FormalPara Hintergrund und Ziel der Arbeit

Die Radiochemotherapie von Humanen-Papillomavirus(HPV)-assoziierten Oropharynxkarzinomen geht mit sehr guten Heilungsraten, jedoch auch signifikanten akuten und chronischen Toxizitäten einher. Zurzeit werden zahlreiche Deeskalationsstrategien in Studien erprobt. Intratumorale Hypoxie beeinträchtigt die Strahlenwirkung im Kopf-Hals-Bereich erheblich, und das Fehlen von intratumoraler Hypoxie ist bei Kopf-Hals-Tumoren prognostisch günstig. In der hier diskutierten Studie des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers wurde untersucht, ob Patienten mit fehlender initialer Tumorhypoxie oder unter Radiochemotherapie sich rasch auflösender Hypoxie mit einer deutlich reduzierten Radiotherapiedosis von 30 Gy behandelt werden können. Zur Detektion von Tumorhypoxie wurde eine PET mit [18F]-Fluormisonidazol (FMISO-PET) eingesetzt.

FormalPara Patienten und Methoden

Insgesamt 158 Patienten mit einem HPV-assoziierten Plattenepithelkarzinom des Oropharynx T0–2 N1–2c (7. TNM-Klassifikation) oder mit einem zervikalen cancer of unknown primary (CUP) wurden in diese prospektive Phase-II-Studie (30-ROC-Studie) eingeschlossen. Zunächst wurde der Primärtumor reseziert, die zervikalen Lymphknotenmetastasen blieben in situ. Etwa 3 Wochen nach der Primärtumorresektion erhielten die Patienten vor Radiotherapie eine FDG-PET (zur Detektion aller Tumormanifestationen) und eine FMISO-PET (zur Detektion bzw. zum Ausschluss von Tumorhypoxie). Die anschließende definitive Radiochemotherapie erfolgte mit mindestens zwei Kursen Cisplatin 100 mg/m2 (alternativ bei Kontraindikationen Carboplatin/5-Fluorouracil) in Woche 1 und 4. Patienten, deren Tumoren bei der FMISO-PET-Untersuchung keine Tumorhypoxie gezeigt hatten, erhielten nur eine Strahlendosis von 30 Gy (der zweite Kurs Cisplatin erfolgte dann in der Woche nach Ende der Radiotherapie). Bei Patienten mit Tumorhypoxie erfolgte eine erneute FMISO-PET/CT ein bis zwei Wochen nach Start der Radiotherapie. Wenn bei der zweiten FMISO-PET keine Hypoxie mehr nachweisbar war, wurde die Radiotherapie ebenfalls bei 30 Gy beendet. Alle Patienten mit persistierender Tumorhypoxie erhielten einen Boost von 40 Gy bis zu einer Gesamtdosis von 70 Gy auf die makroskopischen Lymphknotenmetastasen und einen dritten Kurs Cisplatin. Das primäre Studienziel war eine 2‑Jahres-Lokalkontrollrate von 95% mit einer 7%igen Nichtunterlegenheitsgrenze.

FormalPara Ergebnisse

Insgesamt 158 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, von denen 152 Patienten analysiert werden konnten. 42 Patienten hatten bei der Basisuntersuchung keine Hypoxie; bei weiteren 86 Patienten war bei der zweiten FMISO-PET keine Hypoxie mehr nachweisbar, sodass 128 Patienten (84% des gesamten Kollektivs) mit der deeskalierten Dosis von 30 Gy bestrahlt wurden. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 38,3 Monaten betrug die 2‑Jahres-Lokalkontrollrate 94,7% (95%-Konfidenzintervall 89,8–97,7%), womit das primäre Studienziel erreicht wurde. Das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben nach 2 Jahren betrugen 94% respektive 100% in der deeskalierten Bestrahlungsgruppe. Akute Grad-3/4-Toxizitäten traten signifikant seltener in der 30 Gy-Gruppe auf (32,0% versus 58,3%, p = 0,02); zudem gab es im 30 Gy-Arm keine chronischen radiogenen Grad-3/4-Toxizitäten. Auch patient-reported outcomes (PROs) wie die subjektive Schluckfunktion, quantifiziert mittels MD Anderson Dyphagia Inventory (MDADI), oder die finanzielle Toxizität zeigten sehr gute Ergebnisse in der evaluierten Studienkohorte.

FormalPara Schlussfolgerung der Autoren

Eine auf Hypoxieansprechen basierende deutliche Dosisdeeskalation der Radiochemotherapie bei HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen führt zu einer erheblichen Reduktion der Normalgewebstoxizitäten, jedoch zu weiterhin sehr hohen Lokalkontrollraten. Eine randomisierte Phase-III-Studie mit der Standardradiochemotherapie zum Vergleich befindet sich in Planung, um diese biomarkerbasierte Deeskalation möglicherweise in die klinische Routine zu integrieren.

Kommentar

Die 30-ROC-Studie sticht gegenüber anderen Deeskalationsstudien für HPV-positive Oropharynxkarzinome aufgrund der Adaptation der Therapie auf der Basis longitudinaler biologischer Bildgebung und durch die radikale Dosisreduktion für nichthypoxische Tumoren hervor [1]. Eine generelle Dosiseskalation der Radiochemotherapie von 70 auf 60 Gy bei Patienten mit HPV-positiven Oropharynxkarzinomen ohne geeignete biologische Selektion scheint hingegen mit verschlechterten onkologischen Ergebnissen einherzugehen, wie es die Pressemitteilung zum vorzeitigen Rekrutierungsende des auf 60 Gy deeskalierten Radiochemotherapiearms der NRG-HN005-Studie suggeriert [2]. Aus diesem Grund erscheint auch bei HPV-positiven Oropharynxkarzinomen eine weitere biologische Stratifikation sinnvoll, um Patienten zu identifizieren, bei denen eine Deeskalation sicher durchführbar ist.

Die prognostische Bedeutung von initialer Hypoxie, aber vor allem von über die ersten beiden Behandlungswochen hinaus persistierender Hypoxie wurde bereits in einigen Studien festgestellt, bei denen die Hypoxie mittels FMISO-PET/CT quantifiziert wurde [3,4,5], sodass der hier verfolgte Ansatz gut begründet ist. Auch die Studiengruppe der aktuellen Arbeit hat bereits die Ergebnisse entsprechender Vorläuferstudien veröffentlicht [6, 7].

Während das klinische Risikoprofil dieser Kohorte relativ vorteilhaft war (etwa 83% der Patienten gehörten zur Niedrigrisikogruppe gemäß RTOG, und nur 23% hatten eine Nikotinanamnese von mehr als 10 Packungsjahren), ist es bemerkenswert, dass diese sehr guten onkologischen Ergebnisse erzielt wurden, obwohl bei 32% der Patienten positive und bei weiteren 51% knappe (< 2 mm) Resektionsränder des Primärtumors vorlagen. Obwohl die ehemalige Primärtumorregion unabhängig vom Hypoxiestatus und vom Resektionsstatus nur mit 30 Gy bestrahlt wurde, kam es hier zu keinem einzigen Lokalrezidiv. Die Tatsache, dass auch diejenigen Patienten mit persistierender Hypoxie in den Lymphknotenmetastasen (und somit vermutlich aggressiverer Tumorbiologie) keine Lokalrezidive in der ehemaligen Primärtumorregion aufwiesen, suggeriert, dass für einen substanziellen Anteil der Patienten mit HPV-positiven T1–2-Oropharynxkarzinomen und knappen/positiven Resektionsrändern eine additive Radiochemotherapie mit 60–66 Gy eine Überbehandlung darstellt. Die Ergebnisse der hier diskutierten 30-ROC-Studie sind in Übereinstimmung mit denen der AVOID-Phase-II-Studie, bei der ebenfalls die ehemalige Primärtumorregion nicht in das adjuvante Zielvolumen eingefasst wurde (allerdings infolge der zervikalen Lymphabflusswegbestrahlung dennoch einer Dosis von 36,9 Gy im Mittel ausgesetzt war). Trotz dieser deutlich reduzierten Dosis kam es auch in der AVOID-Studie nur bei einem der 60 Patienten nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 2,4 Jahren zu einem Lokalrezidiv [8].

In Analogie zur Primärtumorregion wurden in der 30-ROC-Studie auch die elektiven Lymphabflussgebiete abweichend von der derzeitigen NCCN-Empfehlung von 54 bis 63 Gy (bei einer SIB-Technik mit 1,6–1,8 Gy Einzeldosis) nur mit 30 Gy bestrahlt. Ergebnisse dieser Deeskalation wurden bereits von der gleichen Autorengruppe in einer retrospektiven Analyse von 276 Patienten mit HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen berichtet, wobei nur bei einem Patienten ein im elektiven Lymphabflussweg lokalisiertes Lymphknotenrezidiv auftrat [9]. Auch die Daten anderer prospektiver Studien deuten zunehmend in die Richtung, dass vor allem bei HPV-positiven Oropharynxkarzinomen die derzeitig verwendete elektive Dosis einer Übertherapie entspricht [10, 11], allerdings fehlt die eindeutige Evidenz aus einer Phase-III-Nichtunterlegenheitsstudie. Im 30 Gy-Arm der hier diskutierten 30-ROC-Studie konnten sämtliche nodalen Rezidive (insgesamt 12 [8 mit lokoregionärem Rezidiv, 4 mit persistierenden Lymphknotenmetastasen] der 128 Patienten) mittels Salvage-Chirurgie noch kuriert werden. In diesem Kontext muss die Relevanz eines FDG-PET/CT-Scans etwa 3–4 Monate nach Radiochemotherapie betont werden, um Patienten mit persistierenden Lymphknotenmetastasen zu identifizieren und einer neck dissection zuzuführen.

Dass die Rate an höhergradigen chronischen Toxizitäten mit 4,5% auch bei mit 70 Gy bestrahlten Patienten relativ gering war und die PROs sowohl für den 30 Gy- als auch für den 70 Gy-Arm sehr gute Werte zeigten, ist vermutlich den bei allen Patienten angewandten Deeskalationstechniken zuzuschreiben, wie der auf 30 Gy reduzierten Dosis auf die ehemalige Primärtumorregion und die elektiven Lymphabflusswege, der Inklusion lediglich der oropharyngealen Mukosa bei einem HPV-assoziierten zervikalen CUP sowie dem Verzicht auf eine kontralaterale Lymphabflusswegbestrahlung bei einem lateralisierten Tonsillenkarzinom und nur einer Lymphknotenmetastase.

Einige Limitationen der Studie sollten nicht unerwähnt bleiben: Die Nachbeobachtungszeit ist mit im Median 38,3 Monaten (im Minimum 22,1 Monate) nicht ausreichend, um möglicherweise eine erhöhte Rate an lokoregionären Spätrezidiven auszuschließen. Chirurgische Toxizitäten der Primärtumorresektion wurden nicht gesondert aufgeführt, und generell bleibt die Frage, ob ähnlich gute onkologische Ergebnisse nicht auch ohne die vorherige Resektion des Primärtumors erzielt worden wären. Eine Folgestudie, bei der auf die Resektion des Primärtumors verzichtet und der hier verfolgte FMISO-PET-basierte Deeskalationsansatz verfolgt wird, läuft aktuell ebenfalls am Memorial Sloan Kettering Cancer Center und hat die Rekrutierung beendet. Am problematischsten hinsichtlich der Translation zu einer multizentrischen Phase-III-Studie ist sicherlich die notwendige Standardisierung der FMISO-PET/CT-Bildgebung und ihrer Beurteilung. Die Autoren haben im Appendix umfangreich dargelegt, welche qualitativen und quantitativen FMISO-Eigenschaften (u. a. FMISO-Tumor-Muskel-Ratio > 1,3) bei der Hypoxiebeurteilung herangezogen wurden, und unter Anwendung dieser Kriterien konnte eine exzellente nuklearmedizinische Interbeobachterübereinstimmung festgestellt werden. Ebenso sind für die Implementierung des vorliegenden Studienkonzepts in eine Phase-III-Studie und später in die klinische Versorgungsrealität signifikante logistische Herausforderungen erwartbar, die durch die notwendigen Ressourcen zur Durchführung mehrerer FMISO-PET-Scans pro Zeitpunkt begründet sind: In der Studie erfolgten eine dynamische Datenaufnahme für 30 min nach Injektion, eine statische FMISO-PET 90 min nach Injektion und eine weitere statische FMISO-PET 150 min nach Injektion. Mögliche Wege, auf eine FMISO-PET/CT zu verzichten und stattdessen Hypoxiesurrogatmarker zu verwenden [12, 13], wurden im translationalen Teil der Studie untersucht, allerdings konnten weder Bildgebungsparameter der multiparametrischen MRT wie ADC-Karten noch zirkulierende Tumorzell-DNA diejenigen Patienten identifizieren, welche eine frühzeitige Auflösung der Tumorhypoxie aufwiesen.

Zusammengefasst zeigt diese Studie das große Potenzial für eine deutliche Deeskalation der Radiotherapiedosis (ca. 60%ige [!] Dosisreduktion in dieser Studie) für HPV-positive Oropharynxkarzinome, wenn zuvor eine biologische Selektion, wie hier mittels Hypoxie-PET-Bildgebung, stattfindet. Daneben deuten immer mehr Daten darauf hin, dass bei einer adäquaten prätherapeutischen Bildgebung zur präzisen Identifikation der Lymphknotenmetastasen die notwendige Radiotherapiedosis auf den elektiven Lymphabfluss bei Patienten mit HPV-positiven Oropharynxkarzinomen deutlich reduziert werden kann.