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Der systemtheoretische Sinn für Subjektivität

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Wer oder was handelt?

Part of the book series: Wissen, Kommunikation und Gesellschaft ((WISSEN))

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Zusammenfassung

Achim Brosziewski berührt mit seinem Beitrag eine besonders sensible Flanke der Hermeneutischen Wissenssoziologie: die Abgrenzung zur Systemtheorie. Kaum zwei soziologische Paradigmen dürften weiter auseinander liegen, sieht doch die Hermeneutische Wissenssoziologie soziale Wirklichkeit in den Sinnsetzungsprozessen der miteinander handelnden Subjekte fundiert, während die Systemtheorie auf das Subjekt zur Beschreibung eben dieser Wirklichkeit verzichtet. Brosziewski deutet an, dass diese Abkehr vom Subjekt das transzendental- bzw. bewusstseinsphilosophische Subjektverständnis betrifft. Aber: Die Systemtheorie schreibe als eine Theorie selbstreferentieller Systeme wichtige Motive der Subjekttheorie fort und arbeite sie sogar aus. Der Beitrag legt nahe, dass die von der Systemtheorie reklamierte Selbstreferentialität der psychischen Systeme einen Raum für die Beschreibung von Subjektivität schafft, den man so mit der Systemtheorie nicht verbindet.

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Notes

  1. 1.

    „… wie nämlich subjektive Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben“ (Kant 1995, S. 71).

  2. 2.

    „Die transzendentale Sinnenlehre würde zum ersten Teile der Elementarwissenschaft gehören müssen, weil die Bedingungen, worunter allein die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden“ (Kant 1995, S. 38).

  3. 3.

    Dank Aufzeichnungstechnik posthum doch publiziert in Luhmann 2002, S. 149–155.

  4. 4.

    Vgl. Luhmann 1984, S. 141–143 sowie in den Einzelkapiteln zu Kommunikation, Interpenetration und Individualität.

  5. 5.

    Eine für sprachliche Vereinfachungen brauchbare Arbeitsdefinition von subjektiv und objektiv könnte danach lauten: „Objektiv ist das, was sich in der Kommunikation bewährt. Subjektiv ist das, was sich in Bewußtseinsprozessen bewährt, die dann ihrerseits subjektiv das für objektiv halten, was sich in der Kommunikation bewährt, während die Kommunikation ihrerseits Nicht-Zustimmungsfähiges als subjektiv marginalisiert“ (Luhmann 2000, S. 19).

  6. 6.

    Siehe hierzu Luhmann 1989– eine der bis heute ausführlichsten Behandlungen der Frage, was Individualität denn in soziologischer Sicht heissen könnte. Eine Wiederaufnahme und Fortführung findet sich bei Fuchs 2003.

  7. 7.

    „Für unsere Zwecke muß es genügen, festzuhalten, daß die Theorie autopoietischer, sich-selbst-ausdifferenzierender Systeme eine radikal individualistische Theorie ist, weil sie ihre Individuen nicht nur durch konkret einzigartige Merkmalskombinationen, sondern außerdem noch durch jeweils eigene, selbstkonstruierte Umweltperspektiven, also durch jeweils anders konstruierte Welteinschnitte kennzeichnet“ (Luhmann 1994, S. 53).

  8. 8.

    Der Wechsel vom Eigennamen zum „Ich“, um die Beschreibung vermeintlich „subjektiver“ Erfahrungen zu ermöglichen, verlässt daher zwangsläufig die Ebene der Individualität und verschreibt sich bereits der Verallgemeinerung. In Texten ist dies nicht zu vermeiden – ein erstes Indiz dafür, dass Individualität sich systematisch selbst verfehlt, sobald sie sich in Kommunikation einzubringen versucht.

  9. 9.

    Diese Fassung des Beobachtungsbegriffs findet sich in nahezu jedem Text Luhmanns aus den 1990er-Jahren, siehe für das Wahrnehmungsthema besonders einschlägig in Luhmann 1995. Siehe zu einer eingehenden Aufbereitung und Weiterentwicklung auch Fuchs 2004.

  10. 10.

    Zum „Selbst“ der Selbstbeobachtung eingehend Fuchs 2010, zum fehlenden Selbst vgl. Fuchs 2011.

  11. 11.

    Die in Fussnote 5 angeführte Bestimmung taugt für Abkürzungsbedürfnisse des sprachlichen Ausdrucks, nicht aber zur Lösung der Probleme von Erkenntnistheorien, die mit der Unterscheidung von Subjekt und Objekt ansetzen und sich dann in deren Paradox verfangen.

  12. 12.

    Siehe eingehend Luhmann 1995. Gerade am Beispiel Gehirn und Bewusstsein ist wichtig zu betonen, dass „Unterscheidung“ nicht „getrennte Existenz“ und „kausale Unabhängigkeit“ meint. Die zwei Seiten einer Münze können ja auch nicht getrennt existieren und variieren, aber sind gleich gleichwohl zu unterscheiden und je für sich bezeichenbar: „Kopf oder Zahl?“ Beobachtung (Unterscheidung-und-Bezeichnung) steuert Informationsprozesse, nicht aber Existenzen und Kausalitäten.

  13. 13.

    Vorsorglich sei angemerkt, dass das vom Bewusstsein errechnete „Außen“ nicht mit der Umwelt des Bewusstseinssystems gleichgesetzt werden kann. Das Bewusstsein erzeugt ja beides, Innen und Außen. Umwelt ist dann alles, was sich der je spezifischen Innen-Aussen-Installation nicht fügt, zum Beispiel die Schwerkraft oder auch ein Fremdbeobachter, der sich selbst ja nicht so identifiziert, wie ihn das Bewusstsein „da draußen“ identifiziert.

  14. 14.

    Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Wahrnehmung und Kommunikation fällt die Einseitigkeit von Forschungsprogrammen auf, die Wirklichkeit als alleiniges Produkt des Konversationszwangs zur „order at all points“ (Sacks 1984, S. 22) zu konstruieren versuchen. In solchen Vorstellungen hat das Subjekt tatsächlich keinen Platz oder höchstens eine marginale Position, um methodisch-methodologische Regulative anbringen zu können: Irgendwen muss man ja interviewen oder beobachten, irgendwer muss die Texte noch signieren und für Fehlkonstruktionen kommunikativ einstehen. Bleibt man hingegen bei der Unterscheidung von Wahrnehmung und Kommunikation, kann man erst fragen, wie beide Typen von Ordnungsproduktion eigentlich zusammenhängen und welche Sonderbedingungen erforderlich sind, um – wie in der Wissenschaft üblich – Subjektivität und Individualität auf Null herunterfahren zu können.

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Brosziewski, A. (2014). Der systemtheoretische Sinn für Subjektivität. In: Poferl, A., Schröer, N. (eds) Wer oder was handelt?. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02521-2_9

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