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Im „Journal Club“ werden Originalarbeiten aus der internationalen Fachliteratur referiert und kommentiert.

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Regelmäßige Schulungen und engmaschige Kontrollen der letzten Blutzuckerwerte gehören zur Betreuung von älteren Diabetespatienten dazu.

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Im Alter ändert sich einiges. Viele Handgriffe, darunter die korrekte Dosierung und Einnahme von Medikamenten, machen zunehmend Probleme. Zudem essen Senioren meist weniger als in jüngeren Jahren. Für streng eingestellte Typ-2-Diabetiker steigt damit auch das Hypoglykämierisiko. Derzeit geht man davon aus, dass bei Menschen ab 70 ohnehin die Nachteile eines Ziel-HbA1c < 7,0% schwerer wiegen als die Vorteile. Die American Diabetes Association hält für diese Patienten mittlerweile einen individuellen Spielraum zwischen < 7,5% und < 8,5% für angemessen.

Um Hinweisen auf eine allgemeine Übertherapie älterer Typ-2-Diabetiker nachzugehen, haben Huberta Hart vom University Medical Center Utrecht und Kollegen im Rahmen einer Beobachtungsstudie Patientendaten aus dem Jahr 2016 von fünf niederländischen Zentren der Primärversorgung analysiert. 319 Patienten ab 70 Jahren wurden je nach HbA1c-Therapieziel entsprechend der niederländischen Leitlinie in eine von drei Gruppen (HbA1c 7%; 7,5%; 8%) kategorisiert. Bei einem Zielwert von 7,5% etwa (Patient > 70 Jahre, Metformin plus weitere glukosesenkende Medikamente, Erkrankungsdauer < zehn Jahre) galten alle Patienten mit HbA1c ≤ 7,0% als über- und mit einem Wert > 7,5% als untertherapiert.

Bei den 165 Patienten, die nach der niederländischen Leitlinie der Subgruppe mit dem HbA1c-Ziel > 7% entsprachen, traten mehr mikro- und makrovaskuläre Komplikationen auf als bei Patienten mit HbA1c-Zielwert ≤ 7%. Zudem nahmen die Patienten häufiger fünf oder mehr Medikamente und waren mit einem Frailty Index Score > 0,2 häufiger gebrechlich.

Rund 40% der Senioren zu streng eingestellt

Insgesamt 38,8% der Typ-2-Diabetiker mit dem Zielwert > 7% waren zu streng eingestellt. 43,4% der Gruppe mit dem HbA1c-Ziel ≤ 7,5% waren übertherapiert. Jeder Dritte dieser Patienten war gebrechlich und 91,3% nahmen mindestens fünf Medikamente ein.

In der Gruppe mit dem Therapieziel ≤ 8% waren 36,6% der Patienten übertherapiert, jeder Zweite war gebrechlich. Bei 20,3% der zu streng eingestellten Diabetiker traten Hypoglykämien auf, 29,3% von ihnen berichteten über Stürze. Angesichts der hohen Übertherapierate folgern Hart und Kollegen, dass es noch immer nicht üblich sei, den Blutzucker von älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes individuell einzustellen. Dies könne schwerwiegende Konsequenzen für die Senioren haben, mahnen die Studienautoren. Nach amerikanischen und europäischen Leitlinien sollen Typ-2-Diabetiker ab 70 individuell und weniger streng therapiert werden. Die Leitlinie der Deutschen Diabetesgesellschaft empfiehlt: „Bei neu entdecktem Diabetes im Alter kann bei gesundem und fittem Allgemeinzustand durchaus noch ein HbA1c-Ziel in Richtung 7 bis 7,5% angebracht sein, während bei älteren multimorbiden Patienten mit eher kürzerer Lebenserwartung ein HbA1c-Ziel über 8 % noch tolerabel ist.