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Auf Teufel komm raus Wie Harsdörffers Seelewig ihren Prätext zerstört

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Dass Georg Philipp Harsdörffers Seelewig-Libretto als eines der ersten geistlichen Schäferspiele deutscher Sprache einer dezidiert allegorischen Gattung angehört, gilt der Harsdörffer-Forschung weithin als unstrittig. Demgegenüber versucht der vorliegende Beitrag zu zeigen, dass der Text ein hermeneutisches Doppelspiel initiiert, dessen Regeln zwar einerseits eine allegorische Entzifferung des Geschehens erzwingen, diese aber zugleich unmöglich machen. In der Projektion dieser Aporie auf den jesuitischen Prätext der Seelewig, zu dem das Schäferspiel eine komplexe Spiegelrelation unterhält, dementiert und demontiert es dessen ›autoexegetische‹ Programmatik ebenso, wie es die Möglichkeit einer bruchlosen Allegorese im Grundsatz in Frage stellt.

Abstract

Among researchers on Georg Philipp Harsdörffer the widely held view persists that his Seelewig-libretto, as one of the first clerical pastorales in German language, ranks among the exponents of a decisively allegorical genre. By opposing this commonplace the following article aims to show that the text initiates a hermeneutic double edged game, whose rules enforce an allegorical decipherment of the plot, yet render it impossible at the same time. In projecting this aporia on the Jesuit pretext of Seelewig, to which the pastoral maintains a complex mirror-relation, it denies both its ›autoexegetical‹ objectives as well as the possibility of a seamless allegoresis in principle.

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  1. Die genaue Einordnung in musikalische Gattungstypologien wird kontrovers diskutiert. Da es für die folgenden Ausführungen nicht so sehr darauf ankommt, ob mit der Seelewig das erste vollständig vertonte pastorale Freudenspiel (vgl. Danielle Bru-giere-Zeiß, »Seelewig« de G. Ph. Harsdörffer et S. Tb. Staden [1644]. Un opera? Un projet pastoral original entre musique et littérature, Bern 2003) oder eine Oper (vgl. Judith P. Aikin, A Language for German Opera. The Development of Forms and Formulas for Recitative and Aria in Seventeenth-Century German Libretti, Wolfenbütte-ler Arbeiten zur Barockforschung 37, Wiesbaden 2002) vorliegt, orientiere ich mich hier an der immer noch vorherrschenden Auffassung, die Seelewig im Kontext der sich im 17. Jahrhundert entwickelnden deutschsprachigen Oper zu diskutieren.

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  2. Georg Philipp Harsdörffer, Frauenzimmer-Gespräch spiele, Reprographische Nachdrucke, hrsg. Irmgard Böttcher, 8 Bde., Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 13–20, Tübingen 1968–69 (im Folgenden zitiert als FZGS), IV, 45 (Seitenangaben beziehen sich auf die Paginierung des Neudrucks).

  3. FZGS, IV, 49. Das — von der Seelewig aus betrachtet — paratextuelle Umfeld der Oper wurde bislang nur selten (vgl. neuerdings z.B. Nicola Kaminski, »>ut pictura poesis?‹ Arbeit am Topos in Georg Philipp Harsdörffers ›Seelewig«, in: Miroslawa Czarnecka, Thomas Borgstedt, Thomasz Jablecki [Hrsg.], Frühneuzeitliche Stereotype: Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. V. Jahrestagung der Internationalen Andreas Gryphius Gesellschaft Wroclaw 8. bis 11. Oktober 2008, Bern 2010, 367–397), der Cervantes-Bezug, soweit ich sehe, überhaupt nicht in Deutungen einbezogen.

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  4. Der Aufsatz von Rotzer (Hans Gerd Rotzer, »Die Rezeption der ›Novelas ejemplares‹ bei Harsdörffer«, in: Alberto Martino [Hrsg.], Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert, Chloe 9, Amsterdam 1990, 365–383) erweist sich in dieser Hinsicht als wenig ergiebig und paraphrasiert nur knapp eine weitere Bearbeitung

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  5. Vgl. vor allem Peter Werle, »El celoso extremeno. Überlegungen zu Text und Kontext in den ›Novelas ejemplares‹ des Cervantes«, Romanistisches Jahrbuch 35 (1984), 258–277

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  6. und Joachim Küpper, »Düstere Welt und lichte Perspektive in den Cervantinischen ›Novelas ejemplares‹«, in: Roland Galle, Rudolf Behrens (Hrsg.), Konfigurationen der Macht in der frühen Neuzeit, Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 6, Heidelberg 2000, 167–216.

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  7. Vgl. Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum et definitionum, quae de rebus fidei et morum a conciliis oecumenicis et summis pontificibus emanarunt — Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping hrsg. Peter Hünermann, 37. Aufl., Freiburg i.Br. 1991, Nr. 1520–1583. Vgl. außerdem Raymund Kottje, Bernd Moeller (Hrsg.), Ökumenische Kirchengeschichte, Band II: Mittelalter und Reformation, 4. Aufl., Mainz 1988, 420–425.

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  8. Christiane Caemmerer, »Das Geistliche Waldgetichte: Die Glückseelige Seele von 1637 und seine Quelle«, Daphnis 16 (1987), 665–678, hier: 678, vgl. ebenso Caemme rer (Anm. 29), 262–276.

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  9. Die Implikationen beider Gattungen diskutiert zwar Peter Keller (Peter Keller, Die Oper Seelewig von Sigmund Theophil Staden und Georg Philipp Harsdörffer, Bern 1977), jedoch ohne die poetische Relevanz des Offenhaltens der Gattungsfrage in der Partitur im Gegensatz zum Libretto zu erkennen.

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  10. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, hrsg. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1978, 153.

  11. Ebd., 153. In Benjamins Konzeption kommt der prätendierten Bezeichnungsfunktion der Allegorie natürlich grundsätzlich der Status des Prekären zu. Symbol und Allegorie scheitern beide im Aufruf des Numinosen, das ersteres als Sinnpräsenz zu vergegenwärtigen, letzteres über die Verkettung bedeutsamer ›Requisiten‹ anzupeilen sucht. Semiotisch reformuliert verweisen aber schon nach Benjamin Zeichen stets nur auf Zeichen, bleibt der allegorischen Exuberanz der »Bilderuption, als deren Niederschlag die Menge der Metaphern chaotisch ausgestreut liegt« (ebd., 151), das Signifikat entzogen. Dass das notwendige Versagen der Signifikation nicht bereits Sinnbeliebigkeit, keinen »semantischen Okkasionalismus« indiziert, sondern stets als Folge eines artikulierten »Sinnbegehrens« auftritt, betont Heinz Drügh gegen vorschnelle ›dekonstruktive‹ Vereinnahmungen Benjamins völlig zu Recht (Heinz J. Drügh, Anders-Rede. Zur Struktur und historischen Systematik des Allegorischen Litterae 77, Freiburg 2000, 284). Für unseren Zusammenhang ist aber erst einmal nur die Beobachtung interessant, dass sich das Offenlegen der Konventionalität des Allegorischen hier im intertextuellen Zusammenspiel zweier Texte gerade dadurch ereignet, dass jeder für sich genommen — auf je unterschiedliche Weise — ebendiese Konventionalität zu verdecken trachtet, dem Sinnbegehren eine vorläufige, sich nachträglich als trügerisch erweisende Erfüllung gewährt.

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  12. Vgl. hier das Fazit zur Emblemtheorie und -geschichte bei Wolfgang Neuber, »Locus, Lemma, Motto. Entwurf zu einer mnemonischen Emblematiktheorie«, in: Jörg Jochen Berns (Hrsg.), Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1450–1700, Tübingen 1993, 351–372, hier: 371: »Es gibt keinen ›versteckten Sinn‹, der einem Ding oder Bild ›zu eigen‹ wäre; die Sinnzuschrei-bung erfolgt stets durch den Menschen und ließe sich als ›kulturelle Semantisierung‹ bezeichnen.« Auf den umgekehrten Weg von der Geschichte zur Ontologie führt die Seelewig den Leser, der Reymunds Totalallegorese mitspielt.

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  13. Vgl. Susanne Bauer-Roesch, »Gesangspiel und Gesprächspiel. Georg Philipp Harsdörffers ›Seelewig‹ als erste Operntheorie in deutscher Sprache«, in: Hartmut Laufhütte (Hrsg.), Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit, 2 Bde., Wol-fenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 35, Wiesbaden 2000, Bd. 1, 645–664, hier: 653, Anm. 34.

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  14. Zur frühneuzeitlichen Melancholie-Therapie, die primär auf die Physis zielende Mittel wie laue Bäder, Bewegung an frischer Luft und ausgiebigen Naturkontakt allerdings nur als temporäre, in ihrer Wirksamkeit der geistlichen Versorgung‹ nachgeordnete Behandlungsverfahren anerkennt, vgl. Johann Anselm Steiger, Melancholie, Diätetik und Trost. Konzepte der Melancholie-Therapie im 16. und 17. Jahrhundert, Heidelberg 1995.

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  15. Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, Lateinisch / Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht, Reclams Universal-Bibliothek 1360, Stuttgart 1994, III, V. 357.

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Schütze, R. Auf Teufel komm raus Wie Harsdörffers Seelewig ihren Prätext zerstört. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 84, 448–477 (2010). https://doi.org/10.1007/BF03375818

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