Haben Sie schon einmal Mikroplastik gegoogelt? Was stellen Sie fest? Vermutlich: Mikroplastik ist gesundheitsschädlich und überall. Sogar im Stuhl! Obwohl bislang keine negativen Auswirkungen auf den Menschen bekannt sind, steht Mikroplastik laut dem letzten Verbrauchermonitor des Bundesinstituts für Risikobewertung auf Platz zwei der Gesundheitsthemen, die Verbraucher beunruhigen.

Werde ich als Wissenschaftlerin [die zu diesem Thema forscht, Anm. d. Red.] von Freunden oder Bekannten gefragt „Ist Mikroplastik wirklich so schlimm?“ antworte ich: „So einfach ist das nicht.“ Denn wenn wir uns die bisher bekannten Fakten näher ansehen, müssen wir feststellen, dass diese allein nicht das Problem sind.

1 Plastik ist persistent

Beunruhigend ist: Auch wenn inzwischen einige wenige Organismen gefunden wurden, die Polymere zersetzen können, wie zum Beispiel das Bakterium Ideonella sakaiensis 201-F6,Footnote 1 gelten die meisten Plastiksorten als nicht biologisch abbaubar. Seit Beginn der Kunststoffherstellung in den 1950er-Jahren wurden schätzungsweise 8,3 Milliarden Tonnen produziert,Footnote 2 die Hälfte davon in den letzten 13 Jahren. Wenn sich die Primärproduktion nicht vermindert und der Umgang mit dem Abfall sich nicht ändert, prognostizieren Geyer und Mitarbeiter 12 Milliarden Tonnen Plastikmüll im Jahr 2050. Dass uns der bisher weltweit in die Umwelt gelitterteFootnote 3 und auf Deponien gelagerte Anteil, nämlich ca. 80% der 6,5 Millionen Tonnen Plastikmüll, die bis 2015 erzeugt wurden2, noch nicht überflutet, liegt auch daran, dass sich Plastikmüll unter bestimmten Bedingungen allmählich zersetzt. Alle als Makroplastik bezeichneten, größeren Kunststoffstücke, die als Müll im Meer treiben oder am Wegesrand liegen, werden mit der Zeit brüchiger und kleiner, bis sie mikrometerklein und für das bloße Auge unsichtbar sind.

Bei genauerem Hinsehen — mit geeigneten, mikro-spektroskopischen Methoden — stellen wir dann fest, dass sich dieses sekundäre Mikroplastik überall verteilt. So könnte eine Plastiktüte durch den Einfluss von Wellenbewegung und UV-Strahlung zu vielen Millionen Mikroplastik-Partikeln fragmentieren und diese sich durch Winde und Strömungen in jede Ecke der Welt verteilen. In allen WeltmeerenFootnote 4 und Oberflächengewässern,Footnote 5 TiefseesedimentenFootnote 6 und KüstengebietenFootnote 7 und sogar im PolareisFootnote 8 wurden diverse Sorten und Größen von Kunststoffteilchen nachgewiesen. Auch eine Verteilung über die Luft ist möglich.Footnote 9

Das ist jedoch nur ein Eintragsweg von sekundärem Mikroplastik. Viel gravierender ist laut einer Hochrechnung des Fraunhofer InstitutsFootnote 10 Reifenabrieb, erst dann folgt die Abfallentsorgung.

Primäres Mikroplastik sind Kunststoffpartikel, die für bestimmte Verwendungszwecke in Mikrometergröße hergestellt werden. Diese können beispielsweise aus kosmetischen Mitteln indirekt über den Abwasserpfad und Klärschlamm in die Umwelt gelangen. Der Anteil des primären Mikroplastiks an der Gesamtbelastung wird als jedoch verhältnismäßig gering eingeschätzt.

Was passiert nun mit den Mikroplastik-Partikeln, die im Meer treiben, in der Luft schweben oder zu Boden sinken? Sie können Schadstoffe aus der Umgebung anlagern und diese wieder im Organismus abgeben.Footnote 11 Sie können von marinen Organismen aufgenommen werden.Footnote 12 Auch eine mögliche Übertragung zwischen den TrophieebenenFootnote 13 wurde in der Presse beschrieben, kürzlich sogar „von der Mücke in Vögel und Fledermäuse“.Footnote 14 Das klingt dramatisch und birgt eine potenzielle Gefahr, die keineswegs unterschätzt werden darf. Alle Studien jedoch, die negative Effekte, wie beispielsweise Entzündungsreaktionen bei Muscheln oder Verhaltensänderungen bei Fischen, nachgewiesen haben, verwendeten hohe Mikroplastik-Konzentrationen, wie sie bisher in der Natur nicht nachgewiesen wurden. In der Elbe kommen auf 10 Mikroplastik-Partikel rund 1.000.000 natürliche Partikel.Footnote 15 In oben erwähnter StudieFootnote 16 wurden Mückenlarven in Lösungen mit 80.000 Mikroplastik-Partikeln je Milliliter aufgezogen. In den geschlüpften Mücken wurden nur ca. 40 davon gezählt. Trotzdem hat die Presse das Insektensterben und den Rückgang von Vogelpopulationen damit in Verbindung gebracht.Footnote 17 Auch ist noch nicht geklärt, ob Organismen oder Zellen, die beispielsweise mit Sandpulver bestreut würden, sich nicht genauso verhalten, als wenn sie Polymerpulver ausgesetzt werden.

2 Mikroplastik in Lebensmitteln

Plastikfasern und -fragmente finden wir aber nicht nur in Fischen, Mineralwasser, Meersalz, Honig oder Bier, sondern — mit geeigneten Messmethoden — überall. Vor allem dort, wo physikalische oder chemische Kräfte auf Plastik einwirken und Abrieb stattfindet. Schütteln Sie einmal Ihre kuschlige Mikrofaser-Bettwäsche im Sonnenlicht aus, so erkennen Sie zumindest den sichtbaren Anteil. Mit der Tasse Tee daneben, gekocht im Wasserkocher mit Kunststoffbehälter,Footnote 18 können Sie ihren Tagesbedarf an Mikroplastik mit einem Schluck decken. Hausstaub besteht zu 33% aus synthetischen Fasern, pro Tag rieseln zwischen 1600–11.000 Fasern auf einen Quadratmeter ihres WohnraumesFootnote 19 und ein entsprechender Anteil in ihre Teetasse. Catarino und MitarbeiterFootnote 20 haben ermittelt, wieviel Plastikfasern aus Muscheln in einer Mahlzeit im Vergleich zu den aus der Umgebungsluft auf den Teller rieselnden Fasern aufgenommen werden: 123–4620 Mikroplastik-Fasern können je nach Konsum pro Jahr aus den Muscheln stammen, aber gleichzeitig fallen rund 13.700–76.400 Fasern aus der Umgebungsluft auf den Teller.

Und ist das denn nun „schlimm“? Bisher sind trotz der all der oben aufgeführten Expositionen keine akuten, negativen Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen bekannt. Unser Körper kann sehr gut mit oral aufgenommenen Partikeln oder Fasern umgehen, egal ob aus Sand oder Plastik, beides wird wieder ausgeschieden. Was wir allerdings noch nicht beurteilen können, sind die Langzeitauswirkungen eines permanenten oralen oder inhalativen Mikroplastik-Konsums. Oder was mit den bisher kaum erfassten sehr kleinen Mikroplastik-Partikeln unter fünf Mikrometer oder gar mit Nanoplastik geschieht. Wegen diesen Unsicherheiten ist das Vorsorgeprinzip angebracht, und der Ruf nach geeigneten, standardisierten Messmethoden und Monitoringprogrammen berechtigt. Da die Partikel nicht weniger, sondern auf lange Sicht immer mehr werden, sollte das nicht nur für die humane Exposition, sondern auch für die Umwelt geschehen.

Wie wir Wissenschaftler die Ergebnisse derzeit kommunizieren und Medien Panik schüren ist problematisch. Mediale Panikmache, blinder Aktionismus und Wetteifern um die nächsten, spektakulären Veröffentlichungen sind nicht angebracht.Footnote 21 Vielmehr sollten eine zielgerichtete Forschung, eine realitätsnahe Risikobewertung, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und eine Aufklärung des Verbrauchers erfolgen. Vor allem sollte eine Bewusstseinswerdung zu unserem verschwenderischen Konsum stattfinden.

Ja, so einfach ist das wirklich nicht.”