingeschlossen wurden, von denen 1074 einer adjuvanten Radiotherapie zugeführt wurden und 1077 Männer eine Überwachung mit früher Salvage-Radiotherapie im Falle eines PSA-Anstiegs erhielten. Zum Zeitpunkt der Auswertung hatten 395 Männer (37 %) im Überwachungsarm eine Salvage-Radiotherapie erhalten. Die Patienteneigenschaften waren innerhalb der Studien und insgesamt ausgewogen. Das Durchschnittsalter war 65 Jahre, und die meisten Patienten (77 %) hatten einen Gleason-Score von 7. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 47–61 Monate.

Basierend auf 245 Ereignissen ergaben sich in der Metaanalyse keine Hinweise darauf, dass eine adjuvante Radiotherapie das ereignisfreie Überleben verbessert im Vergleich zur Überwachung mit früher Salvage-Radiotherapie (HR 1,09; 95 %-KI 0,86–1,39; p = 0,47). Der potenzielle absolute Unterschied im ereignisfreien Überleben nach 5 Jahren betrug 1 % zugunsten des Überwachungsarms.

Schlussfolgerung der Autoren

RADICALS

Erste Ergebnisse der RADICALS-RT-Studie zeigen keinen Vorteil für die adjuvante Radiotherapie nach radikaler Prostatektomie, wobei das Risiko von urogenitalen Nebenwirkungen nach adjuvanter Radiotherapie erhöht ist. Längere Nachbeobachtungszeiten sind zur Beurteilung des fernmetastasenfreien Gesamtüberlebens notwendig. Eine Überwachungsstrategie mit früher Salvage-Radiotherapie im Falle eines PSA-Anstiegs wird als Standardbehandlung nach radikaler Prostatektomie empfohlen.

ARTISTIC

Diese Metaanalyse legt nahe, dass eine Überwachungsstrategie mit früher Salvage-Radiotherapie bzw. adjuvanter Radiotherapie vergleichbare Ergebnisse für das ereignisfreie Überleben bietet. Allerdings müssen infolge der Überwachungsstrategie viele Männer überhaupt nicht bestrahlt werden und erfahren deshalb auch keine Nebenwirkungen. Die endgültigen Daten von GETUG-AFU 17 und RAVES werden dabei helfen können festzustellen, ob einige Subgruppen von einer der beiden Behandlungsstrategien profitieren könnten. Für eine Metaanalyse des metastasenfreien Überlebens ist eine längere Nachbeobachtung erforderlich.

Kommentar

Da die radikale Prostatektomie bei den meisten Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom die Primärbehandlung darstellt, wird eine postoperative Radiotherapie nach Prostatektomie, entweder adjuvant aufgrund von Risikofaktoren oder als Salvage-Radiotherapie bei persistierendem oder steigendem PSA, häufiger durchgeführt als eine primäre Strahlentherapie der Prostata. Allerdings liegen im Vergleich für die postoperative Situation deutlich weniger Ergebnisse von randomisierten Studien vor.

Die erfolgreiche Durchführung der Studien RADICALS, GETUG-AFU 17 und RAVES ist eine beachtliche Leistung der jeweiligen Studienteams und erlaubt den ersten prospektiven, randomisierten Vergleich der Behandlungsergebnisse nach einer adjuvanten Radiotherapie verglichen mit einer Überwachungsstrategie mit früher Salvage-Radiotherapie nach radikaler Prostatektomie. Die ersten – nur als Kongressbericht vorliegenden – Daten lassen keinen Wirksamkeitsunterschied zwischen beiden Strategien bzgl. des biochemischen und progressionsfreien Überlebens erkennen. Im Überwachungsarm werden substanziell weniger Männer einer Bestrahlung zugeführt und damit therapiebedingte Nebenwirkungen vermieden. Allerdings sind hierbei folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. 1.

    Einschlusskriterien: Grundsätzlich gelten die vorgelegten Studienergebnisse nur für pN0-Patienten, da nur diese in die Studien eingeschlossen wurden. Patienten mit Lymphknotenmetastasen (pN1) können nämlich durchaus von einer adjuvanten Radiotherapie mit Einschluss der pelvinen Lymphabflussgebiete – zusätzlich zur antihormonellen Therapie – profitieren [7, 8].

  2. 2.

    Patienten mit persistierendem PSA nach radikaler Prostatektomie wurden in den vorliegenden Studien ausgeschlossen. Diese haben nach derzeitiger Datenlage eine schlechtere Prognose als Patienten, deren PSA-Wert nach der Operation im Nullbereich liegt [9] und sollten grundsätzlich direkt einer direkten, postoperativen (Salvage‑)Radiotherapie der Prostataloge zugeführt werden.

  3. 3.

    Die histologische Aufarbeitung der Operationspräparate der Patienten in der größten randomisierten Studie zur adjuvanten Radiotherapie (EORTC 22911) identifizierte einen positiven Resektionsrand (R1) als wichtigsten Parameter zur Vorhersage eines günstigen Ansprechens (bessere biochemische Kontrolle) nach adjuvanter Radiotherapie [10]. Es sind also insbesondere die R1-Patienten, die von der adjuvanten Radiotherapie profitieren. Dies zeigte sich ähnlich auch in den Ergebnissen der ARO-96-02-Studie [11].

  4. 4.

    Bei Betrachtung der Einschlusskriterien der RADICALS-Studie ist festzustellen, dass neben Patienten mit R1-Befund bzw. pT3/4-Stadien auch Patienten mit Gleason-Score 7–10 oder präoperativem PSA ≥10 ng/ml eingeschlossen wurden. Dies darf nicht übersehen werden. Allerdings wurde auch berichtet, dass Patienten mit höherem Gleason-Score mehr von einer adjuvanten Radiotherapie zu profitieren scheinen [12]. Dies zeigte sich auch in Subgruppenanalysen der randomisierten SWOG-8794-Studie [1]. Es könnte also sein, dass in der RADICALS-Studie eine Subgruppe (z. B. R1-Patienten mit oder ohne höheren Gleason-Score) besonders von der adjuvanten Radiotherapie profitiert, was der betreffenden Analyse entgangen ist. Die Vollpublikation mit Subgruppenanalysen muss abgewartet werden, um dies beurteilen zu können. Vermutlich wir auch hier noch eine längere Nachbeobachtungszeit nötig sein, um die Endpunkte Metastasenfreiheit und krebsspezifisches Überleben beurteilen zu können. Die ARTISTIC-Metaanalyse, die auch noch die Daten von zwei vergleichbaren randomisierten Studien berücksichtigt, kann hier sicher wichtige zusätzliche Daten liefern. Sollte eine Subgruppe von Patienten zu identifizieren sein, die aufgrund ihres Risikoprofils besser einer adjuvanten statt einer Salvage-Radiotherapie zugeführt werden sollte, würde diese Patientenselektion sich auch insofern günstig auf die Nebenwirkungshäufigkeit auswirken, als weniger Patienten bestrahlt werden müssten.

  5. 5.

    Neben klinischen bzw. histopathologischen Kriterien könnten auch neue Biomarker eine individualisierte Risikoeinschätzung in der postoperativen Situation nach radikaler Prostatektomie ermöglichen. Es könnte gezeigt werden, dass ein genetischer Klassifikator-Score das Risiko für eine Metastasierung nach radikaler Protatektomie vorhersagen kann, unabhängig davon, welche adjuvante Therapie erfolgte. Sicher profitierten Patienten mit höherem Klassifikator-Score am meisten von der adjuvanten Radiotherapie [13,14,15]. Nach unserem Kenntnisstand wird auch das Biomaterial der RADICALS-Studie im Hinblick auf neue Biomarker analysiert werden, und diese werden die klinischen bzw. histopathologischen Kriterien zur Risikoabschätzung möglicherweise sinnvoll ergänzen.

Fazit

Wenn es nach Prostatektomie ohne weitere Therapie zu einem PSA-Rezidiv kommt, scheinen die Patienten keinen Nachteil davon zu haben, wenn erst dann eine frühe Salvage-Radiotherapie vorgenommen wird anstatt einer direkten adjuvanten Radiotherapie. In der Konsequenz müssen nicht alle Risikopatienten adjuvant bestrahlt werden. Dadurch werden Nebenwirkungen der Strahlentherapie vermieden. Allerdings bleibt unklar, ob Patienten mit einem hohen Risiko für ein Lokalrezidiv (vermutlich v. a. nach R1-Resektionen) nicht doch eher von einer frühzeitigen adjuvanten Radiotherapie profitieren. Die Subgruppenanalyse der Vollpublikationen der hier kommentierten Kongressbeiträge muss abgewartet werden. Um die Metastasierungshäufigkeit und das krebsspezifische Überleben beurteilen zu können, ist eine längere Nachbeobachtung nötig.

Mohamed Shelan, Daniel Aebersold und Pirus Ghadjar