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„Mit dem Reizthema Ärzte/Freizeit/Einkommen werden bereits seit Langem beliebte Klischees bedient. Verlängerte Praxisöffnungszeiten werden kein einziges der Probleme im Gesundheitswesen lösen.“

Prof. Dr. med. Gerhard Grevers Chefredaktion

Noch bevor das Land in die alljährliche Feiertagsagonie verfiel, brachte sich der GKV-Spitzenverband Ende 2018 noch einmal publikumswirksam und in gewohnt provokativer Manier in Stellung: Deutlich mehr Arztpraxen sollten aus Sicht der Krankenkassen auch am frühen Abend und samstags für die Patienten da sein. „Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte“, so zitiert der Ärztenachrichtendienst änd am 20.12.2018 den Vize-Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus von Stackelberg, der ja schon in der Vergangenheit häufiger durch Präpotenz und Polemik als durch konstruktive Arbeit aufgefallen ist. Wobei man sich natürlich immer fragen muss, wem solch provokativer Unfug nützt — dem ohnehin schon bis an die Schmerzgrenze belasteten Verhältnis zwischen GKV und niedergelassener Ärzteschaft sicher nicht.

Mit dem Reizthema Ärzte/Freizeit/Einkommen werden ja bereits seit Langem beliebte Klischees bedient und natürlich lässt auch diesmal die Reaktion der einschlägigen Presse nicht lange auf sich warten. Und, wen wundert’s, auch die anderen üblichen Verdächtigen nutzen das Thema gerne zur Profilierung. Aus der Politik meldet sich etwa MdB Lauterbach mit markig-dilettantischen Sprüchen auf Stammtischniveau zu Wort (u.a. „die Ärzte verbringen zu viel Zeit auf dem Golfplatz“). Diese dummdreisten Äußerungen haben selbst Parteifreunde nachhaltig verärgert. SPD-Mitglied Sandra Blumenthal etwa, Hausärztin aus Potsdam, hat in einem offenen Brief an den „Genossen Karl“ ihrem Ärger Luft gemacht: „... ich zweifle an Deiner Expertise als Gesundheitspolitiker“. Well done, Frau Kollegin, diese Zweifel hegen wir allerdings schon seit Jahrzehnten! „Populismus hilft nicht“ überschreibt denn auch folgerichtig Werner Bartens, durchaus ärztekritischer Medizinredakteur der Süddeutschen Zeitung, seinen Artikel zur geplanten Verlängerung der Arztsprechstunden vom 21.12.2018. Und weiter: „Wer die Praxis früher schließt, geht selten auf den Golfplatz, sondern arbeitet Verwaltung ab.“

Was sollen die vorgeschlagenen verlängerten Öffnungszeiten denn auch bringen? Gerade in der HNO, aber auch in vielen anderen Fachdisziplinen, kommt es doch häufig gar nicht darauf an, ob ein Behandlungstermin am gleichen oder darauffolgenden Tag möglich ist. Zudem ist die Zahl der wirklichen Notfälle gerade in unserem Fach in der Praxis wirklich überschaubar, vielfach handelt es sich um Bagatellerkrankungen; das wird im Übrigen auch von den Notfallambulanzen der Kliniken beklagt, in denen sich am Wochenende ebendiese Patienten einfinden. Und wie verhält es sich eigentlich mit den zahlreichen „no-shows“, Patienten, die ohne Absage den Termin versäumen? Auch diese Fälle sind den meisten Kollegen bestens bekannt. Konsequenz — keine.

Die Versorgung im niedergelassenen Bereich ist in unserem Land weitgehend flächendeckend, und funktioniert trotz zunehmender Bürokratisierung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten immer noch recht gut. In kaum einem anderen Land stehen der Bevölkerung weitgehend wohnsitznah bei freier Arztwahl so viele niedergelassene Ärzte zur Verfügung wie in Deutschland. Vielen Menschen in diesem Land und insbesondere den verantwortlichen Politikern scheint dieser privilegierte Zustand nicht bewusst zu sein. Gleichzeitig bemerkt man sehr wohl das abnehmende Interesse nachfolgender Ärztegenerationen an der Tätigkeit in freier Praxis. Genau dieses Problem wird allerdings durch derartig realitätsferne Gesetzesinitiativen der Bundesregierung sicherlich nicht kleiner.

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