Der Verlust an Muskelmasse, -kraft und -leistung mit fortschreitendem Alter (Sarkopenie) geht mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und Morbidität einher. Die Übersichtsarbeit von Kiesswetter et al. beschäftigt sich mit der Rolle von Protein in Prävention und Behandlung von Sarkopenie. Zu dieser Thematik stellen die Wissenschaftler ausgewählte wissenschaftliche Studien vor und bewerten sie: Das Team erläutert, dass eine ausreichende Zufuhr von Nahrungseiweiß die Synthese von körpereigenem Eiweiß und damit auch von Muskeleiweiß stimuliert.
Eine bedeutsame Rolle kommt dabei der Aminosäure Leucin zu. Mit zunehmendem Alter scheint der Skelettmuskel weniger stark auf diesen Stimulus anzusprechen. Die Gründe für dieses als anabole Resistenz bezeichnete Phänomen sind derzeit noch unklar. Zur Überwindung dieser anabolen Resistenz und zur bestmöglichen Erhaltung der Muskelmasse scheinen folgende Aspekte äußerst relevant:
Menge: Unter Berücksichtigung bestehender Erkrankungen wird für Senioren ein Proteinbedarf von mindestens einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag (1,0 g/kg KG/d) diskutiert.
Verteilung: Günstig scheint eine gleichmäßige Verteilung der Eiweißmenge über den Tag: pro Mahlzeit mindestens 0,4 g/kg KG bzw. 25-30 Gramm Eiweiß.
Qualität: Diskutiert wird eine Mindestaufnahme von 2,5-3 g Leucin pro Mahlzeit. Um alle essenziellen Aminosäuren zuzuführen, ist die Kombination pflanzlicher und tierischer Eiweißquellen vorteilhaft.
Relation: Bedeutsam scheint der Aufnahmezeitpunkt des Eiweiß in Relation zur körperlichen Aktivität zu sein.
Supplemente: Isolierte Eiweißgaben zeigen oftmals keine Verbesserung der Muskelparameter.
Die Wissenschaftler betonen, dass sich derzeit noch keine Empfehlungen für den klinischen Alltag ableiten ließen. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere Langzeitstudien, seien notwendig.
Kieswetter E, Sieber CC, Volkert D (2020) Protein intake in older people - Why, how much and how? Z Gerontol Geriat 2020 53:285-289
Kommentar: Die Arbeit bestätigt die Ergebnisse älterer Untersuchungen und die daraus abgeleiteten Empfehlungen, wie sie in der Leitlinie "Klinische Ernährung in der Geriatrie" der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin veröffentlicht sind. Deutlich wird, dass in der Ernährung von Älteren nicht nur besonderes Augenmerk auf die Eiweißmenge, sondern auch auf die -qualität und -verteilung gelegt werden muss. Schon 2017 wurde deshalb mit Blick auf die körperliche Funktionalität der D-A-CH-Referenzwert für Protein für gesunde Erwachsene ab 65 Jahre von 0,8 auf 1,0 g/kg KG/d angehoben. Doch in der Praxis nehmen Ältere oftmals weit weniger Eiweiß zu sich.
Proteinsupplemente sind scheinbar keine Lösung, um die Muskelfunktionalität bei Älteren zu verbessern. Es reicht also nicht, dem Senior oder der Seniorin einen Eiweißdrink vorzusetzen. Hier sind geschulte Pflegekräfte gefragt, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse verfolgen und in die Praxis umzusetzen wissen.