Ätiologie und Epidemiologie

Ätiologie und Pathophysiologie der Dekubituserkrankung sind hinreichend belegt, um sowohl präventiv als auch therapeutisch ausreichend eingreifen zu können. Epidemiologische Daten zeigen, dass in einer alternden Gesellschaft unter Zunahme pflegebedürftiger, bettlägeriger Patienten der Dekubitus ein stetiges Problem darstellt. In geringerer Häufigkeit sind auch jüngere Patienten im Rahmen neurologischer Unfallfolgen und Erkrankungen (Querschnittslähmung, Spina bifida etc.) betroffen.

Jährlich treten in Deutschland schätzungsweise 400.000 bis 500.000 behandlungsbedürftige Druckulzerationen auf. Dabei sind bis zu 10 % der Krankenhauspatienten, 17 % der Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung, 5–8 % der Paraplegiker und etwa 30 % aller im Pflegeheim aufgenommenen oder in geriatrischen Kliniken hospitalisierten Patienten durch Druckgeschwüre betroffen. Die Angaben beruhen auf Schätzwerten oder Hochrechnungen; exakte Zahlen lassen sich kaum ermitteln.

Das Auftreten von Druckgeschwüren, aber auch die Rezidivrate nach plastischer Weichteilrekonstruktion korrelieren klar mit der Immobilität von Patienten und dem erreichbaren Maß an regelmäßiger Druckentlastung [8]. Inzidenzen bei hospitalisierten Patienten liegen zwischen 1 und 11 %. Erweiterte Kenntnisse der Genese und verbesserte Prävention, insbesondere durch Lagerungstechniken, haben zu einer deutlichen Reduktion geführt. Den Effekt einer konsequenten Prophylaxe belegen Daten aus der geriatrischen Klinik des Universitätsspitals Basel, in dem die Inzidenz von 15,5 % auf ca. 1,9 % gesenkt werden konnte.

Nicht zu unterschätzen ist der spontane Lagerungswechsel, der beim Gesunden im Schlaf etwa spontan alle 15 min erfolgt. Alle Arten von Bewusstseinstrübung, insbesondere aber auch Sedierung, heben diesen natürlichen Schutzmechanismus auf. Typischerweise tritt der Dekubitus in fallender Inzidenz in der Sakralregion, Fersen‑, Trochanter- und Malleolarregion auf. Insbesondere bei Intensivpatienten werden weitere Lokalisationen evident, so z. B. nach dorsoventraler Wechsellagerung im Rahmen der Therapie des Lungenversagens, an Stirn, Nase, Kinn, Knien etc. Prädiktive Faktoren für das Auftreten von Druckgeschwüren auf Intensivstationen sind ein BMI ≥30, der Risk-Assessment-Score EMINA sowie Norepinephrin-Gaben [8].

Die Prädilektionsstellen für die Entstehung von Dekubitalulzera sind in Abb. 1 gezeigt [13].

Abb. 1a,b
figure 1

Prädilektionsstellen für die Entstehung von Dekubitalulzera (Aus [13])

Aus den pathophysiologischen Voraussetzungen ergeben sich nicht nur für die Wahl des operativen Verfahrens, sondern vor allem postoperativ hinsichtlich einer Druckentlastung entsprechende Anforderungen an die Lagerung.

Da die Dekubitusinzidenz in der Pflege einen Qualitätsindikator darstellt, wurde dieser in der externen stationären Qualitätssicherung etabliert. Eine Analyse von Routinedaten der Dekubitusdokumentation aller stationärer Patienten des Universitätsklinikums Dresden im Zeitraum 2007–2011 (n = 246.162) ergab eine Dekubitusprävalenz von 1,21 % und eine Dekubitusinzidenz von 0,78 %, wobei deutliche Unterschiede zwischen den Fachabteilungen bestanden (Inzidenz 0,0–12,7 %). Höheres Patientenalter, längere Verweildauer, Behandlung auf Intensivstation sowie Verlegung aus einer stationären Pflegeeinrichtung waren Prädiktoren für das Auftreten inzidenter Dekubitalulzera während der stationären Behandlung. Das Geschlecht und der Schweregrad der Erkrankung waren nicht mit der Dekubitusinzidenz korreliert [4].

Die gestörte Hautbarriere begünstigt eine bakterielle Keimbesiedlung

Pathophysiologisch kommt es bei der Entwicklung von Druckgeschwüren zu einer Kombination aus Minderperfusion des betroffenen Gewebeareals und Behinderung des venösen Abstroms, was aus einer Übersteigung des Kapillardrucks durch den Auflagedruck resultiert. Abhängig von der Dauer der äußerlichen Druckbelastung kommt es durch die anaerobe Stoffwechsellage zu einem schrittweisen Gewebeuntergang bis hin zu tiefreichenden Nekrosen. Die daraus resultierende gestörte Hautbarriere begünstigt die bakterielle Keimbesiedlung, welche wiederum zu lokalen Gewebeinfekten, Osteitis und Osteomyelitis bis hin zu septischen Krankheitsbildern führen kann [10].

Dieser „circulus vitiosus“ eines Gewebeuntergangs kann auch nach einer plastischen Rekonstruktion noch drohen, sodass die Abwendung jedweder Störfaktoren für den Erfolg des Eingriffs entscheidend ist [2].

Indikationen zum operativen Vorgehen

Die Indikationen zum operativen Eingriff ergeben sich einerseits aus Gründen der Pflegeerleichterung, der Schmerzlinderung oder der Prophylaxe von Infektionen sowie zum anderen aus medizinischer Dringlichkeit wie Sepsis, Narbenkarzinom, Osteomyelitis oder Arrosionsblutung ([11]; Tab. 1).

Tab. 1 Operationsindikation beim Dekubitus. (Nach Lüscher 1994; aus [13])

Unzweifelhaft stellt die Prophylaxe die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung des Druckgeschwürs dar, zumal Dekubitus weder eine regelmäßige Folge bestimmter Erkrankungen, noch eine schicksalhafte Begleiterscheinung des Alters ist [7]. Vielmehr sind Druckgeschwüre das Ergebnis sich gegenseitig verstärkender Faktoren. Diese Risikofaktoren kumulieren bei alten Menschen mit einer nachlassenden Kompensationsfähigkeit und häufig mehreren assoziierten Krankheiten sowie dem Grad der Immobilität, können aber bei Adressierung der negativen Parameter positiv beeinflusst werden [1].

Keine noch so gute plastische Weichteilrekonstruktion kann unphysiologischen Druckbelastungen standhalten

Eine plastisch chirurgische Rekonstruktion mit dem Ziel einer Wiederherstellung der Oberflächen und Weichteilkontinuität kann aber nur erfolgreich sein, wenn auch postoperativ ein Lagerungs- und Entlastungsregime im o. g. Sinne umgesetzt wird. Mit anderen Worten kann keine noch so gut durchgeführte plastische Weichteilrekonstruktion einer unphysiologischen Druckbelastung standhalten. Gerade dieses ist eines der Grundprobleme lange bestehender Druckulzerationen aufgrund gewohnheitsmäßiger Aktivitäts- und Belastungsmuster. Aber auch für jüngere physisch aktive Paraplegiker und Spina-bifida-Patienten stellt dies eine große Herausforderung dar.

Ebenso sind aber Patienten mit Polyneuropathien, Diabetes mellitus, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Zustand nach Bestrahlung, Weichteilsarkomen oder Hautkarzinomen in mechanisch belasteten Arealen, Kortisontherapie und Eiweißmangel betroffen. Nutritives Management und Hautpflege sind somit auch nach erfolgreicher plastischer Defektrekonstruktion kritisch.

Von außen bedingte Risikofaktoren sind neben dem Druck und der Zeit, der die betroffene Körperregion diesem Druck ausgesetzt ist, auftretende Schwerkräfte z. B. beim Umlagern des Patienten sowie unphysiologische Temperaturen. Eine feuchte, mazerierte Haut begünstigt ebenso wie eine trockene Haut mit Rhagadenbildung nicht nur die primäre Dekubitusentstehung, sondern auch das Rezidiv nach plastischer Deckung.

Offensichtlich spielt entgegen früheren Annahmen die Wahl der Lappenqualität – fasziokutaner versus myokutaner Lappen – keine Rolle für das Ergebnis. Mit anderen Worten bieten Muskellappen keine Vorteile hinsichtlich früher Komplikationsraten [12].

Prädilektionsstellen und Rekonstruktion

Grundsätzlich können sich die Hautläsionen an allen Körperstellen entwickeln, die nicht durch Muskeln oder Fettgewebe vor erhöhtem Auflagedruck geschützt sind. Am häufigsten ist das Dekubitalulkus im Bereich des Sakrums zu finden, welches bei überwiegend auf dem Rücken gelagerten Patienten auftritt. Weitere vornehmlich betroffene Lokalisationen sind hier die Fersen und die Ellenbogen. Bei Seitenlage sind vor allem der Bereich über dem Trochanter major des Femurs sowie der Bereich über dem Malleolus lateralis am Sprunggelenk gefährdet (Abb. 1).

Das Dekubitalulkus im Bereich des Sakrums stellt aus den folgenden Gründen eine besondere Herausforderung für eine plastisch-chirurgische Rekonstruktion dar:

  • Das lokale Gewebe reicht für eine Defektdeckung häufig nicht aus.

  • Die lokoregionäre Durchblutung ist ebenso wie der Gewebeturgor reduziert.

  • Das Wundgebiet ist durch eine Mischflora, z. T. mit multiresistenten Bakterien kontaminiert bis infiziert.

  • Hohe lokale Druckspitzen im Auflagebereich als wesentlicher pathogenetischer Faktor müssen postoperativ abgefangen werden, um einem Rezidiv vorzubeugen.

  • Die Einheilung auch gut durchbluteter Lappenplastiken erfordert einen adäquat perfundierten lokalen Wundrand im Dekubitusgebiet.

In Bezug auf den Allgemeinzustand sind die allgemeine Morbidität und Mobilität und ebenso die möglichen Belastungen durch den operativen Eingriff zu berücksichtigen [5].

Dekubitusstadium und operative Indikationsstellung

Bezüglich der Stadieneinteilung wurden in der Vergangenheit über 30 verschiedene Klassifikationen entwickelt. Mitentscheidend für die operative Verfahrenswahl sind die Ausdehnung in Tiefe und Fläche, ein eventuell vorhandenes Selbstheilungspotenzial und das Ausmaß der Infektion. Als einen Teil der Leitlinienentwicklung haben das National Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP) und das European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP) eine gemeinsame internationale Definition und Klassifikation von Dekubitus etabliert. Sie entspricht im Wesentlichen der Einteilung nach ICD-10 aus dem Jahre 2010.

Indikation und Wahl des plastischen Rekonstruktionsverfahrens

Sind die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft oder ist das Ausmaß des Defekts bei Diagnosestellung bereits so groß bzw. tief, dass es mit den genannten Maßnahmen nicht zur Abheilung gebracht werden kann, werden chirurgische Maßnahmen erforderlich. Es ist stets zu beachten, dass es sich bei der Dekubituschirurgie um eine symptomatische Behandlung handelt, deren kausale Ursache in den meisten Fällen nicht behandelt werden kann und somit ein entsprechend hohes Rezidivrisiko besteht.

Als Therapieziele gelten vorrangig in der operativen Behandlung des Dekubitus:

  • Verminderung des Proteinverlusts über die Wundflächen

  • Verhinderung von Infektionsfolgen wie Osteitis oder Sepsis

  • Verhinderung sekundärer Organerkrankungen oder Malignome (Narbenkarzinom)

  • Senkung der Pflege- und Rehabilitationsaufwendungen

  • Verbesserung der Lebensqualität, insbesondere Schmerzreduktion

  • Langfristige Stabilität und Belastungsabhängigkeit der Weichteile

Die Indikationen zur chirurgischen Intervention ist entsprechend streng zu stellen (Tab. 1). Liegt ein septisches Krankheitsbild mit Infektfokus im Bereich des Dekubitus oder eine Hämoglobin(Hb-)relevante Blutung aus dessen Wundgrund vor, darf keine Zeit verloren werden. Hier ist eine unmittelbare operative Intervention zur Infektsanierung bzw. Blutstillung indiziert. Ansonsten muss das adäquate operative Therapieverfahren sorgfältig geplant und für den Erfolg dieser Maßnahme müssen bereits präoperativ bestmögliche Voraussetzungen geschaffen werden.

Es steht heute ein breites Spektrum an Verfahren für alle Lokalisationen der Erkrankung zur Verfügung, die von der einfachen Primärnaht bis hin zur komplexen Lappenplastik reichen – je nach Defektausmaß und Lokalisation (Tab. 2). Für die am häufigsten auftretende Läsion, die dorsale Beckenregion, werden in diesem Heft die klassischen und bewährten Lappenplastiken detailliert beschrieben. Dabei kann auf gut durchblutete regionale Muskel-, myokutane oder fasziokutane Lappenplastiken zurückgegriffen werden (Abb. 2; [5]). Entscheidend für den Erfolg ist eine Synopsis aus Patientenvorbereitung [3], Débridement mit Infektsanierung [9], sytematischer operativer Verfahrenswahl (Tab. 2; [5]), und postoperativer Rehabilitation und Prävention [6].

Tab. 2 Systematik der plastischen Defektdeckung bei Dekubitalulzera. (Aus [13])
Abb. 2
figure 2

Anatomisch wichtigste Spendenregionen für fasziokutane und muskulokutane Lappenplastiken zur Deckung von Dekubitalulzera (Aus [13])

figure b

Prof. Dr. P. M. Vogt