Zusammenfassung
Der bei Schiller unaufgelöste Konflikt zwischen dem Schönen und dem Erhabenen ist bekannt und vielfach behandelt. Provoziert durch seine problematische Kant-Lektüre, herrscht ein substantieller Zwiespalt aber bereits im Schönen selbst. Er besteht zwischen dem moralischen Konzept der „schönen Seele“ und dem gesellschaftspolitischen Konzept des „guten Tons“. Indem Schiller sich aus diesem Zwiespalt ins Erhabene rettet, gibt er seine wichtigen und aktuellen Überlegungen zum gesellschaftlichen Umgang preis.
Abstract
The unsolved conflict with Schiller between the beautiful and the sublime is well known and has been discussed many times. However, provoked by his problematic Kant reading there is a substantial conflict even within the beautiful itself. It is the conflict between the moral concept of the “beautiful soul“ and the social political concept of the “good form“. By escaping from this conflict into the sublime, Schiller relinquishes his important and relevant reflections about the social manners.
Literature
Theodor W. Adorno, Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie, in: Noten zur Literatur IV, Gesammelte Schriften, hrsg. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1997, XI, 495–514, hier: 498. Vgl. dazu das „Schwabenstreiche“ überschriebene böse Stück in den Minima Moralia: „Der sprachliche Habitus Schillers gemahnt an den jungen Mann, der von unten kommt und, befangen, in guter Gesellschaft zu schreien anfängt, um sich vernehmlich zu machen: power und patzig. Die deutsche Tirade und Sentenz ist den Franzosen nachgeahmt, aber am Stammtisch eingeübt. In den unendlichen und unerbittlichen Forderungen spielt der Kleinbürger sich auf, der mit der Macht sich identifiziert, die er nicht hat, und durch Arroganz sie überbietet bis in den absoluten Geist und das absolute Grauen hinein. Zwischen dem allmenschlich Grandiosen und Erhabenen, das sämtliche Idealisten gemein haben, und das stets unmenschlich das Kleine als bloβe Existenz zertrampeln will, und der rohen Prunksucht bürgerlicher Gewaltmenschen besteht das innigste Einverständnis“ (Gesammelte Schriften, IV, 99).
Vgl. dazu Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung, Frankfurt a.M. 1998.
SWV, 1021. In der Beachtung solcher „allgemeiner Mitteilbarkeit“ zeigt sich, so Schiller an dieser Stelle, der „Geschmack11, der uns „zivilisiert und kultiviert.“ Vgl. SW V, 667. Solche Passagen machen zweifellos besonders deutlich, daβ Schiller, vermeintlich an Kant anschlieβend, in Wahrheit der rhetorischen Tradition der europäischen Geschmacksliteratur verpflichtet ist. Vgl. dazu Gert Ueding, Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition, Tübingen 1971, wo jedoch die durch Kant zugleich heraufbeschworenen Kollisionen ausgespart bleiben.
Helmuth Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus (1924), in: Gesammelte Schriften, hrsg. Günter Dux, Odo Marquard, Elisabeth Ströker, Frankfurt a. M. 1981
Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität (1974), Frankfurt a.M. 1993. Vgl. dazu von Verf.: „Helmuth Plessner: Über die ‚Logik der Öffentlichkeit‘“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie Heft 2 (1994), 255–273. Plessners (traditioneller) Lektüre folgend, der sich in wörtlichen Anspielungen auf Schiller bezieht und sich zugleich von der „schönen Seele“ distanziert, habe ich hier der Schillerschen Kontrastfigur des „vollendeten Weltmanns“ selber noch zu wenig Beachtung geschenkt.
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Sandkaulen, B. Die „schöne Seele“ und der „gute Ton“ Zum Theorieprofil von Schillers ästhetischem Staat. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 76, 74–85 (2002). https://doi.org/10.1007/BF03375840
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