Einleitung

Ersetzen Biomarker das ärztliche Denken oder vermögen sie dieses zu bereichern?

In dieser Arbeit sollen die differenzialdiagnostischen und differenzialtherapeutischen Möglichkeiten einer Prokalzitoninbestimmung auf der Intensivstation und bei kritisch kranken Patienten im Notfallzentrum erörtert werden.

Dabei soll insbesondere auf die Interpretation der Prokalzitoninwerte bei bestimmten Erkrankungen bzw. im klinischen Kontext eingegangen werden (Zusammenfassung Tab. 1).

Tab. 1 PCT-Cut-off für spezifische Erkrankungen bzw. klinische Situationen

Die zusätzliche regelmäßige Bestimmung von Prokalzitonin (PCT) als Biomarker wäre dann medizinisch und ökonomisch zu rechtfertigen, wenn es relativ sicher differenzieren könnte zwischen bakteriellen bzw. Pilzinfektionen auf der einen Seite und rein viralen Infektionen bzw. nichtinfektiös bedingten inflammatorischen Zuständen auf der anderen. Dabei sollte es rasch reagieren, den Schweregrad der Erkrankung abbilden und den Behandlungserfolg dokumentieren können. Optimal wäre es, dabei mit einer großen Sicherheit eine Infektion auszuschließen (negativ prädiktiver Wert [NNV]) bzw. nachzuweisen (positiv prädiktiver Wert [PPV]) und dies mit einem klaren „cut-off“ mit möglichst geringem Graubereich (große AUC [Area under the curve] unter der ROC[Receiver-Operating-Characteristics]-Kurve).

In der Therapiesteuerung sollte der Biomarker PCT die Therapiedauer, -nebenwirkungen und -kosten mindern und bestenfalls die Mortalität positiv beeinflussen.

Pathophysiologie und Kinetik

Prokalzitonin (PCT) wurde zuerst 1993 von Assicot et al. als Biomarker für Sepsis und Infektion beschrieben [23].

Der Normwert liegt beim Erwachsenen unter 0,05 ng/ml, mit hochsensitiven Assays lassen sich pathologisch erhöhte Werte ab >0,10 ng/ml differenzieren.

Die Produktion von PCT wird bei inflammatorischen Zuständen durch TNF‑α bzw. Interleukin 6 und 8 stimuliert. Dabei wird PCT nicht nur in der Nebenschilddrüse produziert, sondern bei generalisierten Inflammationen in den verschiedensten Organen. Damit ist die Synthese nicht abhängig von der Funktion eines einzelnen Organs (z. B. Leber). PCT wird bereits 2–4 h nach Beginn der Sepsis positiv, ein Maximum wird nach 24 h erreicht. Danach kommt es täglich zu einem Abfall um ca. 50 %, wenn die auslösende inflammatorische Situation bzw. das infektiöse Agens beherrscht ist. Bei Ausbleiben dieses Rückgangs ließ sich im Therapiemonitoring durch eine dann eingeleitete weitere Therapieeskalation bisher kein Überlebensvorteil ausmachen [24]. Die Rolle des PCT in der immunologischen Kaskade ist nicht vollständig erklärt, eine direkte Beeinflussung z. B. durch Antikörper erbrachte bisher auch im Tierexperiment keinen Therapieerfolg. Ein besonders ausgeprägter Rückgang des PCT fand sich in einer Studie unter kombinierter Thiamin‑, Hydrokortison- und Vitamin-C-Therapie bei den Sepsispatienten mit günstiger Prognose. Inwieweit diese Triple-Therapie immunmodulatorisch direkt auch in die PCT-Kinetik eingreift, muss in weiteren Studien überprüft werden [25].

PCT und Niereninsuffizienz bzw. Leberzirrhose

Bei verminderter renaler Clearance kommt es zu einem verzögerten Abbau des PCT [18]. Bei einer GFR unter 30 ml/min nimmt die HWZ von 24 h auf 40 h zu. Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz haben kurz vor der Einleitung einer Nierenersatztherapie die höchsten spontanen PCT-Werte als Ausdruck eines inflammatorischen Prozesses im Rahmen der beginnenden Urämie. Bei extrakorporalen Nierenersatzverfahren kommt es durch Filtration und Absorption an die Membran zu einer artifiziellen Minderung der Serum-PCT-Spiegel [18]. Bei akut febrilen Patienten mit dialysepflichtigem chronischem Nierenversagen kann PCT nicht sicher zwischen Infektion und Inflammation unterscheiden [26].

Bei Leberzirrhose ist einerseits die hepatische Produktion von PCT vermindert, andererseits kommt es speziell bei Vorliegen einer portalen Hypertension durch intestinale Translokation und „shunting“ von Bakterienbestandteilen und Entzündungsmediatoren zu einer vermehrten (extrahepatischen) Bildung von PCT. Die basale PCT-Erhöhung korreliert dabei schwach mit dem MELD-Score. Proportional zur Erhöhung des Gesamtbilirubins müssen, um eine ausreichende Spezifität für das Vorliegen einer Infektion zu erlangen, höhere Cut-off-Werte für das PCT gewählte werden. Bei einem schweren akuten Leberschaden (ASH, NASH, akutes Leberversagen) kommt es über die Kaskade DAMP – Lymphozyt – IL-6/IL-8/TNF‑α zu einer Induktion von PCT ([19, 27]; s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Induktion von PCT bei Patienten mit Leberzirrhose. LPS Lipopolysaccharide, IL Interleukin, TNF Tumornekrosefaktor, DAMPs „damage-associated molecular patterns“. (Modifiziert nach Dong [27])

PCT in Abhängigkeit des infektiösen Agens

Durch die Interferonsynthese im Rahmen von viralen Infektionen wird die PCT-Bildung gehemmt. Damit ergibt sich eine erhöhte Spezifität für bakterielle bzw. mykotische Infektionen. Höchste PCT-Werte finden sich im Rahmen von gramnegativen generalisierten Infektionen (insbesondere E.-coli-Sepsis mit urogenitalem Ursprung). Bei Kandidasepsis sind die zu erwartenden PCT-Werte niedriger als bei bakteriellen Infektionen [2]. Eine Ausnahme bilden Septikämien mit Candida-tropicalis-Infektionen. Eine Kombination aus deutlich erhöhtem (1,3)-β-D-Glucan (Serum) und moderatem PCT erhöht den positiven prädiktiven Wert [3]. Patienten mit bakteriell bedingter Pneumonie weisen höhere PCT-Werte auf als Patienten mit viraler oder atypischer Pneumonie. Eine Ausnahme bilden Pneumonien durch Infektion mit Legionellen [4]. Bei Lungentuberkulose besteht eine Korrelation zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und der Höhe des PCT [28].

PCT bei verschiedenen Erkrankungen

PCT bei Immunsuppression bzw. Leukopenie

Die Therapie mit Glukokortikoiden beeinflusst das PCT nicht signifikant. Patienten mit anderen Immunsuppressiva bzw. Leukopenie wurden aus den Studien zur Antibiotikasteuerung ausgeschlossen. Insgesamt ist hier aufgrund der reduzierten zellulären und humoralen Inflammationsreaktion mit einer verminderten PCT-Produktion zu rechnen. Zum Ausschluss einer schweren bakteriellen Infektion müssen daher niedrigere Cut-off-Werte verwendet werden. Die maximalen PCT-Werte sind dann insgesamt niedriger als bei nichtneutropenen Patienten. Bei Vorliegen eines septischen Schocks sind aber signifikant erhöhte Werte im Vergleich zur lokalen Infektion oder zum nichtinfektiös bedingten Fieber zu messen. Die Höhe des PCT kann zwischen Fieber unklarer Ätiologie (FUO) oder lokaler Infektion auf der einen Seite und schwerer lebensbedrohlicher Infektion auf der anderen Seite differenzieren helfen [15].

PCT und Sepsis

Die Höhe des PCT korreliert gut mit dem SOFA-Score [29] und damit auch mit den Kriterien der aktuellen Sepsis-3-Definition. Eine PCT-Bestimmung in der Notaufnahme bei Patienten mit Fieber lässt Rückschlüsse auf die Notwendigkeit einer Aufnahme auf die Intensivstation zu, in Kombination mit der klinischen Einschätzung ergibt sich eine hohe Sensitivität und Spezifität [30].

In der MOSES-Studie zeigten serielle PCT-Messungen eine signifikante Prognosevorhersage bei Patienten mit schwerer Sepsis [31]. Bei adäquater Sepsistherapie kommt es innerhalb der folgenden 72 h zu einem signifikanten Abfall des PCT.

Eine Kombination aus (q)SOFA-Wert und dem PCT verbessert zusätzlich die Möglichkeit. Patienten mit niedriger und hoher Mortalität zu unterscheiden [32]. In einer Studie aus Südkorea zeigte PCT in einer Multivariatanalyse eine Odds-Ratio von 2,004 (1,240–3,238) bezüglich des Überlebens von Sepsispatienten nach der Sepsis-3-Definition [1].

PCT-Werte über 1,0 ng/ml machen die Diagnose einer Sepsis wahrscheinlich, unter 0,50 ng/ml wird die Diagnose unwahrscheinlicher.

Wegen der hohen Morbidität und Letalität der Sepsis und des septischen Schocks ist bei initial niedrigem PCT-Wert erst nach einer Kontrolle die Sicherheit ausreichend, um die Differenzialdiagnose Sepsis infrage zu stellen und die eingeleitete antiinfektive Therapie zu beenden. Ein initialer PCT-Wert unter 0,50 ng/ml bei der Verdachtsdiagnose Sepsis sollte jedoch immer eine Intensivierung der differenzialdiagnostischen Überlegungen für das progrediente Organversagen induzieren.

Patienten mit Leberzirrhose haben bezüglich der (q)SOFA-Kriterien eine niedrigere Spezifität für die Differenzialdiagnose Sepsis [33]. Patienten mit Leberzirrhose sind im Rahmen ihres hyperdynamischen Kreislaufs auch ohne Infektion oftmals hypoton und im Rahmen einer hepatischen Enzephalopathie bewusstseinsverändert. Hier kann PCT zur Abgrenzung dienen.

PCT und Tumorpatienten

Tumorpatienten zeigen in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung erhöhte basale PCT-Werte. Dabei zeigen insbesondere auch Patienten mit akuten Leukämien oder Lymphomen PCT-Erhöhungen [20]. Nur bei deutlich erhöhtem PCT kann dieses zwischen tumorbedingtem Fieber und bakteriellen Infektionen differenzieren. Neuere immunvermittelte bzw. immunmodulatorisch wirksame Chemotherapeutika können PCT signifikant erhöhen, bei sepsisähnlichen Krankheitsbildern ist dann oftmals ein pragmatischer Ansatz aus antiinfektiver und immunsupprimierender Therapie notwendig.

PCT und Pankreatitis

Ob PCT zwischen der reinen Inflammation oder der sekundären Infektion bei schwerer nekrotisierender Pankreatitis unterscheiden kann, ist derzeit ungeklärt und Gegenstand einer aktuellen Studie (PROCAP, 2019; [34]). Verlaufsbeobachtungen zeigen bereits initial erhöhte PCT-Werte bei besonders schweren Krankheitsformen. Bei Patienten mit hoher Mortalität kommt es dabei im weiteren Verlauf nicht zu einem signifikanten Abfall bzw. zu einem erneuten sekundären Anstieg. Die Höhe des PCT korreliert mit dem Auftreten eines Multiorganversagens [9]. Bei biliärer Pankreatitis ist das initiale PCT – durchaus auch als Ausdruck einer (Begleit)cholangitis – höher als bei anderen Ätiologien [8].

PCT und schwere viral bedingte Pneumonien

Signifikante PCT-Erhöhungen werden bei viralen Pneumonien, z. B. Influenza (H1N1), als Ausdruck einer sekundären bakteriellen Infektion gewertet [35]. Bei intensivpflichtigen respiratorabhängigen Patienten empfehlen die Leitlinien jedoch wegen der ausgeprägten Vulnerabilität unabhängig von der Höhe des PCT eine (prophylaktische) Antibiotikatherapie [36].

In einer Metaanalyse von 4 Studien zur Coronaviruserkrankung (COVID-19) zeigte sich das PCT mit der Erkrankungsschwere korreliert (OR 4,76). Ein PCT-cut-off-Wert von >0,5 ng/ml wurde dabei angewandt. Inwieweit die PCT-Erhöhung bei prognostisch ungünstigeren Verlaufsformen Ausdruck einer bakteriellen Superinfektion oder einer ausgeprägten IL-6-Produktion ist, bleibt vorerst ungeklärt [6].

PCT und Exazerbation einer COPD

Die Bestimmung von PCT konnte bei weniger schwer kranken Patienten mit V. a. einen Infekt der unteren Atemwege gut zwischen bakterieller und viraler Ätiologie unterscheiden und damit den Antibiotikaverbrauch reduzieren [37].

Intensivpflichtige Patienten mit exazerbierter COPD (AECOPD) jedoch zeigen eine erhöhte 3‑Monats-Mortalität, wenn sie aufgrund eines erniedrigten PCT-Werts initial nicht mit Antibiotika therapiert werden [7]. Die Einleitung einer Antibiotikatherapie kann also in dieser Patientengruppe nicht von dem (initialen) PCT-Wert abhängig gemacht werden. Dabei sollte aber der persistierend niedrige PCT-Wert an die Differenzialdiagnosen der Exazerbation (Überwässerung, Lungenembolie, viraler Infekt) denken lassen.

PCT und Autoimmunerkrankungen

Das Vorliegen von Inflammationszeichen bei Autoimmunerkrankungen lässt differenzialdiagnostisch an einen Schub der Grunderkrankung oder an eine Infektion (meist im Rahmen der immunsuppressiven Therapie) denken. Bei Patienten mit aktiven Autoimmunerkrankungen ist das PCT mäßig erhöht. Hier ist besonders bei der Granulomatose mit Polyangiitis eine PCT-Erhöhung festzustellen [11]. In einer Metaanalyse fand sich für den systemischen Lupus erythematodes kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten mit einem Schub des SLE vs. Patienten mit Infektion [10]. In dieser Metaanalyse waren sehr heterogene Einzelstudien eingeschlossen. Bei Patienten mit rheumatoider Polyarthritis kann PCT helfen, zwischen inflammatorischem Schub und septischer Arthritis zu unterscheiden [38]. Eine Infektion künstlicher Gelenke lässt sich mit PCT-Bestimmung dagegen nicht detektieren. Bei Patienten mit adultem M. Still ist in febrilen Phasen vermittelt durch TNF‑α eine signifikante PCT-Erhöhung festzustellen [39]. Tab. 2 zeigt Autoimmunerkrankungen mit PCT-Erhöhung im Rahmen der Krankheitsaktivität der Grunderkrankung.

Tab. 2 Autoimmunerkrankungen mit PCT-Erhöhung

PCT bei Meningitis/Ventrikulitis

Bei bakterieller Meningitis ist das PCT im Serum im Vergleich zur viralen Ätiologie signifikant erhöht [40]. Auch bei Ventrikulitis im Rahmen einer nosokomialen Infektion finden sich deutlich erhöhte PCT-Werte im Serum [14].

PCT bei kardiogenem Schock und nach Reanimation

Bei kardiogenem Schock ist das PCT unabhängig vom Vorliegen einer Infektion erhöht. Als mögliche Erklärung findet sich eine bakterielle intestinale Translokation im Rahmen der Organminderperfusion. Dabei finden sich allerdings niedrigere Werte als beim septischen Schock. Ein Anstieg des PCT nach einem ersten Gipfel nach 48 h spricht für das Auftreten von infektiösen Komplikationen [16].

Patienten nach NSTEMI oder STEMI ohne Vorliegen eines Schocks haben nur selten PCT-Erhöhungen, wenn keine zusätzlichen infektiösen Probleme vorliegen [41].

Nach Reanimation korreliert das PCT mit der Prognose. Niedrige PCT-Werte (in Kombination mit niedrigen S100B-Werten) finden sich bei Patienten mit guter neurologischer Prognose [42].

Bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz ergeben sich bei erhöhtem PCT-Wert (>0,20 nl/ml) Hinweise auf eine zusätzlich infektiöse Komponente (z. B. stauungsbedingte Infiltrate). Im akutellen IMPACT-EU Trial (Rekrutierungsphase) wird dieser „cut-off“ als Kriterium für den Beginn einer Antibiotikatherapie überprüft.

PCT (post)operativ

Insbesondere nach viszeralchirurgischen Eingriffen ist postoperative das PCT erhöht. Die höchsten PCT-Werte werden am 2. postoperativen Tag nachgewiesen, dabei kommt es bei komplikationslosem Verlauf nach 72 h zu einem signifikanten Rückgang des PCT. Eine Persistenz oder sekundäre Erhöhung lässt an eine infektiöse Komplikation denken. Bei streng lokalisierten Infektionen (Abszess) ist aber nicht mit einem ausgeprägten PCT-Anstieg zu rechnen. Dabei zeigt sich für niedrige PCT-Werte ein hoher NPV bei geringer Spezifität.

Bei Hohlorganperforationen mit Peritonitis korrelieren erhöhte PCT-Werte mit der Mortalitätsrate und es ergibt sich durch eine PCT-gesteuerte Antibiotikatherapie ein Trend zu einer Reduktion der Therapiedauer [43].

Ähnliches gilt für Patienten mit ausgeprägten Traumen (Korrelation mit dem Injury Severity Score, ISS) oder Verbrennungen. Bei Patienten mit Trauma und initial erhöhtem PCT findet sich eine Assoziation mit dem Auftreten septischer Komplikationen und der Mortalität [22].

PCT und nosokomiale Infektionen

Pathogene Keime mit niedriger Virulenz, die häufig Auslöser nosokomialer Infektionen sind (Entercoccus faecium, Acintobacter baumannii, koagulasenegative Staphylokokken), führen nur zu geringen PCT-Anstiegen [24].

Bei Patienten mit Aspirationspneumonie kann das PCT nicht zwischen Infektion vs. Pneumonitis z. B. nach Aspiration von Magensäure unterscheiden [44].

Die PCT-Bestimmung hilft nicht zur Erfassung von nosokomialen ventilatorinduzierten Pneumonien. Erst wenn durch diese eine Sepsis induziert wird, steigt das PCT signifikant an.

Bei Patienten mit ausgeprägter Störung des Bewusstseins und Gefahr einer Aspirationspneumonie zeigt sich nur ein geringer diagnostischer Zusatznutzen durch die PCT-Bestimmung [13].

Bei Patienten an der ECMO wird durch den extrakorporalen Kreislauf eine systemische Inflammationsreaktion induziert. Patienten mit kulturell nachgewiesener Infektion haben signifikant höhere PCT-Werte als Patienten ohne Infektion (23,4 ± 31,8 ng/ml vs. 1,78 ± 1,74 ng/ml; [45]).

PCT zur Steuerung der Antibiotikatherapiedauer

Die Therapiesteuerung mittels Biomarker sollte die Therapiedauer, -nebenwirkungen und -kosten mindern und die Mortalität erniedrigen [46]. Aufgrund der aktuellen Studienlage sind diese Kriterien nicht eindeutig zu klären:

Es existieren Algorithmen, durch serielle Messungen von PCT die Dauer der Therapie mit Antibiotika zu steuern. Dabei wird ein Absetzen der antiinfektiven Therapie bei schweren Infektionen empfohlen, wenn das PCT unter 0,50 ng/ml gefallen ist oder ein Rückgang auf 80 % des Maximalwerts festgestellt wird. Die Studie von de Jong [47] bei Patienten auf der Intensivstation (mittlerer SOFA-Score 6) zeigte dabei einen Rückgang der Antibiotikadauer um durchschnittlich 1,22 Tage auf durchschnittlich 5 Tage (Konfidenzintervall 95 %) ohne Beeinflussung der Mortalität der eingeschlossenen Patienten. Insgesamt fand sich – außer in der Metaanalyse von Wirz et al. [48] mit einer Odds-Ratio von 0,89 (95 %-Konfidenzintervall 0,80–0,99 p = 0,03) – in allen Studien kein signifikanter Mortalitätsunterschied und auch die Aufenthaltsdauern auf der Intensivstation unterschieden sich nicht [49, 50]. Eine weitere Metaanalyse zeigte eine geringere Antibiotikatherapiedauer unter PCT-Steuerung insbesondere für Patienten mit E. coli-Urogenitalinfektion oder Pneumokokkenpneumonie [51].

Auffällig war, dass in den Studien zur Überprüfung der Prognose die Adhärenz für das PCT-gesteuerte Protokoll – wohl beeinflusst durch klinische Kriterien – bei unter 50 % lag. Dabei wurde die Antibiotikatherapie bei nahezu allen Patienten innerhalb der folgenden 48 h beendet [52].

Eine Therapiesteuerung mittels PCT erbrachte somit bisher nur eine Reduktion der Antibiotikatherapiedauer. Das Ausmaß war dabei abhängig von der Dauer der Therapie in der Kontrollgruppe. Bei insgesamt bestehender Tendenz zur kürzeren Antibiotikatherapiezyklen im Rahmen eines Antibiotic Stewardship sind diese Differenzen geringer. Der ökonomische Aspekt ist dabei abhängig vom Preis der verwendeten Antiinfektiva.

Sicherlich ist eine Reduktion der Antibiotikatherapiedauer positiv im Sinne einer Minderung individueller Nebenwirkungen und im gesamtgesellschaftlichen Kontext relevanter bakterieller Resistenzentwicklung.

Ein sinnvoller Ansatz wäre die Durchführung von Studien zur Erfassung der Häufigkeit antibiotikaassozierter Nebenwirkungen (insbesondere Clostridium-difficile-Infektion, Entwicklung von Multiresistenzen) mit und ohne PCT-Steuerung. Dabei müsste die Protokolladhärenz >80 % in der PCT-gesteuerten Gruppe betragen und einem Vergleich mit einem strikten Antibiotic-Stewardship-Programm standhalten [53].

In einem „Delphi-Prozess“ haben 2019 18 Experten aus Intensivmedizin und Infektiologie länderübergreifend ein Positionspapier zum differenzialtherapeutischen Gebrauch von PCT veröffentlicht. In Tab. 3 findet sich der Algorithmus für vermutete schwere Infektion (SOFA-Score-Anstieg) von Patienten auf der Intensivstation. In allen Fällen (!) wird hier frühzeitig („golden hour“ of Sepsis) eine Antibiotikatherapie begonnen. Passt der PCT-Wert (auch wiederholt) nicht zur Verdachtsdiagnose, soll das differenzialdiagnostische „work-up“ intensiviert werden. Ein Absetzen der antiinfektiven Therapie wird bei persistierend niedrigen Werten empfohlen oder bei Erreichen eines PCT-Werts <0,5 ng/ml (bzw. <80 % des Maximalwerts; [54]). In der Empfehlung wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Vorsicht geboten sein solle bei der Anwendung des Algorithmus bei Patienten mit Immunsuppression, Pankreatitis, Trauma, Schwangerschaft, nach Massentransfusionen und Malaria. Ausgeschlossen sind auch Patienten mit chronischen Infekten wie Osteomyelitis und Endokarditis.

Tab. 3 Diagnostik- und Therapiealgorithmus. (Nach [54)]

Schlussfolgerungen

Nach Durchsicht der aktuellen Studien zeigt sich für die differenzialdiagnostische Interpretation des Prokalzitonins ein sehr heterogenes Bild. Dabei finden sich für eindeutig niedrige Werte (<0,25 ng/ml) akzeptable negative prädiktive Werte für das Nichtvorliegen einer bakteriellen Infektion.

Bei schweren klinischen Verläufen muss aber, bevor insbesondere die Diagnose einer Sepsis verworfen werden kann, eine Wiederholungsmessung dies bestätigen. Bei Patienten, die sich mit akuten Organfunktionsstörungen ([q]SOFA) bzw. dem klinischen Bild eines Schocks vorstellen, erhärtet eine deutliche Erhöhung des PCT die Verdachtsdiagnose eines infektiösen Ursprungs. Bei niedrigen Werten ist der differenzialdiagnostische „work-up“ zu intensivieren.

Die Höhe des PCT korreliert gut mit der Prognose und ist zusammen mit dem klinischen Bild ein Argument für die Aufnahme auf die Intensivstation.

Problematisch sind PCT-Werte in einem Graubereich (0,25–1,00 ng/ml) und bei schweren nichtinfektiös bedingten inflammatorischen Auslösern (Trauma, Pankreasnekrose, OP etc.). Hier ist fraglich, ob sich neben der klinischen Einschätzung und dem klassischen differenzialdiagnostischen Vorgehen (Bildgebung, Mikrobiologie, konventionelles Labor etc.) ein zusätzlicher Nutzen für die PCT-Bestimmung finden kann. Insbesondere bei lokalen Infektionen sind die Veränderungen des PCT zum sicheren Nachweis einer bakteriellen Ursache zu gering.

Interessant ist das PCT für den Kliniker also immer nur im Kontext mit anderen Parametern und insbesondere der klinischen Einschätzung.

Daher sind auch alle PCT-gesteuerten Therapieempfehlungen immer mit Verweis auf den klinischen Kontext verknüpft. Angesichts des finanziellen Aufwands für wiederholte PCT-Messungen kann also in eindeutigen klinischen Situationen auch auf diese verzichtet werden und der Kliniker darf damit individuell für jeden Patienten entscheiden, wann er das PCT als zusätzliche Information benötigt.

Individuell und kritisch eingesetzt kann das PCT die differenzialdiagnostischen und differenzialtherapeutischen Überlegungen des Intensivmediziners durchaus ergänzen.

Fazit für die Praxis

  • In einem deutlich erhöhten Bereich (PCT > 1,0 ng/ml) vermag es Prokalzitonin sehr gut, bakterielle bzw. mykogene generalisierte Infektionen von Inflammationen anderer nichtinfektiöser Ursachen zu unterscheiden.

  • Die Höhe des PCT korreliert bei schweren Infektionen gut mit der Prognose.

  • Durch regelmäßige Kontrollen kann die Steuerung der Antibiotikatherapie ergänzt werden.

  • Bei konstant eindeutig niedrigen Werten (PCT < 0,25 ng/ml) ist eine bakterielle Infektion unwahrscheinlich.

  • In einem Graubereich (PCT = 0,25–1,00 ng/ml) finden sich diverse Differentialdiagnosen als Ursache (Tab. 1).