Zusammenfassung
Hubert Knoblauch moniert zunächst die nicht hinreichende Einbeziehung des soziohistorischen Apriori bei der auf Alfred Schütz und Thomas Luckmann zurück gehenden mundanphänomenologischen Konzeption des Subjekts und bei der darauf aufbauenden wissenssoziologischen Fassung von Peter Berger und Luckmann. Er plädiert für einen – wie er es ausdrückt – „dünnen Subjektbegriff“. Das Subjekt sollte weniger voraussetzungsvoll, weniger essentiell gefasst werden. Im Vordergrund steht bei Knoblauch deshalb „das Subjekt des kommunikativen Handelns“: Mit der aus dem kommunikativen Handeln heraus gewonnenen Reflexivität werde der Mensch erst zum Subjekt. Reflexivität gehe also nicht vom Subjekt aus; sie sei Merkmal des kommunikativen Handelns. Ohne die Reflexivität der miteinander kommunikativ handelnden Subjekte könnten das kommunikative Handeln und die soziale Wirklichkeit nicht aufrechterhalten werden.
Ich danke René Wilke für seine hilfreichen Kommentare.
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Notes
- 1.
Diese Frage stellt sich, wenn man den Prozess als dialektisch begreift, wie Simmel dies tut: „Nachdem die Synthese des Subjektiven das Objektive hervorgebracht, erzeugt nun die Synthese des Objektiven ein neueres und höheres Subjektives – wie die Persönlichkeit sich an den sozialen Kreis hingibt und sich in ihm verliert, um dann durch die individuelle Kreuzung der sozialen Kreise in ihr wieder ihre Eigenart zurückzugewinnen.“ (Simmel 1992/1908, S. 467)
- 2.
Ich folge dabei Schütz‘ Einteilung in objektiven (sozialen), situativen und subjektiven Sinn. Vgl. Schütz 1974. Eine ausführlichere Darstellung dieses „Qualia-Problems“ findet sich in Knoblauch (2008).
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Auf diese vermittelte Wahrnehmung des eigenen Körpers hebt ja Cooleys Begriff des „looking glass self“ ab, das sich aus der Wahrnehmung des eigenen Körpers durch die anderen konstitutiert.
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Wie Tomasello (2008) mit Blick auf Kleinkinder und Schimpansen zeigt, scheint gerade die menschliche Kommunikation (als kommunikatives Handeln) sich dadurch auszuzeichnen, dass sie nicht einfach Subjekte koordiniert (was auch Schimpansen gelingt), sondern der Subjektivität des jeweils Anderen in der Kommunikation Rechenschaft trägt. Dazu gehört, wie Schütz spezifiziert, die räumliche Positionalität in der „Austauschbarkeit der Standpunkte“, die im kommunikativen Handeln Subjektivität erzeugt; dazu gehört auch die zeitliche Koordination in der Abfolge von Handlungen (wie etwa Frage und Antwort).
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Diese relationale Bestimmung der Deixis wird auch von Hanks (1996) betont.
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Auf besonders dramatische Weise zeigt sich dieses Problem in der Kommunikation mit Wachkoma-Patienten, bei denen außer Frage steht, dass sie Erfahrungen machen (z. B. des Schmerzes), wohl aber fraglich ist, ob ihre entsprechenden Ausdrücke reflexiv sind. Vgl. Hitzler 2012.
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So zum Beispiel die Dominanz des Akustischen in oralen Kulturen und die abstrakte visuelle Revolution der Schriftkulturen.
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So sieht etwa Bühler (1982/1934) in seiner richtungsweisenden Organontheorie die Differenz von Ausdruck, Bedeutung (oder Signal) und Appell als Merkmal der Sprache an. Diese Unterscheidung findet sich in ähnlicher Weise (wenn auch weniger verdinglichend) schon bei Mannheim und bei Schütz; ausdrücklich findet sie sich bei Habermas und Luckmann.
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Es ist durchaus zu bezweifeln, dass diese Unterscheidung die menschliche Lebensform von der tierischen unterscheidet; der Unterschied dürfte vielmehr in der Form der Reziprozität liegen, die oben angedeutet wurde – und die in Formen des kommunikativen Handelns zum Ausdruck kommt.
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Dabei sollte man die Frage, was kommuniziert wird, keineswegs zu scharf definieren. Gerade in der körperlichen Kommunikation bleibt der Sinn zwar nie „implizit“ (ganz im Gegenteil), doch muss er weder „klar“, noch „bestimmt“ noch deutlich sein – wie Schütz und Luckmann (1979) mit Blick auf alles sozial vermittelte Wissen festhalten.
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Es bedarf also weder einer anthropologischen Ausstattung im Sinne der klassischen aufklärerischen Sozialtheorien noch eines apriorischen Verstandes oder eines transzendentalen Ichs noch schließlich eines „Es“ oder „I“, das aus Instinkten bestünde.
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Die poststrukturalistische Annahme, die Variationen seien das Ergebnis der „Performanz“ der Strukturen verdinglicht in meinen Augen, dass die Strukturen selbst nur heuristische Konstruktionen der Theoretiker sind. Deswegen scheint mir die Annahme des Subjekts plausibler.
- 13.
Es kann hier nicht erneut ausgeführt werden, dass Kommunikation deswegen im Grunde mit allem Möglichen geschehen kann: mit Steinen (in verschiedenen magischen Traditionen), mit Tieren, Techniken und natürlich mit Nicht-Anwesendem, das sich bis in die völlige (aber zumindest „mittelbar“ kommunizierte) Wahrnehmungslosigkeit auflösen kann.
Literatur
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Knoblauch, H. (2014). Das Subjekt des kommunikativen Handelns. In: Poferl, A., Schröer, N. (eds) Wer oder was handelt?. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02521-2_3
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