Zusammenfassung
Während meiner 3 1/2jährigen Tätigkeit an der Nervenabteilung unseres Lazarettes sind diese 6 referierten Fälle die einzigen, bei denen es auf Basis eines infektiös toxischen Prozesses, den wir einmal aus dem Gesamtverlauf der Krankheit, der gefundenen Änderung des Blutbildes und vor allem aus dem Liquorbefund annehmen müssen, zu Krämpfen inden Muskeln kam, die objektiv nachweisbar am Krankheitsgeschehen beteiligt waren. Diese Crampi werden nur als Symptom aufgefaßt und sind der Ausdruck einer eigenartigen Schädigung des motorischen Anteiles des peripheren Neuroms durch einen infektiösen Prozeß. Wieweit die Noxe sich peripher und zentralwärts ausbreitete, muß offengelassen werden.
Auf die nahen Beziehungen zur epidemischen Kinderlähmung wird wiederholt hingewiesen. Wir wollen das ganze Krankheitsgeschehen vorläufig als Polyneuritis auffassen, da wir mangels eines anatomischen Befundes keine Berechtigung dafür sehen, es einem in allen Symptomen wohlbekannten und charakteristischem Krankheitsbild, wie es die spinale Kanderlähmung ist, zuzuordnen
Obwohl die Beobachtung 6 noch durch fibrilläre und fasciculäre Zuckungen ausgezeichnet ist, so glauben wir doch, auch sie den anderen Fällen zurechnen zu müssen.
Unsere 6 Fälle zeigen eindeutig, daß die Auffassung einer einheitlichen Genese der Crampi nicht haltbar ist, sondern daß der Crampus nur der Ausdruck einer besonderen Reaktionsweise des Muskels darstellt, wobei es bis heute ungewiß bleibt, ob eine histologische Veränderung an einer bestimmten anatomischen Stelle allein oder auch. zusammen mit humoralen Faktoren (Bechterew) eine Rolle spielen.
Symptomatologisch sind unsere Fälle charakterisiert durch 1. Paralysen und Paresen vom Verteilungstyp der Poliomyelitis anterior, 2. durch. subjektive und objektiv faßbare Crampi in affezierten Muskeln, 3. wahrscheinlich durch konstante Liquorveränderungen (Zell- und Eiweißvermehrung), 4. durch Fehlen von sensiblen Storungen (abgesehen von den Schmerzen und der Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur). Inkonstant sind die Schmerzen der Muskulatur, die fibrillären und fascicularen Muskelzuckungen sowie Verschiebungen im Blutbilde.
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Nach einer Demonstration in der Fachgruppe für Neurologie und Psychiatrie der Gesellachaft der Ärzte in Wien im Juli 1943.
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Mayrhofer, J. Polyneuritiden mit Crampi. Archiv f. Psychiatrie 117, 367–388 (1944). https://doi.org/10.1007/BF01837721
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