Zusammenfassung der Empfehlung

Die DGINA, AAEM, SGNOR, DGIIN, DGAI und DIVI empfehlen für die Pflegepersonalbedarfsplanung in Klinischen Notfallzentren für Ersteinschätzung, Untersuchung und Initialbehandlung die Verwendung einer leistungsbasierten Personalberechnung, die u. a. anhand von Ersteinschätzungskategorien definiert werden kann. Dabei wird gefordert, dass sowohl eine validierte Ersteinschätzung entsprechend den Vorgaben des G‑BA innerhalb von 10 min als auch alle notwendigen pflegerische Tätigkeiten innerhalb definierter Zeiträume durchgeführt werden können.

Die pflegerische Mindestbesetzung muss gewährleisten, dass eine vollzeitig tätige Pflegekraft nicht mehr als 1200 Notfallpatienten pro Jahr in der Initialbetreuung versorgt. Zusätzlich muss für eine angeschlossene Kurzlieger‑/Beobachtungsstation ein Personalschlüssel von einer Pflegefachkraft auf 4 Betten vorgehalten werden. Weitere Personalkapazitäten sind für Führung, Administration und andere patientenunabhängige Zeiten einzuplanen.

Warum eine Empfehlung zur Pflegepersonalbesetzung von Notfallzentren?

Die Notfallversorgung an Krankenhäusern erfährt in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine zunehmende Professionalisierung, wobei das nichtärztliche Personal und insbesondere die Notfallpflegenden in der Betreuung von ambulanten und stationären NotfallpatientenFootnote 1 eine zentrale Rolle einnehmen.

Das Aufgabenspektrum der Mitarbeiter im Bereich der Pflege ist vielfältig: Es reicht von der Ersteinschätzung über die Assistenzleistung bei chirurgischen und anderen Eingriffen, der Diagnostik (z. B. EKG), der Anlage von peripheren Gefäßzugängen, Spurensicherung nach Gewaltdelikten bis hin zu der Durchführung intensivmedizinischer Tätigkeiten bei schwerstkranken Notfallpatienten inklusive der Versorgung von Patienten im Schockraum. Auch die psychosoziale Betreuung der Patienten und deren Angehörigen – darunter sehr viele geriatrische Patienten – hat in der Notfallversorgung eine wichtige Rolle und wird in vielen Fällen v. a. durch die pflegerische Fachkraft der Notfallzentren gewährleistet. Die Komplexität der pflegerischen Tätigkeit erforderte die Etablierung einer Weiterbildung zur Notfallpflege, z. B. nach den staatlich anerkannten Fachweiterbildungen in Bremen und Berlin oder nach dem Curriculum der Deutschen Krankenhausgesellschaft im Jahr 2017 [1]. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 19.04.2018 diese Zusatzqualifikation Notfallpflege für die Tätigkeit in den Notfallzentren gesetzlich verankert [2].

Aufgrund der vielfältigen Aufgaben mit Schlüsselfunktionen nicht zuletzt in der Gewährleistung der Sicherheit von Notfallpatienten ist eine ausreichende pflegerische Besetzung der Notfallzentren von zentraler Bedeutung. Mehrere Studien zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der pflegerischen Besetzung in einer Notfalleinrichtung und der Versorgungsqualität bis hin zur Patientensterblichkeit gibt [3,4,5,6].

Trotz der Notwendigkeit einer ausreichenden Personalausstattung mit Pflegenden sind die Notfallzentren bisher nicht als pflegesensitive Bereiche benannt worden. Die DGINA und DIVI haben deswegen nachdrücklich die Anerkennung der Notfallzentren als pflegesensitive Bereiche durch die Gesundheitspolitik gefordert [7, 8].

Um die Patientensicherheit in Notfallzentren gewährleisten zu können, müssen verbindliche Vorgaben für eine adäquate Pflegebesetzung von Notfallzentren erarbeitet werden, die als objektivierbares Maß für eine ausreichende Pflegepersonalstärke gelten können. Bisher wurde keine allgemein anerkannte Personalberechnung für Notfallpflegende entwickelt. Dementsprechend fehlt auch eine allgemein anerkannte Berechnung zur Relation von Pflegekräften zu Patientenzahl in Notfallzentren.

Empirisch erhobene Daten aus Umfragen an deutschen Notfallzentren zeigten eine große Variabilität in der Pflegepersonalausstattung (444 bis 3216 Patienten pro Jahr und Pflegekraft; [9]). Eine ähnlich große Spannbreite fand sich auch im Pflegepersonalaufwand pro Patient (27−145 min; [10]). Diese Streuungen des Personalaufwands in Notfallzentren zeigen zum einen, dass die Organisation und Aufgabendefinition der Notfallzentren in Deutschland sehr unterschiedlich sind und von einer kurzen, eher orientierenden Patientenversorgung bis hin zu einer kompletten Versorgung inklusive intensivmedizinischer Erstbetreuung reichen. Zum anderen ist davon auszugehen, dass zum Erhebungszeitraum der Umfrage in einigen Notfallzentren ein objektiver Mangel an Pflegepersonal bestand und die Versorgung noch nicht so professionalisiert und umfassend war wie heute gefordert. Durch die demographische Entwicklung, die Möglichkeiten und Anforderungen der modernen Medizin und die Umorganisation der Krankenhäuser, welche die Notfallzentren als eine Einheit mit hoher Versorgungsdichte und als wichtigen Weichensteller für die weitere Behandlung betrachten, hat sich das Aufgabenfeld in den Notfallzentren in den letzten Jahren deutlich erweitert.

Anhaltzahlen für die Personalbesetzung aus Umfragen über die Personalbesetzung [9, 11] zu generieren bergen die Gefahr, einen zum Zeitpunkt der Umfrage bestehenden Mangelzustand als Standard festzuschreiben und sollten für Personalbedarfsberechnungen in Notfallzentren nicht herangezogen werden. Das Bemühen der Gesundheitspolitik, die Notfallzentren als Kernelement der Gesundheitsfürsorge zu stärken und Versorgungsniveaus auf dem Boden der Behandlungsmöglichkeiten festzuschreiben [2], muss durch eine standardisierte Personalbemessung auf Basis der vorgegebenen Aufgaben ergänzt werden. Deswegen haben die notfallmedizinischen Gesellschaften AAEM, DGIIN, DGINA, DIVI und SGNOR sowie die DGAI den Entschluss gefasst, Empfehlungen für eine rationale Vorgehensweise für eine Personalberechnung in Notfallzentren zu erarbeiten.

Ziel der Empfehlung

Ziel dieser Empfehlungen ist, den Krankenhäusern eine Liste an Grundregeln zur Personalberechnung für Notfallzentren vorzuschlagen, welche nachvollziehbar eine der Patientensicherheit genügende Versorgung gewährleisten. Gleichzeitig wird eine Mindestvorgabe bezüglich der Pflegebesetzung festgelegt, unterhalb derer die Patientensicherheit nicht mehr verlässlich gewährleistet werden kann.

Konsensempfehlung über die Grundregeln zur Pflegepersonalbedarfsermittlung in Notfallzentren

Für die Personalbedarfsermittlung schlagen die notfallmedizinischen Gesellschaften folgende Grundregeln vor:

  1. 1.

    Die Personalberechnung sollte für die Ersteinschätzung, Untersuchung und Initialbehandlung nach der Leistungsrechnung erfolgen. Die Leistungsrechnung berücksichtigt die tatsächliche Anzahl der Patienten und den Zeitaufwand pro Patient und erlaubt eine genaue, dem tatsächlichen Arbeitsaufwand entsprechende Personalberechnung.

  2. 2.

    Um den tageszeitlichen Schwankungen im Patientenaufkommen gerecht zu werden [12], sollte die Personalberechnung auf den Patientenzahlen pro Stunde (neu eintreffende bzw. gleichzeitig zu betreuende Patienten pro Stunde) und einem sinnhaften, dem Patientenfluss angepassten und den tarifrechtlichen Vorgaben folgenden Schichtplan basieren.

  3. 3.

    Die Personalplanung soll sicherstellen, dass eine validierte Ersteinschätzung entsprechend den Vorgaben des G‑BA innerhalb von 10 min und auch alle notwendigen pflegerische Tätigkeiten innerhalb definierter Zeiträume durchgeführt werden können. Prinzipiell sollen die Vorgaben bei allen Patienten erfüllt werden; als Qualitätsmerkmal der Personalplanung könnten gesetzliche Vorgaben anderer Bereiche wie z. B. die im Rettungsdienst dienen, welche in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer die Erfüllung der Hilfsfrist in 90–95 % der Einsätze vorsehen [13].

  4. 4.

    Für die Leistungsrechnung sollte in jedem Notfallzentrum der tatsächliche Zeitaufwand pro Patient erhoben werden. Dabei ist die Zuordnung von Zeitkontingenten zu den jeweiligen Ersteinschätzungsstufen sinnvoll. Falls der tatsächliche Zeitaufwand pro Patient oder Verteilung der Ersteinschätzungsstufen nicht bekannt ist, sollte auf Daten der Literatur zurückgegriffen werden (Tab. 1; [14]). Die Bedarfsberechnungen müssen in regelmäßigen Abständen auf Plausibilität geprüft werden.

  5. 5.

    Stationäre Behandlungsbereiche, wie z. B. eine Kurzliegerstation eines Notfallzentrums, sollten von der leistungsbezogenen Personalberechnung ausgenommen und anhand der bekannten Personalanhaltszahlen für Normal‑, Überwachungs- und Intensivstationen zusätzlich berechnet werden. Die pflegerische Betreuung von Überwachungsbetten sollte nach dem üblichen Standard einer Intermediate Care (IMC) erfolgen, also ein Verhältnis Pflegekraft/Patientenbett von 1:4 einhalten (bei 251 Arbeitstagen, einer Arbeitszeit von 40 h pro Woche und 20 % Fehlzeiten entspricht ein Verhältnis von 1:4 einem Bedarf von 1,4 Vollzeitäquivalenten pro Überwachungsbett). Hierbei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass auch nicht am Monitor überwachte Patienten mit dem hohen Pflege- und Dokumentationsaufwand von Aufnahme und Entlassung (beides innerhalb 24 h) sowie aufwändiger Akutbetreuung (z. B. Schmerzen, Verwirrtheit, Immobilität, Verwahrlosung) einhergehen. Dies bedeutet, dass der Betreuungsaufwand für alle stationären Betten einer Notfallstation im Rahmen eines sonst üblichen IMC-Bettes liegen.

  6. 6.

    Administrative Tätigkeiten, Leitungsfunktionen und andere zusätzliche patientenunabhängige Zeiten (wie z. B. auch Lehre, Ausbildung etc.) sollten für jedes Notfallzentrum erhoben und in der Personalberechnung zusätzlich berücksichtigt werden [14].

Tab. 1 Pflegezeitaufwand pro Ersteinschätzungskategorie und Verteilung der Ersteinschätzungskategorien in einer Notaufnahme einer deutschen Universitätsklinik. In dieser Studie beträgt die gewichtete mittlere Patientenbindungszeit 49 min. (Nach [14])

Mit diesen Empfehlungen und mit Hilfe von Personalberechnungsmethoden wie z. B. der Warteschlangentheorie [15] kann für jede Notfalleinrichtung für deren Patientenaufkommen und anderen individuellen Parametern wie Pflegebindungszeit, Bruttowochenarbeitszeit und Fehlzeiten eine dem Patientenfluss angepasste spezifische Personalbedarfsrechnung durchgeführt werden. Eine Personalbedarfsrechnung lediglich anhand einfacher Multiplikation der Patientenzahlen mit dem Zeitaufwand pro Patienten ohne Berücksichtigung komplexer Berechnungsmethoden (wie z. B. der Erlang-Formel oder Simulationsmodelle) ist methodisch falsch und wird einen exponentiellen Anstieg der Wartezeiten verursachen und zu einer Gefährdung der Patientensicherheit führen [16].

In der Stufung der stationären Notfallversorgung durch den G‑BA wurde definiert, dass Notfallpatienten ganz überwiegend in einer Zentralen Notaufnahme versorgt werden müssen und bereits in der Basisstufe wesentliche Möglichkeiten der Diagnostik in der Notaufnahme rund um die Uhr vorhanden sein müssen. Eine frühzeitige Diagnostik und Initialtherapie in der Zentralen Notaufnahme verbessert die Patientensicherheit und ist kosteneffektiv [15]. Die Organisation von Notfallzentren, in der alle Patienten einschließlich kritisch kranker Patienten nach diesem Standard primär versorgt werden und eine Übernahme intensivpflichtiger Patienten nach G‑BA Empfehlung innerhalb von 60 min auf eine Intensivstation erfolgen kann, wird von den Fachgesellschaften dringend empfohlen.

Auf der Basis der bisher publizierten Pflegebindungszeiten [14] und unter Einbeziehung der Warteschlangentheorie zur Bedarfsberechnung empfehlen die AAEM, DGAI, DGIIN, DGINA, DIVI und SGNOR, dass eine pflegerische Vollzeitkraft im Durchschnitt nicht mehr als 1200 Patienten pro Jahr versorgt. Der Personalbedarf für die Besetzung von Kurzliegerstationen nach dem o. a. IMC-Schlüssel, Pflegeleitungsfunktion und Administration kommt zusätzlich hinzu.

Die Fachgesellschaften fordern die Krankenhäuser auf, eine adäquate Personalausstattung der Pflege in den Notfallzentren zu gewährleisten und appellieren an Bundesregierung und Selbstverwaltung, Personaluntergrenzen in Notfallzentren festzulegen.