Zusammenfassung
Controlling ist systematisch nicht eindeutig bestimmbar, weil eine unbestimmte Zahl von Praktiken, Organisationsformen und Funktionszuweisungen sowie formierender Funktionen (mitunter jenseits aller Absicht) unter dieser Bezeichnung anzutreffen sind. Positive Theorie, die für das Controlling Gestaltungsempfehlungen ableiten will, muss daher systematisch unbegründbar bleiben. D. h. es kann immer noch einen besseren (aber immer spekulativen) Vorschlag geben. Damit stellt sich die Frage, ob nicht wenigstens die Suche nach besseren Vorschlägen, wenn schon nicht die nach dem besten, wissenschaftlich gefördert werden kann.
Aus der systematischen Unbestimmbarkeit von Controlling folgt eine „ersatzweise“ bestimmende Praxis. Eben diese bestimmte und bestimmende Controllingpraxis kann mit Aussicht auf Einsichten wissenschaftlich untersucht werden. Sie ist nur nicht vollständig rekonstruierbar, weil es kein Vollständigkeitskriterium gibt. Wenn untersucht wird, welche Selektionsleistung Management, aber auch Controlling in der Praxis erbringen, wird der blinde Fleck ihres Tuns zumindest stellenweise aufhellbar.
Allerdings ist die Beziehung wechselseitig; Management bestimmt Controlling und Controlling bestimmt Management. „Unbefleckte Neutralität“ ist nicht machbar. Das Verhältnis zwischen der Selektion und der „Wirklichkeit“ einer Situation ist die alte Frage der ästhetik, also die Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Abgebildetem und den Abbildungsbedingungen. Controlling, das diesem Verhältnis nachzuspüren in der Lage ist, „sich heranmeinen kann“ (A. Deyhle), auch wissenschaftlich heranmeinen, wird praktisch hilfreich und wirksam.
Eine bescheidene Theorie des Controlling, die diese systematische „Vagheit“ akzeptiert und durch ihr Nach-Denken (Praxis gibt die Probleme und „ihre Lösung“ vor und kann nie warten!) für die Praxis hilfreicher Gesprächspartner sein kann, müsste daher wahrnehmungs- und erkenntnistheoretisch kritisch fundiert werden und nicht nur auf die systematisch nicht begründbare Hoffnungen auf Gestaltungsempfehlungen positiver Theorie und Spekulation setzen.
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Kappler, E. Controlling und Ästhetik. Z Control Manag 46, 377–386 (2002). https://doi.org/10.1007/BF03254122
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